[DLR] – Slip Coaching ermöglicht einen dichteren Takt, kürzere Reisezeiten und neue Direktverbindungen auf der Schiene: Mehrere Zugteile fahren virtuell gekuppelt zwischen Knotenbahnhöfen. An Zwischenstationen halten nur einzelne Zugteile, während der Hauptzug mit voller Geschwindigkeit durchfahren kann. Moderne Leit- und Sicherungstechnik sowie neuartige Kommunikations-, Ortungs- und Sensorsysteme machen das Konzept möglich.
Dem Klima kommt es zugute, wenn ein großer Teil des Verkehrs zukünftig auf der Schiene stattfindet. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) daher an neuen Ideen, die Schiene als Verkehrsträger für den Personen- und den Güterverkehr attraktiver zu machen. Wenn aber langfristig immer mehr Menschen mit der Bahn reisen, muss das Fahrplanangebot im Schienenverkehr ausgebaut werden. Ein möglicher Infrastrukturausbau ist teuer und kostet viel Zeit. Doch welche anderen Möglichkeiten gibt es?
Getrennt und doch gemeinsam
Ein verbessertes Angebot mit dichterem Takt, kürzeren Reisezeiten und zusätzlichen Direktverbindungen – dazu könnte das so genannte Slip Coaching führen. Seit 2007 arbeitet das DLR an dem Konzept für einen zukunftsweisenden Hochgeschwindigkeitszug, dem Next Generation Train (NGT). Die vom DLR entwickelten Ideen für diese neuen Züge haben eine Vielzahl von Vorteilen: sie sind schneller, komfortabler, flexibler und bringen Personen, Gepäck oder Güter sicherer und ressourcenschonender ans Ziel. „Eine sowohl betriebliche als auch technische Innovation des NGT stellt das dynamische Flügeln dar“, sagt Michael Mönsters vom DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik. „Diese Funktion ermöglicht wiederum das virtuelle Kuppeln von Zügen während der Fahrt.“
Ein virtuell gekuppelter Zugverband ist mechanisch nicht fest miteinander verbunden, trotzdem fahren die Triebzugeinheiten in einem definierten Raumabstand auf der Strecke. Damit das funktioniert, müssen die Zugteile kontinuierlich miteinander kommunizieren. Sie tauschen zum Beispiel Informationen über die Geschwindigkeit aus, die für das Regeln der Abstände zwischen den Zugteilen wichtig ist.
Vom Gestern ins Heute: Slip Coaching
„Ergänzt man das virtuelle Kuppeln und das dynamische Flügeln mit dem Slip Coaching, das seine Ursprünge im Eisenbahnbetrieb des 20. Jahrhunderts hat, entsteht das neuartige Slip Coaching, an dem wir arbeiten“, sagt Mönsters. Beim historischen Slip Coaching werden einzelne Wagen am Zugende während der Fahrt vom Zugverband getrennt und am nächsten Zwischenbahnhof von einem Zugbegleiter gebremst. Der restliche Zugverband setzt seine Fahrt mit unveränderter Geschwindigkeit fort. Das Verfahren konnte sich langfristig aber nicht durchsetzen, zu groß waren der Arbeitsaufwand und die Sorge um die Sicherheit während des Bremsvorgangs.
Mit moderner Leit- und Sicherungstechnik und der Nutzung neuartiger Kommunikations-, Ortungs- und Sensorsysteme hauchen die Forscherinnen und Forscher des DLR dem alten Konzept nun modernes Leben ein: Sie greifen den herkömmlichen Ansatz des Slip Coachings auf und ergänzen ihn um das dynamische Flügeln, das virtuelle Kuppeln und einen elektrischen Antrieb der einzelnen Wageneinheiten. „Beim zukünftigen Slip-Coaching-Verfahren verkehren mehrere Zugteile virtuell gekuppelt zwischen Knotenbahnhöfen“, erklärt Mönsters. „An Zwischenstationen halten nur einzelne Zugteile, während der Hauptzug mit voller Geschwindigkeit durchfahren kann.“
Im Detail sieht das dann so aus: Die Zugverbände bestehen aus mehreren kurzen, einzeln angetriebenen und untereinander virtuell gekuppelten Einheiten. Sie fahren von einem größeren Knotenbahnhof gemeinsam ab. Wird ein Zwischenbahnhof erreicht, löst sich die jeweils letzte Einheit aus der virtuellen Kupplung und lässt sich zurückfallen, um am Bahnsteig des durchgehenden Hauptgleises zu halten. Nach dem Fahrgastwechsel an diesem Bahnsteig beschleunigt die Einheit wieder und ein folgender Zugverband nimmt sie mittels virtueller Kupplung auf.
Im Jahr 2021 haben die DLR-Forschenden die prinzipielle Machbarkeit des neuartigen Slip Coachings in einer Simulation gezeigt. „Das Verfahren könnte ein Baustein sein, das Ziel der Verkehrsverlagerung auf die Schiene zu erreichen. Denn es ermöglicht ein schnelles, regelmäßiges und durch Direktverbindungen attraktiveres Angebot“, fasst Mönsters zusammen. „Der nächste Schritt wäre, das virtuelle Kuppeln bald anhand eines realen Prototyps zu erproben.“
Um die Effekte des virtuellen Kuppelns und des Slip Coachings aufzuzeigen, haben die DLR-Wissenschaftlerinnen und DLR-Wissenschaftler einen interaktiven Online-Demonstrator konstruiert. Die Software besteht aus einer grafischen Benutzeroberfläche und bietet den Nutzenden die Möglichkeit, zahlreiche Parameter zu verändern und deren Auswirkungen auf den Betrieb direkt betrachten zu können. Zusätzlich zeigt der Demonstrator die erwarteten Auswirkungen auf ein Eisenbahnsystem, das mit virtuellem Kuppeln und Slip Coaching betrieben wird. Den Online-Demonstrator live erleben und ausprobieren – das ist auch am DLR-Stand (Halle 2.2, Stand 460) auf der InnoTrans vom 20. bis 23. September 2022 in Berlin möglich.