Logistik: Wissenschaft

Sicher durch die Nordwestpassage navigieren

Sicher durch die Nordwestpassage
Die Nordwestpassage wird zunehmend schiffbar, birgt aber enorme Risiken. Foto: Lee-Carson | Norstrat Consulting Canada

Ein von Fraunhofer mit-initiiertes deutsch-kanadisches Forschungsteam leistet im Projekt PASSAGES Vorarbeiten für eine sichere Navigation durch die Nordwestpassage.

Die Polkappen schmelzen, und so wird auch die Nordwestpassage immer länger befahrbar – ihre wirtschaftliche Erschließung ist in greifbare Nähe gerückt. „Für ein exportabhängiges Land wie Deutschland sind kürzere Seewege von großer Bedeutung“, sagt Dr. Wolfgang Koch, Abteilungsleiter für Sensordaten- und Informationsfusion beim Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE. „Der Weg über die Nordwestpassage ist im Vergleich zur Route zwischen Ostasien und Europa über den Suezkanal rund 5000 Seemeilen kürzer, was für Reeder eine enorme Ersparnis bedeutet“, betont Koch. Doch bislang ist diese Route zu gefährlich – es fehlen verlässliche Informationen.

Das wollen Koch  und ein deutsch-kanadisches Forschungsteam ändern: Sie leisten im Projekt PASSAGES (Protection and Advanced Surveillance System for the Artic: Green, Efficient, Secure) die Vorarbeiten für eine sichere Navigation durch das eisige Gewässer. Keine einfache Aufgabe, denn die Route ist durch etliche Buchten, Inseln, nicht kartierte Untiefen und Engstellen sehr anspruchsvoll. Dazu kommen Treibeis, extreme Wetterbedingungen sowie andere Schiffe, die mitunter keine oder – wie illegale Fischer – falsche Positionsmeldungen absetzen. Über all das muss das System zuverlässig informieren.

Datenquellen zur Nordwestpassage sinnvoll zusammenführen

Das Problem: Es liegen wenige Daten vor, denn es gibt keine Infrastruktur für Sensorik und Kommunikation. Die gesamte Route ist flächenmäßig größer als Westeuropa und an den Küsten dünn besiedelt. Doch selbst wenn es ausreichend Daten gäbe, müssten diese erst zu brauchbaren Informationen für Schiffsbesatzungen und andere Nutzer aufbereitet werden. All diese Schwierigkeiten nehmen die Forscher in Angriff, indem sie Konzepte entwickeln, mit welcher Technik wo welche Informationen gewonnen werden und wie diese zusammengeführt werden. „Die Schwierigkeit besteht darin, sehr heterogene und auch ungenaue Daten zusammenzuführen, um daraus z. B. Handlungsanweisungen für Kapitäne zu gewinnen, welche Route wann günstig ist“, erklärt Koch. Algorithmen für die Fusion von Sensordaten zu schreiben ist die Spezialität der FKIE-Forscher.

Vor allem muss es jedoch zunächst darum gehen, in der harschen Region Datenquellen zu erschließen. Nutzen lassen sich jene des Automatic Identification Systems (AIS), über das Schiffe unter anderem ihre aktuelle Position mitteilen. Hinzu kommen Bilder von Satelliten, die aber lückenhaft sind. Selbst alte Sonar-Anlagen aus Zeiten des Kalten Krieges ließen sich wiederbeleben. Aber: Ein hochauflösendes Bild, durch das Kapitäne sicher durch das Gewässer gelotst werden könnten, entsteht so noch nicht. Koch hofft daher noch auf einen weiteren Datenlieferanten: das Passiv-Radar. Diese Technik nutzt den Elektrosmog von Mobilfunkstationen in Küstennähe. Empfangsstationen werten diesen aus und gewinnen so Informationen über Schiffe und Eisblöcke – ihre Größe, Position und Geschwindigkeit. „Auf diese Weise können große Flächen überwacht werden“, sagt Koch. Angedacht sind auch unbemannte Vehikel, die unter und über Wasser Informationen sammeln.

Unterstützung aus Politik und Industrie

Auf Basis der neu gewonnen Erkenntnisse und Ideen für ein solches System möchte Koch ein entsprechendes Überwachungs- und Informationssystem aufbauen: „Wir hoffen, dass sich an unser Forschungs- ein Entwicklungsprojekt anschließt.“ Unterstützt wird das Vorhaben vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi und den Projektpartnern Airbus, exact Earth sowie der Dalhousie Universität in Halifax, Kanada.

Ein operationelles System wäre ein großer Gewinn für Reedereien, für die Küstenwache und maritime Behörden. Auch Versicherer sind an den Daten interessiert. „Auf dieser Basis könnten sie Prämien für die zu versichernden Schiffe berechnen“, so Koch.  Nachdem durch eine sichere Navigation die knifflige Route beherrschbar würde, müssten Reeder weniger für den Versicherungsschutz ausgeben.

Bis das Navigationssystem startklar ist, dürfte noch mindestens eine Dekade vergehen. Jahre, in denen die Route immer öfter eisfrei und für den Schiffsverkehr wirtschaftlich befahrbar werden wird. Dann wird sich zeigen, dass sich die wissenschaftliche Vorarbeit von heute gelohnt haben wird. Koch: „So dramatisch die globale Klimaerwärmung ist – wir versuchen, ihr wenigstens etwas Positives abzugewinnen.“


Hintergrund

Die Nordwestpassage ist ein etwa 5.780 Kilometer langer Seeweg, der nördlich des amerikanischen Kontinents den Atlantischen Ozean mit dem Pazifik verbindet. Roald Amundsen gelang in den Jahren 1903 bis 1906 als erstem die komplette seemännische Durchfahrt. Der erste Öltanker passierte den Seeweg im Jahr 1969 – doch bis dato gilt Schiffsverkehr durch das nördliche Eismeer als riskant und wenig wirtschaftlich.
Geographische Bedeutung: Statt über den Suezkanal Güter zu transportieren, was zwischen Europa und Asien rund 21.100 Kilometer sind, wäre die Abkürzung durch die Nordwestpassage nur 15.900 Kilometer lang. Außerdem ließe sich die Gefahr durch Piraterie, etwa am Horn von Afrika, minimieren.
Folgen des Klimawandels: Weil der Eispanzer im Nordpolargebiet schmilzt, zeigt sich die Nordwestpassage in den letzten Jahren immer öfter schiffbar. Bereits im September 2007 zeigte die ESA Satellitenbilder, auf denen der kanadische Teil der Passage völlig eisfrei und damit schiffbar war – zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen.