Politik: Standpunkt

Russland-Krise: Ölimporte reduzieren – wie kann das gehen?


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Welche Umwelteffekte haben hohe Treibstoffpreise?
Im Vergleich zum durchschnittlichen Endverbraucherpreis für Benzin bzw. Diesel im Jahr 2021 sehen wir im März 2022 einen Anstieg von 37 Prozent bei Ottokraftstoff und von 61 Prozent bei Diesel.(9) Diese Preisanstiege führen zu Rückgängen in der Kraftstoffnachfrage. Vermeidung von Fahrten, Verlagerung auf andere Verkehrsmittel und kraftstoffsparende Fahrweisen ermöglichen kurzfristige Nachfragerückgänge. Die vorhergehend beschriebenen Maßnahmen unterstützen die Realisierung dieser Einsparpotenziale.

Langfristig kommen technologische Anpassungen wie etwa Effizienz­verbesserungen oder Antriebswechsel bei Fahrzeugen, sowie grundlegende Änderungen von Verhaltens- bis hin zu Siedlungsmustern und Lieferbeziehungen im Wirtschaftsverkehr hinzu. Voraussetzung hier ist, dass alternative Verkehrsträger und Antriebssysteme verfügbar sind, und dass Preis- und Ordnungspolitik die Änderung von Verhaltensmustern unterstützen. In der Literatur zu Preiselastizitäten bezeichnet »kurzfristig« meist einen Zeitraum von unter zwei Jahren, »langfristig« einen Zeitraum von über zehn Jahren.(10) Langfristige Preiselastizitäten, und damit die Potenziale für Nachfragerückgänge, liegen um Faktor zwei bis drei höher als kurzfristige.

Ein Szenario mit einem weniger starken Preisanstieg und einer wenig elastischen Kraftstoffnachfrage sowie ein Szenario mit sehr starkem Preisanstieg und hoher Preiselastizität zeigen die Bandbreite möglicher Effekte auf.(11) Kurzfristig könnte danach die Kraftstoffnachfrage im Personenverkehr um fünf bis 15 Prozent bei Benzin bzw. um acht bis 21 Prozent bei Diesel zurückgehen. Im Straßengüterverkehr könnte die Nachfrage nach Diesel um acht bis elf Prozent sinken. Die mit diesen Nachfrage­rückgängen einhergehenden CO2-Einsparungen liegen zwischen 10 und 24 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr.(12) Zum Vergleich: Die ausgewählten kurzfristigen Maßnahmen zur Reduktion des Kraftstoffverbrauchs senken den CO2-Ausstoß des Verkehrs entsprechend der reduzierten Spritmenge um fünf bis zehn Prozent oder zwischen acht und 16 Mt CO2-Äquivalente pro Jahr.

Welche Einkommensgruppen profitieren von den Vorschlägen eines pauschalen Tankrabatts?
Der Vorschlag der Ampelkoalition vom Donnerstag sieht einen Tankrabatt auf Ottokraftstoff von 30 Cent und auf Diesel von 14 Cent pro Liter zur Unterstützung von Pendler:innen vor.(13) Hierzu soll die Energiesteuer auf Kraftstoffe auf das europäische Mindestmaß von 65,5 auf 35,9 Cent je Liter Ottokraftstoff und von 47,0 auf 33,0 Cent je Liter Diesel gesenkt werden.(14) Die Kosten für diese Maßnahmen reduzieren die Einnahmen aus der Energiesteuer auf Kraftstoffe um 38 Prozent. Von dieser Entlastung profitieren Haushalte mit hohem Einkommen(15) wesentlich mehr als diejenigen mit niedrigem Einkommen, weil sie mehr Fahrzeuge mit höheren Verbräuchen besitzen und damit längere Strecken fahren. Haushalte mit sehr hohem ökonomischen Status würden knapp viermal so hohe Subventionen erhalten wie diejenigen mit sehr niedrigem Status.

Ölimporte aus Russland senken

Fraunhofer ISI

Wie können untere Einkommen entlastet werden?
Die vorangegangenen Überlegungen sprechen für eine einkommens­abhängige Ausgestaltung zeitlich befristeter Unterstützungs­programme, sowohl für Haushalte wie auch für kleine und mittlere Unternehmen bei weiter anhaltend hohen Kraftstoffpreisen. Die oben geschilderten positiven Kraftstoffeinspar- und Umwelteffekte werden hingegen zum Teil durch eine pauschale Treibstoffsubvention nach dem aktuellen Beschluss der Ampelkoalition konterkariert.

