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70 Jahre Internationales Verkehrswesen – eine Bestandsaufnahme


Historischer Rückblick von Eberhard Buhl, Leiter der Redaktion Internationales Verkehrswesen und Gesellschafter der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft


Nach menschlichen Maßstäben sind 70 Jahre ein ganz passables Alter – für Fachzeitschriften sowieso. Manches 1949 gegründete Magazin ist längst vergessen, während andere Publikationen bis heute gewissermaßen mitten im Leben stehen. So wie unsere Zeitschrift: Als „Internationales Archiv für Verkehrswesen“ im Mai 1949 von Dr.-Ing. Dr. rer. pol. Hans Baumann in Frankfurt am Main erstmals herausgegeben, ist Internationales Verkehrswesen auf den Monat genau so alt wie die Bundesrepublik Deutschland.

Sicher, es gab Vorläufer: Bereits die „Verkehrstechnische Woche“ (1907 bis 1940) und ihr Nachfolgetitel „Großdeutscher Verkehr“ (1941 bis 1944) nahmen das gesamte Transportwesen in den Fokus. Verkehrswissenschaftler Baumann hatte bereits von 1923 bis 1933 die Schriftleitung der „Verkehrstechnischen Woche“ inne und gab zudem seit 1927 den „Reichsbahnkalender“ heraus.

Nun also der Neuanfang: So kurz nach Kriegsende sollte das „Internationale Archiv für Verkehrswesen“ einerseits der Bestandsaufnahme dienen, andererseits einen nun wieder ideologiefreien, technisch-wissenschaftlich orientierten Blick ins Ausland und in eine Zukunft grenzüberschreitender Zusammenarbeit fördern. Im Geleitwort gibt Hans Baumann dieser Hoffnung Ausdruck:

Es ist eine besondere Eigenart des Verkehrs, daß er Länder und Grenzen überbrückt und daß er auf internationalen Ausgleich gestellt ist. Eben darum finden sich die Verkehrsleute der Welt auf der gemeinsamen Basis ihres Arbeitsgebiets als erste wieder zusammen, wenn Völker und Staaten durch äußere Ereignisse voneinander abgeschnitten waren. Das war nach dem ersten Weltkriege der Fall und bahnt sich auch wieder in immer zunehmendem Maße nach der letzten Weltkatastrophe an. Der Verkehr bildet immer wieder eine gesunde Grundlage zur friedlichen Verständigung der Völker.

Geradezu modern liest sich die inhaltliche und thematische Intention des Herausgebers:

Eisenbahn, Kraftwagen, Schiff und Flugzeug stehen der modernen Verkehrswirtschaft als Verkehrsmittel zur Verfügung, und jedes bemüht sich um möglichst umfassenden Einsatz im Produktionsprozeß. Es muß Aufgabe einer geschickten Verkehrspolitik sein, im Wettbewerb dieser Verkehrsmittel den staatswirtschaftlich vorteilhaftesten Ausgleich zu finden. Nicht gegeneinander, sondern miteinander sollen die Verkehrsmittel arbeiten, wobei ein gesunder Wettbewerb nur von Vorteil für die Gesamtentwicklung sein kann. […] Die wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet des Verkehrswesens mit den in allen Ländern sich ergebenden gleichen oder ähnlichen Forschungsfragen der Verkehrswirtschaft, der Verkehrstechnik, des Verkehrsrechts und der Verkehrsverwaltung hat sich das „Internationale Archiv für Verkehrswesen“ zur Aufgabe gemacht.

Und so folgen denn auch ganz konsequent zwei umfassende Aufsätze über „Die derzeitige Organisation der westeuropäischen Eisenbahnen“ von Geheimrat Paul Wolff sowie „Energie-Ökonomie im Verkehr“ von Walter Ostwald.

Titelblatt der Ausgabe 1 vom Mai 1949. Quelle: www.internationales-verkehrswesen.de

Titelblatt der Ausgabe 1 vom Mai 1949. Quelle: www.internationales-verkehrswesen.de

Wer diese Beiträge komplett lesen will:
Ausgabe 1/1949 steht hier als ePaper bereit.

So manche Texte der frühen 1950er-Jahre mögen sich mit heutigem Verständnis eher wie Besinnungsaufsätze lesen – einen spannenden Blick in die Frühzeit des Wirtschaftswunders geben sie allemal. So denkt etwa der Münchener Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Bäseler im Dezember 1955 über „Behälter-Bahnhöfe“ nach US-Vorbild nach und beschreibt recht exakt das Prinzip heutiger Container-Terminals im Kombinierten Verkehr:

Hält man … fest, daß es sich eigentlich nur darum handelt, von der Straße kommende mittelgroße Ladeeinheiten mit Hilfe seitlicher Bewegungen zu einem Zuge zusammenzufassen, so würde genügen, wenn der Zug ein nach unten offenes Gehäuse darstellt, in das man auf einem eingepflasterten Gleis von der Seite hineinfahren kann. Dabei könnten die Behälter jede Form haben. Sie könnten ein Straßenfahrwerk mitführen als Fahrbehälter, sie könnten die üblichen Rollbehälter sein oder auch die einfachen Hubkisten; in allen drei Fällen würden sie, in den Zug seitlich eingefahren, durch ein Hubwerk abgehoben und zugleich miteinander verklammert werden, so daß sie als Zugeinheit abgefahren werden können.

