Bild oben: In diesen Druckreaktoren wurde die Freisetzung von Wasserstoff aus einem Methylformiat-Wasser-Gemisch mithilfe eines Ruthenium-Katalysators untersucht. Der Druckanstieg zeigt die Menge des produzierten H2-Gases im Reaktor an. [Foto: Thomas Häntzschel, Nordlicht | Likat]
[Leibniz-Institut für Katalyse] – In nachhaltigen Energiekonzepten gilt Wasserstoff (H2) als ein Favorit. Das Gas ist flüchtig und explosiv, weshalb Chemie-Labore weltweit Wege seiner Speicherung erkunden. Eine Gruppe um Dr. Henrik Junge am Rostocker Likat schlägt im Journal NATURE CATALYSIS den Methylester der Ameisensäure, Methylformiat, als alternativen Wasserstoffspeicher vor. In ihren Forschungen erwies sich diese Substanz als potente Ergänzung zu zwei bekannten chemischen H2-Speichermedien: Ameisensäure und Methanol. Und in einem Punkt lässt Methylformiat die beiden überraschend weit hinter sich: in der Geschwindigkeit, mit der diese Substanz den Wasserstoff wieder freigibt. Vor allem in der ersten Phase der Reaktion.
Methylformiat, der Methylester der Ameisensäure, zählt global zu den Massenchemikalien mit rund sechs Millionen Tonnen Jahresproduktion. Er dient u.a. als Lösungsmittel etwa für Fette und Acrylharze, als Kältemittel und auch als Zwischenstufe in Synthesen der organischen Chemie. Noch entsteht er unter hohem Druck auf fossiler Rohstoffbasis aus Methanol und Kohlenmonoxid.
Nutzung im CO2-neutralen Kreislauf
Doch es gibt bereits nachhaltige Verfahren seiner Produktion, und zwar katalytisch mittels CO2 aus der Luft, Wasserstoff und Methanol, das ebenfalls längst CO2-basiert produziert werden kann. „Somit ist unser Vorschlag, Wasserstoff chemisch in Methylformiat zu speichern, CO2-neutral und erfüllt die Kriterien einer Kreislaufwirtschaft“, sagt Prof. Dr. Matthias Beller, Likat-Direktor und einer der Hauptautoren des NATURE CATALYSIS-Papers. Denn bei der Freisetzung des Wasserstoffs entsteht am Ende nur soviel CO2, wie zuvor für seine Speicherung im Methylformiat verwendet wurde.
In einer klimaneutralen Energiewirtschaft empfehlen sich chemische Speicher für Wasserstoff überall dort, wo Wind und Sonne als regenerative Quellen zwar nachhaltig, aber diskontinuierlich und vor allem unabhängig vom Bedarf Elektroenergie produzieren. „Überschüssiger“ Strom stellt über Elektrolyse „grünen“ Wasserstoff her, der zum Zweck der Speicherung katalytisch umgewandelt wird. Bei Bedarf wird Wasserstoff aus dem Speicher wieder chemisch freigesetzt, um Brennstoffzellen oder andere Energiesysteme zu speisen.
Vorteile gegenüber bisherigen Speichern
Bislang boten sich als chemische H2-Speicher vor allem Ameisensäure, Methanol und Ammoniak an. „Methanol und Ammoniak weisen zwar einen ausreichend hohen Wasserstoffgehalt auf“, wie Dr. Henrik Junge erläutert, „wurden aber durch UN-Gremien als giftig und brennbar eingestuft.“ Und Ameisensäure verfüge über eine etwas geringere H2-Dichte als Methylformiat, das zudem als ungiftige Substanz unproblematisch im Umgang ist.
Vor 15 Jahren gelang es Likat-Chemikern erstmals, aus Ameisensäure bei niedrigen Temperaturen bis herunter zur Zimmertemperatur Wasserstoff zu gewinnen. Das öffnete quasi Wege zur praktikablen chemischen Speicherung dieses Grundstoffs und gab der Forschung auf diesem Gebiet weltweit einen deutlichen Impuls. Dr. Junge: „Auf der Suche nach weiteren H2-Quellen lag es nahe zu schauen, inwieweit sich auch Methylformiat als Speicher eignet, das ja aus Ameisensäure und Methanol unter Wasserabspaltung entsteht.“ Es hatte bislang nur noch niemand getan.
Unerwartet machtvoller Start
Die Freisetzung von Wasserstoff aus einem Methylformiat-Wasser-Gemisch ist chemisch gesehen eine Dehydrierung. Am Likat geschieht dies im Druckreaktor in Gegenwart eines Ruthenium-Katalysators. Die Menge des produzierten Wasserstoffgases lässt sich präzise aus dem Druck ablesen, der im Reaktor entsteht.
Unter den Bedingungen in den Versuchsreihen gab Ameisensäure den Wasserstoff deutlich langsamer frei. Dr. Junge: „Bei wässrigem Methanol läuft die Freisetzung etwas schneller, stoppt aber bald, indem sich das chemische Gleichgewicht einstellt.“ Beim Methylformiat-Wasser-Gemisch hingegen schoss der Druck sofort und deutlich in die Höhe. „Das war überraschend und im Grunde nur zu erklären, wenn wir der Reaktion einen bislang unbekannten Mechanismus unterstellten.“
Methylformiat setzte den Wasserstoff 20mal so schnell wie Methanol und fünfmal so schnell wie Ameisensäure frei. Solche Werte haben Konsequenzen für die spätere Praxis. Dr. Junge: „Wer mit seinem Verfahren einen Energieträger um den Faktor 20 schneller als üblich bereitzustellen vermag, kann z.B. seine Anlage entsprechend kleiner planen oder mehr Nutzer als geplant versorgen.“ Ihren Anspruch an Praxis-Relevanz sichern sich die Likat-Chemiker durch Kooperation mit der APEX-Group, einem auf Wasserstofftechnologien spezialisierten Unternehmen in Rostock-Laage. Im Ergebnis wurden zwei Patente angemeldet.
Suche nach dem Mechanismus
„Wer solche überraschenden Werte vorweist, muss auch in der Lage sein, den molekularen Mechanismus dahinter aufzudecken“, wie Dr. Junge sagt. Die Gruppe diskutierte ihre Befunde mit den Theoretikern am Likat. Deren Berechnungen zu den Reaktionen gaben wiederum Ausschlag für neue Laborversuche.
Zwischenprodukte der Reaktion, sogenannte Intermediate, ließ die Gruppe u.a. mit NMR und Röntgenstrukturanalyse untersuchen. Dieser Part oblag Dr. Elisabetta Alberico vom Forschungsinstitut für Chemie und Molekularbiologie in Sassari, Sardinien, die als Gastwissenschaftlerin in Rostock am Likat weilte. Ihr gelang es, jene Species im Katalysezyklus zu identifizieren, die die H2-Freisetzung beschleunigen und auch sonst eine entscheidende Rolle in der Reaktion spielen – Erkenntnisse, die wiederum benötigt werden, wenn es darum geht den chemischen Prozess zu optimieren.