[DLR] – Der Anflug auf einen Flughafen ist in der Regel die arbeitsintensivste Phase eines Fluges. Die Pilotinnen und Piloten müssen Geschwindigkeit, Höhe, Triebwerksschub, Lande- und Bremsklappen kontrollieren und gleichzeitig auf wechselnde Winde, den Verkehr und die Anweisungen der Fluglotsen reagieren. Dabei gilt ein ähnliches Prinzip wie für Autofahrer am Boden: Vorausschauendes Fahren erlaubt es, Treibstoff zu sparen. Vorausschauendes Fliegen senkt zusätzlich noch die Lärmemission – LNAS hilft dabei.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat ein Assistenzsystem für den kontinuierlichen Sinkflug entwickelt, das den Piloten via Display im Cockpit empfielt, was für einen umweltfreundlichen Landeanflug zu tun ist. Das System mit dem Namen LNAS (Low Noise Augmentation System) berechnet die optimale Höhe, Sinkrate, die ideale Geschwindigkeit und Konfiguration des Flugzeugs und korrigiert die Empfehlungen dynamisch während des Anflugs. Im September 2019 erfolgten mehr als 90 Test-Anflüge auf Piste 14 des Flughafens Zürich mit dem Assistenzsystem LNAS an Bord des DLR-Forschungsflugzeugs A320 ATRA (Advanced Technology Research Aircraft). 70 untereinander vergleichbare Anflüge flossen in die Auswertung ein. Die Empa überprüfte die Wirksamkeit mit einer Reihe von Lärmmessungen entlang der Anflugroute. Nun liegen die Ergebnisse vor und wurden an das Schweizer Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) übermittelt.
Höchste Präzision beim Anflug – ein Wettstreit zwischen Pilot und Computer
Für die Flugversuche wurden 23 Pilotinnen und Piloten der Swiss, der Edelweiss und der Lufthansa in zwei Gruppen aufgeteilt. 14 nutzten das Assistenzsystems LNAS und bekamen damit den optimalen Zeitpunkt für das Ausfahren von Klappen und Fahrwerk angezeigt. Sie nutzten diese Informationen für eine lärm- und verbrauchsoptimierte Bremsphase während des Anflugs. Die anderen neun versuchten ohne LNAS-Computerunterstützung, so geräuscharm und treibstoffsparend wie möglich zu fliegen. Das Flugzeug steuerte jeweils einer der teilnehmenden Linienpiloten, als Copilot fungierte ein Testpilot des DLR. Jeder der 70 berücksichtigten Anflüge begann jeweils in 7.000 Fuß (2.100 Metern über dem Meeresspiegel) mit 220 Knoten (rund 400 km/h). 43 Anflüge wurden mit Hilfe von LNAS geflogen, 27 ohne LNAS. Stationiert und betrieben wurde der A320 ATRA vom Flugplatz Dübendorf aus, auf dem immer wieder wissenschaftliche Forschungskampagnen stattfinden.
In den vom DLR-Institut für Flugsystemtechnik ausgewerteten Flugdaten zeigte sich, dass die Pilotinnen und Piloten mit LNAS die Sinkflüge viel einheitlicher und exakter flogen als die Kollegen und Kolleginnen, die ohne Assistenzsystem unterwegs waren. Auch der Verlauf der Fluggeschwindigkeit war mit LNAS deutlich gleichmäßiger. Auf den Einsatz von geräuschintensiven Bremsklappen konnte bei den Anflügen mit LNAS vollständig verzichtet werden.
Wahrnehmbare Reduktion der Lautstärke
Der zentrale Fokus des LNAS-Assistenzsystems liegt in der Reduktion der akustischen Ausreißer, welche überproportional zur Lärmbelastung beitragen. Denn einzelne besonders laute Anflüge sind für Anwohner besonders störend. Mit Hilfe von LNAS gelang es, diese Ausreißer zu vermeiden und damit auch die lautesten Anflüge um bis zu 3 Dezibel leiser zu machen, was einer wahrnehmbaren Verringerung der Lautstärke um etwa ein Drittel entspricht.
Die Lärmemissionen der Flugversuche wurden mit sechs Messstationen rund 6,3 bis 18 Kilometer vor dem Aufsetzpunkt erfasst. Dazu wurden auch Messtellen auf deutschem Gebiet im Landkreis Waldshut aufgestellt. An den am weitesten entfernten Messpunkten Hasle und Steinrütte, rund 18 bzw. 16,5 Kilometer vom Aufsetzen entfernt, konnte eine mittlere Reduktion von rund 1 Dezibel beobachtet werden. Zwischen Kaiserstuhl und Weiach, rund 10 bis 13 Kilometer vor dem Aufsetzpunkt, lag der mittlere Unterschied der Lärmpegel bei bis zu 1,8 Dezibel.
