Mobilität: Wissenschaft

Region Rhein-Main-Neckar: Mobili­täts­studie von ISOE und ifeu

Mobilitätsstudie für die Region Rhein-Main-Neckar
Darmstadt Hbf. Bild: Lapping | pixabay

[ISOE] – Die Region Rhein-Main-Neckar hat großes Potenzial, die Herausforderungen der dringend notwendigen Verkehrswende durch die Unterstützung zahlreicher regionaler Akteure zu meistern. Das ist das Ergebnis einer Studie, die im Auftrag des ENTEGA NATURpur Instituts vom ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg und dem ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung Frankfurt am Main durchgeführt wurde.

Der Verkehrssektor trägt etwa 25 % zu den Treibhaus­gas­emissionen Deutschlands bei, notwendige Minderungen sind bislang kaum erfolgt. Zur Erreichung der Klimaziele ist deshalb in den nächsten Jahren ein breites Engagement von Akteuren auf allen Ebenen notwendig, um grundlegende Änderungen umzusetzen – von der Antriebs­wende über multimodale Mobilitäts­angebote bis hin zu Veränderungen im Mobilitäts­verhalten. Der regulative und fiskalische Rahmen dafür wird zwar auf der EU-, Bundes- oder Landes­ebene bestimmt, doch auch auf regionaler Ebene gibt es zahlreiche Einfluss­möglich­keiten, die für ein Gelingen der Verkehrs­wende, also der Kombination aus Mobilitäts­wende und Antriebs­wende, zentral sind.

In der jüngst veröffentlichten Mobilitäts­studie haben das ifeu und das ISOE untersucht, welchen Beitrag Akteure in der Region Rhein-Main-Neckar für eine erfolgreiche Verkehrs­wende leisten können. Hierfür ermittelte das Forschungs­team sowohl Rahmen­bedingungen als auch Hand­lungs­ansätze und konkrete Beispiele für lokale Akteure. Für die Untersuchung der Einfluss­faktoren auf die Mobilität und den Verkehr vor Ort sowie der vorhandenen Barrieren und Potenziale für eine erfolg­reiche Mobili­täts­wende wurden leitende Personen von 42 Insti­tutio­nen und Unternehmen der Region aus Kommunal­politik, kommunaler Verwaltung, Privat­wirtschaft, Forschung und Entwicklung sowie Zivil­gesellschaft befragt. Zudem wurde eine für die Region repräsentative Bevöl­kerungs­befragung mit über 1.000 Personen durchgeführt.

Empfehlung für Akteure: Kombinierte Mobilitätsangebote ausbauen
„Die Gespräche mit Akteuren aus Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Zivil­gesell­schaft zeigten, dass Elektro­mobili­tät als ein wichtiges Element für eine klima­schonende Fort­bewegung gesehen wird und hier auch schon viele Aktivitäten in der Region stattfinden“, sagt Studienleiter Udo Lambrecht vom ifeu-Institut. „Doch sind weitere Bausteine für eine Verkehrswende unbedingt zu berücksichtigen und miteinander als optional nutzbares Angebot zu verknüpfen, um die verschie­denen Mobili­täts­bedürf­nisse der Bevölkerung bestmöglich mit unter­schied­lichen umweltwelt­freund­lichen Verkehrs­mitteln abzudecken. Neben dem städtischen Bereich muss hier insbesondere der ländliche Bereich stärker in den Fokus genommen werden. So kann eine Verkehrs­wende gelingen.“

Aus Sicht des Forschungsteams ist für den Umstieg auf miteinander vernetzte Verkehrs­mittel zudem noch Über­zeugungs­arbeit zu leisten. „Die Bevöl­kerungs­be­fragung zeigt eine weiterhin starke Orientierung am Auto, wobei sich die meisten Befragten noch nicht eingehend mit dem Thema Elektro­mobili­tät aus­einan­der­gesetzt haben“, berichtet ISOE-Mobili­täts­expertin Jutta Deffner. Nach wie vor sei das eigene Auto das Verkehrs­mittel, das am häufigsten genutzt wird (53 %), gefolgt vom Fahrrad mit 24 %. Alternative Mobilitäts­optionen müssten deshalb für Zuverlässigkeit und Unabhängig­keit stehen – und sie müssten Spaß machen, damit Menschen sie in ihren Alltag integrieren. „Alle Akteure in der Region Südhessen müssen gemeinsam viel stärker an kombinierten Mobilitäts­­ange­boten arbeiten“, sagt Deffner, „denn die Befragung hat auch gezeigt, dass mehr als ein Viertel der Bevölkerung einen Verkehrs­mittel­mix, also eine multimodale Mobilität, attraktiv findet und diese gerne viel öfter prakti­zieren würde. Dafür müssen Gelegen­heiten geschaffen werden, aus denen Routinen werden können.“

Studie zur Verkehrswende in der Region Rhein-Main-Neckar
Die Studie wurde im Auftrag des ENTEGA NATURpur Instituts vom ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg und dem ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung, Frankfurt am Main, durchgeführt. Für die Untersuchung wurde im Zeitraum von knapp zwei Jahren zunächst der Status quo der Verkehrswende in der Region um die Städte Darmstadt, Heppenheim und Höchst im Odenwald sowie Odenwaldkreis, große Teile der Landkreise Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Bergstraße und Offenbach sowie wenige Kommunen bzw. Teile von Kommunen im Rhein-Neckar-Kreis im Neckartal erfasst. Dazu wertete das interdisziplinäre Forscherteam zwischen 2021 und 2022 statistische Daten, Medienberichte und Fachliteratur aus und führte Experteninterviews mit regionalen Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, kommunalen Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

