Mobilität: Wissenschaft

Assistenzsystem für Fluglotsen soll intelligenter werden

Fluglotsen
Foto: DLR

Von den Entscheidungen der Fluglotsen hängen Menschenleben ab, ihre psychische Belastung ist enorm

Zwischen 3,5 bis 11,3 Sekunden dauert im Durchschnitt ein Funkkontakt, bei dem Fluglotsen dem Piloten zuhören, den Radarschirm überprüfen und neue Anweisungen geben. Assistenzsysteme sollen sie dabei unterstützen. Allerdings fehlt diesen Systemen die Fähigkeit, die ausgetauschten Kurzsätze zu verstehen und zu verarbeiten. Computerlinguisten an der Universität des Saarlandes haben nun mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein System entwickelt, das zuhört und mitdenkt.

Fluglotsen sind dafür verantwortlich, dass sich Flugzeuge weder in der Luft noch auf Rollwegen und Pisten zu nahekommen. Ihr wichtigstes Hilfsmittel ist dabei das Radar. Per Funk ortet es die Positionen der Flugzeuge und misst ihre Abstände zueinander. Das „Assistenzsystem zur Planung“ schlägt dem Fluglotsen eine optimale Reihenfolge der Flugzeuge für den jeweiligen Luftraum vor. Dieser Vorschlag basiert auf den Radardaten, über Sprechfunk setzt der Lotse dann die Staffelung mit den einzelnen Piloten um. Von diesem schnellen, abgehackten Dialog zwischen Lotse und Pilot war das Assistenzsystem bisher ausgeschlossen. Das verminderte die Qualität der maschinellen Vorschläge, was sich besonders in Gefahrensituationen als brisant erwies.

„Je stressiger der Moment ist, desto weniger kann man auf das Assistenzsystem setzen“, bringt es Youssef Oualil  auf den Punkt. Er forscht an der Fachrichtung Sprachwissenschaft und Sprachtechnologie der Universität des Saarlandes. Zusammen mit seinen Kollegen Marc SchulderDietrich Klakow,  Professor für Sprach- und Signalverarbeitung der Saar-Uni, und Hartmut Helmke  vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat Oualil  ein Softwaresystem namens „AcListant“ entwickelt, das nicht nur dem sprechenden Fluglotsen Gehör schenkt, sondern auch für ihn mitdenkt.

Dem Fluglotsen nur Kommandos vorschlagen, die zur Situation passen

Die Forscher muten es den Lotsen nicht zu, die gesprochenen Kommandos per Tastatur oder Computermaus nachzutragen, sondern setzen auf automatische Spracherkennung. Diese allein hilft jedoch auch nicht. Um zu verhindern, dass von der Spracherkennung unsinnige Befehle erkannt werden, lassen die Forscher sie das Wissen des Assistenzsystems miteinbeziehen. So werden dem Fluglotsen nur Kommandos vorschlagen, die zur aktuellen Situation passen.

Dazu filtert das System zuerst die minimale Menge an Informationsstücken heraus, die für die Befehle tatsächlich relevant sind. „Damit fliegt sprachliches Brimborium wie Guten Morgen oder Hello raus, Identifikationsnummern, Höhenangaben und Befehle bleiben drin“, erklärt Schulder.

Zusätzlich macht das System eine Art Realitätscheck, indem es auch die Daten vom Radar miteinbezieht. Dazu werden aus den Radardaten Wortsequenzen generiert. Die herausgefilterten Informationsstücke, die den Wortsequenzen am meisten ähneln, werden dann an das Assistenzsystem weitergeleitet, damit es diese dem Fluglotsen als potenzielle Anweisungen für den Piloten vorschlägt.

Die Computerwissenschaftler haben ihren Prototypen bereits in verschiedenen Simulationen für einen Großflughafen am DLR-Forschungsflughafen in Braunschweig getestet. „Mit AcListant konnten wir nicht nur die Anzahl falscher Anweisungen im Vergleich zu weniger intelligenten Systemen um den Faktor Vier verringern, die Lotsen kommen auch viel besser mit Schnellsprechern und den verschiedenen Akzenten unter den Piloten zurecht“, berichtet Klakow.  Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt versucht nun, die Kommerzialisierung des Systems voranzutreiben.
www.aclistant.de


Zum Thema:
Helmke, Hartmut; Jürgen Rataj, Jörg Buxbaum:  Assistenzbasierte Spracherkennung für Fluglotsen – Synergien aus der Kombination von Assistenzsystemen mit Spracherkennern. In: Internationales Verkehrswesen (68) 2016, Heft 1, S. 80-84 ; [Übersicht hier]