Standpunkt

Mehr Sicherheit durch Digitalisierung …?

Editorial 4/2017 Sicherheit durch Digitalisierung

Ein Statement zum Thema Digitalisierung von Eberhard Buhl,
Redaktion Internationales Verkehrswesen

Rund um das Thema Mobilität stehen Digitalisierung, Automatisierung und die entsprechenden Sicherheitsaspekte derzeit besonders im Fokus. Smartphone-Applikationen für eine flexible „Tür-zu-Tür-Mobilität“ haben Carsharing und Ridesharing, mobile Reiseplanung oder mobiles Bezahlen in Bus und Bahn gewissermaßen kinderleicht und alltagstauglich gemacht. Das autonome – oder besser: mehr oder weniger hoch automatisierte – Fahren wiederum wird nicht nur an Stammtischen zur Zukunfts- und Schicksalsfrage des Autofahrens stilisiert: Am Individualverkehr festgemacht, taugt der Themenkreis durchaus zum Aufreger.

Politik, Wissenschaft und Forschung tun sicher gut daran, das Thema eher sachlich zu betrachten – und voranzutreiben. Eine VDI-interne Umfrage vor einigen Monaten ergab nicht ganz unerwartet, dass die befragten Ingenieure das autonome Fahren beziehungsweise die Automatisierung des Verkehrs mit 37% an der Spitze der aktuellen Mobilitätsthemen sehen. Gleichermaßen akute Fragen wie Alternative Antriebe (30%), Infrastruktur (15%) oder Öffentlicher Verkehr (10%) landeten hier eher auf den hinteren Plätzen.

Ebenfalls ganz aktuell hat der Verband der Motorjournalisten VdM (www.motorjournalist.de) ein umfassendes Kompendium zum autonomen Fahren herausgebracht, das sich unter dem Schlagwort „Roboter mit Moral – Die neuen Verkehrsteilnehmer?” mit dem weiten Themenspektrum fahrerloses Automobil beschäftigt. Welche Chancen und Herausforderungen bieten sich im urbanen Umfeld, aber auch für ländliche Regionen? Wie wird die Digitalisierung und Automatisierung der Mobilität von jüngeren und von älteren Menschen wahrgenommen? Und wie viel der oft beschworenen Verkehrssicherheit bringt die Automatisierung des Individualverkehrs wirklich?

Sicher ist: Selbstfahrende Autos und Busse eröffnen ganz neue zusätzliche Möglichkeiten, von A nach B zu kommen – und wieder zurück. Klar ist auch, dass durch die technisch längst beherrschte Sensor-Kommunikation der Erfahrungshorizont eines Car2X-Fahrzeugs siginfikant um Informationen der Infrastruktur oder anderer Fahrzeuge erweitert wird: Die digitalisierten Autos können „um die Ecke sehen“, reagieren blitzschnell und ermüden nicht.

Die klassische Fangfrage, ob im Zweifelsfall die Mutter mit Kinderwagen oder der Rentner mit Rollator zu überfahren wäre, lässt sich auch durch sorgfältiges Programmieren einer Steuersoftware nicht beantworten.

Zweifelsfrei können sie das besser als der Mensch, versprechen in dieser Hinsicht also objektiv mehr Sicherheit. Wissenschaftsautoren wie der St. Galler Professor Andreas Herrmann  wollen denn auch „den Menschen so schnell wie möglich aus dem Verkehr ziehen“, wie kürzlich auf Spiegel online zu lesen war.

Das ist publikumswirksam, doch mit Vorsicht zu genießen: Wenn Statistiken vermelden, dass heute – je nach Interpretation der Fakten – etwa 6 % der Unfälle auf technisches Versagen zurückzuführen sind, heißt das keineswegs, dass bei den verbleibenden 94 % der Fälle stets der Mensch versagt hat. Denn eines hat der Mensch der Maschine voraus: Die Fähigkeit, in kritischen Situationen intuitiv Entscheidungen zu treffen.

Die technischen Herausforderungen beim automatisierten Fahren sind zwar einigermaßen komplex, könnten jedoch verglichen mit gesellschaftlichen Fragen vergleichsweise trivial sein. Auch wenn der Bericht der Ethik-Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren im Juni des Jahres einige erste Leitlinien aufgestellt hat: Die klassische Fangfrage, ob im Zweifelsfall die Mutter mit Kinderwagen oder der Rentner mit Rollator zu überfahren wäre, lässt sich auch durch sorgfältiges Programmieren einer Steuersoftware nicht beantworten. Ein Ethik-Modus, der vorrangig das Leben der Autoinsassen schützt, wäre ohnehin rechtlich und moralisch höchst fragwürdig.

All diesen spannenden Fragen und Erkenntnissen rund um die Mobilität von morgen räumt Internationales Verkehrswesen in Heft 4|2017 und in kommenden Ausgaben einigen Platz ein.

Das jedenfalls ist sicher.


Veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen (69), Heft 4 | 2017