Politik: Strategie

Grüner Wasserstoff: Probleme benennen, Rahmen setzen

Grüner Wasserstoff
Symbolbild: Roman | pixabay

Die Politik sollte den Herausforderungen bewusst begegnen

[Wuppertal Institut] – Grüner Wasserstoff erscheint heute oft wie eine Wunder­waffe gegen Energie­knappheit und klima­schädliche Emissionen. So gut wie niemand hat Einwände dagegen, ihn in der energie­inten­siven Industrie zu nutzen. Nach der Auswertung zweier Akzep­tanz­studien regt das Wuppertal Institut in einem „In Brief“ daher an, die offenen Fragen zum Thema grüner Wasserstoff in der poli­tischen Kommunikation klarer zu benennen. Denn: Nicht alle Branchen können mittel­fristig bereits mit grünem Wasserstoff versorgt werden. Und auch Nach­haltig­keits­be­denken und der Aufbau einer Wasser­stoff-Infra­struktur könnten noch an den guten Akzeptanz­werten für grünen Wasser­stoff rütteln, wenn nicht besser aufgeklärt wird.

Die Zustimmung zum Einsatz von grünem Wasserstoff ist groß. Sowohl die Öffent­lich­keit als auch Expert*innen aus Gewerk­schaften, Umwelt­ver­bänden, Unternehmen und Industrie­verbänden befürworten die Nutzung des klima­freund­lichen Gases in industriellen Prozessen. 85 % der Öffent­lichkeit sehen diese Nutzung positiv, nur 3,4 % deutlich kritisch. Auch die befragten Industrie­expert*innen sind sich einig: Grüner Wasserstoff ist ein zentraler Baustein der Trans­formation zur Klima­neutra­lität in der Industrie. Das ist das Ergebnis von Befragungen des Wupper­tal Instituts im Rahmen des Projekts Protanz.NRW. An dem Vorhaben sind auch die Bergische Universität Wuppertal, die Hochschule Bochum, die Ruhr Universität Bochum und die RWTH Aachen beteiligt.

„Nicht für jede Branche wird grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen“
Für die energieintensive Industrie in Nordrhein-Westfalen ist eine zuverlässige Energie­ver­sorgung entscheidend – hierzu kann Wasser­stoff beitragen. Hinzu kommt die Möglichkeit, Wasserstoff in neue Pro­duktions­prozesse wie die Direkt­reduk­tion von Eisen in der Stahl­indus­trie einzubinden. Anders ausgedrückt: Ohne grünen Wasserstoff ist Klima­neutra­lität in vielen Branchen bis 2045 nicht möglich.

Wasserstoff hat ein enormes Transfor­mations­po­tenzial. Aber eine wissen­schaft­liche Betrachtung zeigt auch: „Die in Deutschland verfüg­baren Kapazitäten von grünem Wasser­stoff sind mittel­fristig noch begrenzt. Nicht für jede Branche wird grüner Wasserstoff daher recht­zeitig zur Verfügung stehen. Ohne massiven Ausbau der erneuer­baren Energien und der Infra­struktur für Wasser­stoff-Transport und -Speicherung sowie ohne Importe wird es nicht gehen“, sagt Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, Präsident und wissen­schaft­licher Geschäfts­führer des Wuppertal Instituts.

„Es darf mit Blick auf die grundsätzlich breite Akzeptanz von Wasserstoff daher nicht der Eindruck entstehen, dass der Aufbau einer Wasser­stoff­wirt­schaft ein Selbst­gänger ist, sondern klarer Rahmen­bedingungen bedarf“, ergänzt Katja Witte, kommissarische Leiterin der Abteilung Zukünf­tige Energie- und Industrie­systeme am Wuppertal Institut.

Das Wuppertal Institut schlägt daher ein abgestimmtes politisches Handeln vor, besonders in folgenden Punkten:

  • Um den begrenzt verfügbaren grünen Wasserstoff zielgerichtet einzusetzen, sollten Branchen priorisiert werden, die ihre Produktion nicht auf einem anderen Weg sinnvoll klimaneutral gestalten können – zum Beispiel Stahl und Chemie.
  • Sektoren wie Mobilität und Gebäude sollten durch ökonomische und politische Anreize dazu ermutigt werden, alternative Ansätze zum Wasserstoff wie etwa Mobilität und Gebäude verfolgen zu können.
  • Um Akzeptanzprobleme zu vermeiden, sollte deutlicher benannt werden, dass sowohl die heimische Bereitstellung als auch der Import von grünem Wasserstoff mit offenen Fragen verbunden sind. Diese Fragen betreffen beispielsweise die Geschwin­dig­keit des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien in Deutschland, die Nachhaltigkeit der Transportwege und Aspekte der sozialen Gerechtigkeit, wie etwa den Umgang mit der begrenzten Ressource Wasser in den Produktionsländern (sowie mit den Lieferketten verbundene geopolitische Risiken).
  • Heimische Erzeugung und Import von Wasserstoff sollten daher an strenge soziale und ökologische Nachhaltigkeitskriterien gekoppelt werden.
  • Für die Einführungsphase von grünem Wasserstoff werden pragmatische Regeln benötigt.
  • 47 % der Bevölkerung in NRW geben an, noch nichts über grünen Wasserstoff zu wissen. Mögliche negative Reaktionen seitens der Bevölkerung werden vor allem bei lokalen Infrastrukturprojekten rund um grünen Wasserstoff erwartet. Hier gilt es frühzeitig zu informieren und die lokale Bevölkerung mit einzubeziehen. Entschei­dend wird sein, den Mehrwert des Einsatzes von Wasserstoff kommunikativ gut vermitteln zu können und gleichwohl auf die Risiken transparent hinzuweisen.

Sowohl das Wuppertal Institut als auch die befragten Expert*innen regen beim Thema grüner Wasserstoff im aktuellen „In Brief“ an, in die Industrie und in die Öffentlichkeit hinein offen und realitätsnah zu kommunizieren. So würden keine falschen Hoffnungen geweckt und bestimmte Industriebranchen können davon abgehalten werden, auf dem Weg in die Nachhaltigkeitstransformation falsche Entscheidungen zu treffen. Nur so gelingt es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Akzeptanzwerte von Wasserstoff stabil hoch zu halten.


Die Publikation: In Brief – Die Akzeptanz von grünem Wasserstoff in Nordrhein-Westfalen: Status quo und Handlungsempfehlungen