Mit Blick auf die immer deutlicher werdenden Herausforderungen des Klimawandels und der Energiesicherheit ist die Ergänzung eines sozialen Abfederungspakets um Nachhaltigkeits­komponenten wichtig. Insbesondere sind Reboundeffekte, d.h. mehr Verkehr und damit mehr Verbrauch fossiler Energieträger durch vergünstigte Kraftstoffpreise, im Blick zu behalten. In diesem Sinn begrüßen wir die Pläne für ein Mobilitätsgeld der Ampelkoalition in Form stark vergünstigter Zeitkarten für den ÖPNV. Mittelfristig kann dies auch überwiegend den Pkw nutzende Menschen zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel motivieren, und somit das Ziel der Mobilitätswende unterstützen.

Energieversorgung sichern und langfristige Klimawirkungen steigern
Vor Einsetzen der Corona-Pandemie 2019 lag der CO2-Ausstoß des Verkehrs bei 163 Millionen Tonnen (Mt), wovon 158 Mt auf den Straßenverkehr entfielen. 2022 dürften die Klimaemissionen des Verkehrs ähnlich liegen. Im Gegensatz zu anderen Sektoren haben sich diese seit 1990 kaum vermindert, müssen jedoch bis 2030 um 40 bis 42 Prozent gesenkt werden.

Dies entspricht in der Größenordnung den hier vorgeschlagenen Maßnahmen zur Reduktion der Importabhängigkeit von Erdöl. Entsprechend könnte die Chance der aktuellen Verwerfungen genutzt werden, um über mittel- bis langfristig wirksame Maßnahmen die Transformation des Verkehrssektors in Richtung lokal verfügbarer und erneuerbarer Energieträger zu beschleunigen.

Neben Investitionen in nachhaltige Mobilität sowie ordnungs- und preispolitischen Maßnahmen könnte das diskutierte ökologische Mobilitätsgeld in eine Reform der Pendlerpauschale verstetigt werden.(16) Schließlich ist jedoch nicht nur die Politik, sondern jeder Einzelne in der Verantwortung, die Energie- und Mobilitätswende mitzutragen. Mehr aktive Mobilität wie zu Fuß gehen und Rad fahren ist nicht nur umweltfreundlich und leistet einen Beitrag zur Energieunabhängigkeit Deutschlands, sondern spart Geld und fördert die Gesundheit.(17)____


Quellen II
(9) Berechnungen des Fraunhofer ISI basieren auf Durchschnittspreisen nach Statista und aktuellen Tankstellenpreisen.
(10) Vgl. Joyce Dargay and Dermot Gately (1997), “Demand for Transportation Fuels: Imperfect Price Reversibility?”, Transportation Research B, Vol. 31, No. 1, pp. 71-82.
(11) Eigene Berechnungen des Fraunhofer ISI. Der Preisanstieg wird zwischen 30% und 50% (Benzin) bzw. 50% und 70% (Diesel) variiert. Die Preiselastizitäten basieren auf einer Metaanalyse (Schade und Krail, 2015, S. 36ff) und liegen für den Personenverkehr bei –0,15 bis –0,3 und für den Güterverkehr bei –0,15.
(12) Nicht mit eingerechnet sind mit den Verlagerungseffekten einhergehende mögliche Mehremissionen im Öffentlichen Personenverkehr sowie im Schienengüterverkehr oder der Binnenschifffahrt. Da sich diese Verkehrsträger jedoch durch geringere Emissionen je Verkehrsleistung auszeichnen, ist davon auszugehen, dass die Einsparungen deutlich überwiegen.
(13) Zeit Online (24.3.2022): Energiepreise: Ampel beschließt 300 Euro steuerliche Energiepreispauschale.
(14) Europäische Kommission: Excise Duty on Energy (europa.eu).
(15) Der ökonomische Status eines Haushaltes leitet sich gemäß dem Prinzip des Äquivalenzeinkommens, das sich in der Sozial- und Armutsforschung für Analysen der Einkommensverteilung etabliert hat, aus dem Haushaltsnettoeinkommen und der gewichteten Haushaltsgröße ab. (MID 2017, Nutzerhandbuch S. 17).
(16) Vgl. Darstellung möglicher Maßnahmen im Abschlussbericht der Nationalen Plattform Mobilität (NPM 2021: Mobilität von morgen ganzheitlich gestalten – Ergebnisse aus drei Jahren NPM (2018 – 2021). Berlin.
(17) Vgl. BMVI (2020): Nationaler Radverkehrsplan 3.0. ifok, PTV Group, Fraunhofer ISI. Berlin.