Standpunkt

Infrastruktur nicht länger stief­mütter­lich behandeln

Ein Statement von Prof. Dr. Barbara Lenz, ehem. Direktorin Institut für Verkehrs­forschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin, und Mitglied im Herausgebergremium von Internationales Verkehrswesen.

Infrastruktur – eine simple bauliche und technische Notwendigkeit? Als Thema nicht sonderlich sexy? Einschätzungen wie diese sollten längst passé sein, denn an allen Ecken und Ende des Verkehrsgeschehens spüren und erleben wir, wie wichtig es ist, über leistungsfähige Infrastrukturen zu verfügen und deren Chancen bestmöglich zu nutzen. Das gilt für die Mobilität von Personen genauso wie für den Transport von Gütern.

Dabei geht es längst nicht mehr alleine um die Erhöhung von Kapazitäten durch mehr und immer modernere Infrastrukturen und durch deren effiziente Nutzung. Vielmehr müssen Infrastrukturen heute dem Gebot der Nachhaltigkeit in allen ihren Dimensionen Rechnung tragen. Das heißt: Neben der wirtschaftlichen Bedeutung sollen sie dazu beitragen, dass alle Menschen – in den Städten ebenso wie im ländlichen Raum – ihre Mobilitäts­bedürf­nisse umsetzen können. Gleichzeitig wird erwartet, dass Infrastrukturen als „Enabler“ Mobilität und Transport umfassend möglich machen, ohne damit einer Beeinträchtigung von Umwelt und Klima Vorschub zu leisten, wie sie heute vom Verkehr ausgeht.

Das bedeutet beispielsweise, den schieren Umfang an Flächenverbrauch für Infra­struktur­bauten in engen Grenzen zu halten. Aber auch, die digitale Ertüchtigung von Infra­struk­turen, um deren Nutzbarkeit signifikant zu erhöhen oder nach und nach automati­sierte Dienste umzusetzen. Beispiele für entsprechende Anstrengungen gibt es in Deutschland und im Zusammenspiel zwischen Deutschland und den europäischen Nachbarn genügend, man denke nur an den Ausbau der TEN-T Netze. Dass für den Ausbau und die Inter­operabilität von Infrastrukturen in einem letztendlich europäischen Verkehrs­system in den kommenden Jahren erhebliche Investitionen von vielen Milliarden Euro notwendig sein werden, steht außer Frage; dies gilt auch mit Blick auf die Anpassung und den Erhalt von bestehenden Infrastrukturen.

Die Zielsetzungen, die auf der Bundesebene ebenso wie auf der Ebene von Ländern und Kommunen in Richtung Transformation des Verkehrs in Programmen, Strategien und Masterplänen festgehalten werden – massive Veränderung des Modal Split zugunsten des Umweltverbundes im Personenverkehr und steigende Verlagerung von Güterverkehren auf klimaschonende Verkehrsmittel –, lassen sich ohne entsprechende Infrastrukturen nicht realisieren. Daneben darf nicht vergessen werden, dass die Akzeptanz von alterna­ti­ven Mobilitätsoptionen eng gebunden ist an die Verfügbarkeit von Infrastrukturen, die von zufriedenstellenden Netzen über den digitalen Zugang zu Mobilitätsdiensten bis hin zum überdachten Wartehäuschen an der Bushaltestelle reichen, wobei das eine wie das andere dem Zweck dient, die Nutzung von alternativen Optionen einfach und gleichzeitig attraktiv zu machen.

Liebe Leserinnen und Leser, Ausgabe 4 / 2023 unseres Journals präsentiert vielseitige und gleichzeitig wesentliche neue Erkenntnisse und Aspekte in der Diskussion um Aufgaben, Herausforderungen und Zukunft der Verkehrsinfrastrukturen. Unsere Autorinnen und Autoren greifen das Thema „Infrastruktur“ sowohl mit Bezug zum Personen- als auch zum Güterverkehr auf. Sie nehmen die Frage nach den Dienstleistungen auf diesen Infra­struk­turen in den Blick, sie berichten über die Forschung und Tests zu digitalen Infrastrukturen und sie beleuchten aktuelle Entwicklungen im internationalen Kontext.

Dazu wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre.


Erschienen in Internationales Verkehrswesen (75), Heft 4/2023