Mobilitätsstudie für die Region Rhein-Main-Neckar

Bausteine für eine multimodale und klimaschonende Mobilität.
© ifeu Institut

In der Studie „Bausteine für eine multimodale und klima­schonende Mobilität – was Akteure in der Region Rhein-Main-Neckar tun können“ wurden die sechs Themenfelder E-Mobilität und Ladeinfrastruktur, Carsharing, Rad­mobi­lität, ÖPNV, Nutzfahrzeuge sowie Governance / Regional­politik unter­sucht. Auf Basis der Stakeholder-Inter­views und der Bevölkerungs­befragung erarbeitete das Forschungs­team strategische Handlungs­­empfehl­ungen für die regionalen Akteure. Diese umfassen sechs aufeinander aufbauende und ineinandergreifende, für die regionale Verkehrswende zentrale Themenfelder: Rahmen­bedingungen, ÖPNV, Multimodalität, Elektromobilität, Rad- und Fußverkehr sowie Kommunikation. Als Ergebnis der Studie wurden bedarfsorientierte Handlungs­­empfehl­ungen formuliert, die an die regionalen Gegebenheiten der urbanen, suburbanen und ländlichen Gebiete der Betrachtungsregion Rhein-Main-Neckar angepasst sind.

Zentrale Handlungsempfehlungen der Studie
Die Handlungsempfehlungen setzen – soweit wie möglich – auf bereits in der Region laufende Aktivitäten auf. Zentrale Ergebnisse sind:

  • Rahmenbedingungen für die Verkehrswende schaffen durch Ziele und konkrete Umsetzungspläne: Konkrete Ziele und Strategien sollten in Mobilitätsleitbildern und -plänen verankert werden. Zudem sollten zielgerichtete Push- und Pull-Faktoren (Anreize und Regulierungen) für die Verkehrswende eingesetzt werden. Für Fachthemen müssen angemessene personelle Kapazitäten vorhanden sein.
  • Durch zielgruppenorientierte Kommunikation und lokale Kooperationen Hürden abbauen: Herausfordernde Projekte können in regionalen Mobilitätskooperationen einfacher umgesetzt werden, außerdem kann die Beteiligung von Bürger*innen an Mobilitätsplanungen die Akzeptanz und Attraktivität entsprechender Maßnahmen erhöhen und zu neuen Ideen führen. Neue Mobilitätsangebote haben mit ziel­grup­pen­angepasster Öffentlichkeitsarbeit mehr Chancen darauf, erfolgreich zu sein. Für gemeinsame Projekte sind Kooperationen zwischen Kommunen essenziell.
  • Elektromobilität für PKW und LKW weiterentwickeln und ausbauen: Der Ausbau öffentlicher und privater Ladeinfrastruktur muss verstärkt werden. Für eine umfassende Durchdringung mit E-Carsharing müssen Geschäftsmodelle für eine einfache Nutzung verfügbar sein, zum Beispiel mit Stellflächen im Wohnquartier, der Einbindung in das Betriebliche Mobilitätsmanagement oder Ankernutzungskonzepten für gewerbliches E-Carsharing. Zudem kann die Elektrifizierung im urbanen und regionalen Güterverkehr zeitnah umgesetzt werden – und so der erste Schritt zur Antriebswende in der Logistik sein.
  • Mit attraktiven multimodalen Angeboten einen Umstieg auf den Umweltverbund, also den Fuß-, Rad- und öffentlichen Personen(nah)­verkehr, ermöglichen: Die Verkehrs­wende erfordert die Kombination von umwelt­freundlichen Fort­bewegungs­formen (z.B. Bus-, Bahn-, Fahrrad-, Fußverkehr und Carsharing) – auch in Randzeiten und dünner besiedelten Gebieten. Für die Nutzung multimodaler Mobilitätsangebote sollten bestehende digitale Dienstleistungen ausgebaut und kombiniert werden. Außerdem können durch Implementieren eines betrieblichen Mobilitäts­manage­ments bei Kommunen und Unternehmen Emissionen reduziert und Mobilitäts­routi­nen verändert werden.
  • Den ÖPNV als Grundpfeiler der Verkehrswende etablieren: Für eine bessere Erreichbarkeit, Verfügbarkeit und Taktung des ÖPNV ist ein Infrastruktur-Ausbau zwingend notwendig. Zudem erlaubt ein einheitliches Tarifsystem über Verbund­grenzen hinweg eine kundenfreundliche und einfachere Nutzung. Für spezifische Zielgruppen sowie Randzeiten und -bereiche sollten entsprechende Angebote eine flächendeckende Anbindung ermöglichen.
  • Durch gut ausgebaute Infrastruktur einen sicheren Rad- und Fußverkehr schaffen: Eine sozial gerechte Mobilität beruht auf einer sicheren und gut auf- und ausgebauten Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur. So müssen zur Nutzung von multimodalen Angeboten auch Verknüpfungspunkte auf- und ausgebaut werden. Die Verstetigung von Rad- und Fußmobilität beruht auf einer Vorrangberechtigung für diese Fortbewegungsarten.

Die gesamte Studie „Bausteine für eine multimodale und klimaschonende Mobilität – was Akteure in der Region Rhein-Main-Neckar tun können“ ist im Internet unter www.naturpur-institut.de zu finden.