Zur Erinnerung: Die Deutsche Bundesbahn stellt schon 1952 erste zweiachsige Behältertragwagen in Dienst, die das seitliche Auf- und Abrollen von drei Wechselbehältern erlauben. 1956 baut Trailer-Hersteller Kögel für den neuen „Huckepackverkehr“ der Bundesbahn einen Wechselaufbau aus Pritsche und Planenaufbau, der sich über Querschienen von einem Sattelauflieger auf einen Bahn-Flachwagen umsetzen lässt. Und im selben Jahr führt der Reeder Malcolm McLean an der US-Ostküste standardisierte Schiffscontainer für seine Frachtschiffe ein.

Auf und ab geht es auch bei der Zeitschrift, die Anfang 1960 vorübergehend eingestellt werden muss: Die Druckerei E. Schneider in Mainz, bei der das „Internationale Archiv für Verkehrswesen“ seit Ausgabe 1 erschienen war, kann keine Verlagsfunktion mehr wahrnehmen. Nun übernimmt ab Oktober 1960 der Verlag Dr. Arthur Tetzlaff in Frankfurt am Main und beginnt mit Heft Nummer 1. Das Impressum nennt Dr. Baumann als Hauptschriftleiter – erstmalig gibt es auch einen 28 Köpfe starken Herausgeberkreis. Und die Mitglieder der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft DVWG erhalten das Abonnement nun zu einem besonderen Bezugspreis.

Internationales Archiv für Verkehrswesen 1/1960

Ausgabe 1/1960

Bemerkenswert ist in dieser Oktober-Ausgabe, dass neben verschiedenen „traditionellen“ Themen auch die Rolle der „autogerechten Stadt“ in den Fokus genommen wird. Ein nicht namentlich gezeichneter Kommentar – dem heutigen „Standpunkt“ entsprechend – mahnt unter der Überschrift „In der City sollte der Fußgänger privilegiert werden“ an, dass „der Fußgänger noch gegenüber dem rollenden Verkehr auf der Straße diskriminiert“ wird, und verweist auf die beginnende gegenläufige Entwicklung In London und anderen Megastädten. Und die Rezension des Buches „Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrschaos“ des Architekten Hans Bernhard Reichow zeigt eine Widersprüchlichkeit zwischen individueller Mobilität und urbaner Lebensqualität auf, die bis heute nicht aufgelöst ist:

Das Buch verlangt […] eine Auseinandersetzung und Klärung der Zusammenhänge zwischen Stadt und Verkehr, die dringend geboten ist. […] Reichows Kritik wendet sich gegen falsche Voraussetzungen, falsche Maßstäbe, falsche Ethik, falsche Planungsmethoden und Zuständigkeiten. […] Er zitiert Otto Blum, daß der beste Verkehr der ist, der nicht entsteht. […] Er ist sich dabei im klaren, daß die Umwandlung der bestehenden Städte in autogerechte Städte ein mühsamer und weiter Weg ist.

Die Sechzigerjahre sind nicht allein verkehrstechnisch eine „umtriebige“ Zeit. Ab Ausgabe 2 des Jahres 1963 ist die Zeitschrift „Organ der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft E.V. – DVWG“, und die Mitglieder der Gesellschaft erhalten das Heft im Rahmen ihrer Mitgliedschaft. Schriftleiter Hans Baumann stirbt im Januar 1967, hat zuvor jedoch schon den Wirtschafts- und Verkehrspublizisten Horst Heffele, damals bereits Mitherausgeber, als Chefredakteur eingeführt. Ein Jahr später ändert sich der Titel der Zeitschrift in „Internationales Verkehrswesen”, sie erscheint nun achtmal jährlich.

Internationales Verkehrswesen 4/1972

Internationales Verkehrswesen 4/1972

Ab Heft 4/1972 löst Prof. Dr. Gerd Aberle, der bereits ein Jahr im Herausgeberbeirat vertreten war, Horst Heffele als neuer Chefredakteur der Zeitschrift ab. In einem „Brief an den Leser“ schreibt er, die Zeitschrift müsse künftig „in einer für den interessierten Praktiker verständlichen Form die theoretischen Grundlagen verkehrspolitischer Entscheidungsprozesse transparent“ machen. Und schließlich solle „auch eine  verkehrspolitische Aussage  nicht  fehlen. Als  Anforderungen sind  zu  nennen:  sachlich­kritische  Analyse,  wissenschaftliche  Fundierung  zugunsten  eines  gesamtwirtschaftlichen  Bezuges“. 

Mehr als 37 Jahre lang, bis Dezember 2009, prägt Gerd Aberle das Magazin und legt bis heute in seiner Kolumne „Kurz + kritisch“ mit Sachverstand und scharfer Zunge den Finger in so manche (politische) Wunde. Denn zahlreiche Herausforderungen in Sachen Transport und Verkehr sind bis heute ungelöst – oder aus unterschiedlichen Gründen nicht wirklich angepackt

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