Nachträglich wurden die Anflüge mit dem Empa Fluglärmmodell sonAIR unter Verwendung der Flugparameter und meteorologischer Parameter simuliert, um auch in den Bereichen Aussagen treffen zu können, wo keine Messtellen aufgestellt werden konnten. Die mit Hilfe von sonAIR berechneten Lärmkarten bestätigen die Messergebnisse und zeigen ein zusätzliches Reduktionspotential im Südschwarzwald, etwa 24 Kilometer vor der Pistenschwelle mit einer deutlichen mittleren Schallpegelreduktion von bis zu 3 Dezibel.
Ideales Landen mit weniger CO2-Emissionen
Über den Vergleich der Anflüge der beiden Pilotengruppen ermittelten die Forscher auch die mittlere Treibstoffeinsparung, die sich durch LNAS erzielen lässt. Auf den letzten knapp 50 Kilometern vor der Landebahn brauchten die Pilotinnen und Piloten mit LNAS im Mittel 8,9 Kilogramm weniger Kerosin als ohne LNAS. Hochgerechnet auf alle A320 Flüge der Swiss (Flugbewegungen 2017) könnte LNAS also rund 500 Tonnen Kerosin pro Jahr einsparen. Da das Assistenzsystem bereits ab der Reiseflughöhe, also ab rund 200 Kilometern vor der Piste eingesetzt werden kann, ist das Sparpotential noch deutlich größer. Konservativ gerechnet ergibt sich eine jährliche Einsparung von 3.000 Tonnen Kerosin, was rund 9.000 Tonnen CO2 entspricht, wenn lediglich die A320-Flotte der Swiss mit LNAS ausgerüstet werden würde.
Mit dem Abschlussbericht zu Händen des Schweizer Bundesamts für Zivilluftfahrt (BAZL) findet ein dreijähriges Forschungsprojekt seinen Abschluss. Beteiligt waren die Swiss SkyLab Foundation, die Empa und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Schweizer Luftwaffe stellte ihren Stützpunkt Dübendorf während der fünftägigen Testflüge für die Stationierung des DLR-Forschungsflugzeug ATRA zur Verfügung. Die Skyguide stand in der Entwicklung beratend zur Seite und ermöglichte die große Anzahl der Anflüge. Der Flughafen Zürich ermöglichte die Lärmmessungen außerhalb der Schweiz.
Das Projekt wurde durch das Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL über die Spezialfinanzierung Luftverkehr (nach Art. 87b BV: Verordnung über die Verwendung der zweckgebundenen Mineralölsteuer für Maßnahmen im Luftverkehr zur Begrenzung der Auswirkungen des Luftverkehrs auf die Umwelt), das Amt für Verkehr der Volkswirtschaftsdirektion des Kanton Zürich, das Bundesamt für Umwelt BAFU und durch Eigenmittel der Projektpartner finanziert.
Nachfolgendes EU-Forschungsprojekt: DYNCAT
Ab Juli 2020 startet koordiniert vom DLR das weiterführende Forschungsprojekt DYNCAT (Dynamic Configuration Adjustment in the TMA), an dem neben den bisherigen Forschungspartnern auch die Swiss und der Elektronikkonzern Thales Avionics beteiligt ist. Ziel des im Rahmen der europäischen Programme Horizon 2020 und SESAR (Single European Sky ATM Research Programme) geförderten Forschung ist es, zukünftig die Fähigkeiten des vom DLR entwickelten LNAS-Assistenzsystems in die zentralen Navigationsrechner von Verkehrsflugzeugen zu integrieren. So könnten lärm- und verbrauchsoptimierte Landeanflüge an Bord vieler schon existierender Airliner Einzug halten.
Swiss SkyLab Foundation: SkyLab ist eine 2016 gegründete Stiftung zur Förderung der wissenschaftlichen Nutzung von Flugplattformen in der Schweiz. SkyLab arbeit über den Space Hub der Universität Zürich (UZH) mit dem Switzerland Innovation Park Zurich zusammen. SkyLab organisiert mit der UZH die regelmässigen Swiss Parabolic Flight Campaigns ab dem Flugplatz Dübendorf für Forschungen in der Schwerelosigkeit. Mittelfristig verfolgt SkyLab die Entwicklung des Standort Dübendorf zu einem Forschungsflugplatz.
Eidgenössische Materialprüfungsanstalt (Empa): Die Empa ist das interdisziplinäre Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Materialwissenschaften und Technologie des ETH-Bereichs. Sie verfügt über drei Standorte – Dübendorf, St. Gallen und Thun.