Mobilität: Wissenschaft

Hitzerisiko und Mobilität: Eine Frage des Einkommens

Hitzerisiko und Mobilität: Ärmere Menschen im Nachteil
Subway. Bild: Taylor Heery | Unsplash

[PIK] – Extreme Hitze verschärft soziale Ungleich­heiten mit Hinblick auf die Nutzung der U-Bahn und Mobilität in Großstädten. Das zeigt eine neue Studie von Forscherinnen des Potsdam-Instituts für Klima­folgen­forschung (PIK). Die Analyse von Temperatur­aus­wirkungen auf die U-Bahn-Nutzung der Menschen in New York City stellt fest, dass es vor allem in einkommens­schwachen Gegenden weniger Kapazität gibt, das Hitzerisiko durch ein verändertes Mobili­täts­ver­halten zu vermeiden. Dies kann zu zusätz­lichem Hitzestress führen und Gesund­heits­risiken erhöhen.

„Wir haben herausgefunden, dass in weniger privi­legierten Gegenden von New York City – anders als in anderen Teilen der Stadt – die U-Bahn bei heißem Wetter weiterhin viel genutzt wird. Das bedeutet, dass in Nachbar­schaften, in denen Menschen mit geringerem Einkommen, kleineren Wohnungen, kaum Kranken­versich­erungen und weniger Klima­anlagen leben, auch an heißen Tagen die U-Bahn-Nutzung nicht vermieden wird“, betont Annika Stechemesser, Forscherin am PIK und Haupt­autorin der Studie. „Dies gilt sogar für die Wochen­enden, an denen Menschen über­wiegend mehr Entschei­dungs­freiheit haben als an Arbeits­tagen. Es sind also vor allem Menschen, die bereits ein höheres Hitzerisiko tragen, die offenbar die wenigsten Möglich­keiten haben, ihre Mobilität anzupassen, um Hitze zu vermeiden.“

Extreme Hitzeperioden sind in den letzten Jahr­zehnten häufiger geworden und werden aufgrund des menschen­gemach­ten Klimawandels voraus­sicht­lich weiter zunehmen. Dies wirkt sich vor allem in dicht besiedelten Städten negativ aus. Die U-Bahn-Stationen in New York haben bereits ein ernst­haftes Hitze­problem: Dort herrschen häufig bis zu 6 Grad höhere Tempera­turen als an der Ober­fläche. Häufige Verspätungen im U-Bahn-System können zu langen Warte­zeiten in über­hitzten und über­füllten Stationen führen.

Daten von 438 U-Bahn-Stationen in New York zeigen:
Menschen, die bereits höherem Hitze­risiko ausgesetzt sind, haben die wenigsten Möglichkeiten, sich anzupassen.

Täglicher Hitzestress wird nicht nur dadurch bestimmt, wie stark man der Hitze ausgesetzt ist, sondern auch durch die Fähigkeit, Hitze zu vermeiden. Konkret kann dies beispiels­weise bedeuten, die U-Bahn weniger zu nutzen. Die Möglichkeit, das eigene Mobili­täts­verhalten an hohe Temperaturen anzupassen ist jedoch ein Privileg, das oft mit anderen Privilegien wie einer guten Kranken­versich­erung einhergeht, betonen die Forscherinnen.

Für ihre Hitzerisiko-Studie, die in der Fachzeitschrift The Lancet Planetary Health veröffent­licht wird, analy­sierten die Wissen­schaft­lerinnen mit statis­tischen Methoden Mobilitäts­daten von 438 New Yorker U-Bahn Stationen in verschie­denen Stadt­vierteln im Zeitraum vor der Covid-19-Pandemie von 2014 bis 2019. Sie fanden heraus, dass an heißen Tagen insgesamt weniger Menschen die U-Bahn nutzten, selbst dann, wenn man andere Faktoren wie Tourismus und Feiertage berück­sichtigt. Es wurde aller­dings deutlich, dass es vor allem die reicheren, privilegier­teren Viertel waren, in denen die Nutzung der U-Bahn bei Hitze zurückging.

Als mögliche Gründe für die eingeschränkte Anpassungs­fähig­keit in weniger privi­legier­ten Stadt­vierteln nennen die Autorinnen, dass Menschen mit geringer bezahlten Jobs seltener Home­office in Anspruch nehmen können. Zusätzlich müssen sie häufiger am Wochen­ende arbeiten oder sogar einen zweiten Job annehmen, um über die Runden zu kommen. Dies kann zu mehr U-Bahn Nutzung führen. Mit einem kleinen Budget zu leben, verringert auch die Möglich­keit, bei Hitze die Stadt zu verlassen und in den Urlaub zu fahren. Zudem sind Menschen in hitze­exponier­ten, einkommens­schwachen Vierteln wahrschein­lich auf die U-Bahn angewiesen, um kühlere Zonen der Stadt zu erreichen.

„Nicht nur die Auswirkungen des Klimawandels sind sehr ungleich verteilt und treffen oft die Ärmsten am härtesten. Es geht auch um die Möglich­keiten der Anpassung. Selbst innerhalb ein und derselben Stadt haben weniger privilegierte Menschen geringere Möglich­keiten sich zu schützen, indem sie zum Beispiel ihr Mobilitäts­verhalten anpassen. Wir müssen diese Ungleich­heiten berücksichtigen, um zu vermeiden, dass sich Hitze- und Gesund­heits­risiken verstärken“, sagt Leonie Wenz, Mitautorin der Studie und stellvertretende Leiterin der Forschungs­abteilung „Komplexitätsforschung“ am PIK.


Annika Stechemesser, Leonie Wenz (2023): Inequality in behavioural heat adaptation: an empirical study using mobility data from the New York City transport system. The Lancet Planetary Health. [DOI: 10.1016/S2542-5196(23)00195-X]