Zwei am Lehrgebiet Rechnerarchitektur der FernUniversität in Hagen entwickelte Flugassistenzsysteme können das Fliegen sicherer machen: Eines der Systeme ermöglicht bei einem totalen Triebwerksausfall den Piloten ein sicheres Gleiten zu einem Notlandeplatz, ein weiteres Assistenzsystem erleichtert Segelfliegern das Erreichen größerer Höhen. Präsentiert werden beide Systeme von Prof. Dr.-Ing. Wolfram Schiffmann auf der Internationalen Fachmesse für Allgemeine Luftfahrt AERO vom 5. bis 8. April in Friedrichshafen.
Flugassistenzsysteme können Leben retten
Am 15. Januar 2009 wurde Chesley B. Sullenberger weltberühmt: Dem Flugkapitän gelang nach einem Gleitflug mit seinem Airbus A320 eine Notwasserung auf dem Hudson River, nachdem über New York durch Vogelschlag beide Triebwerke ausgefallen waren. Alle 155 Menschen an Bord wurden gerettet. Eine wichtige Hilfe bei diesem Horrorflug hätten Flugassistenzsysteme sein können, die Piloten bei einem totalen Triebwerksausfall dabei unterstützt, sicher notzulanden. Der an der FernUniversität in Hagen entwickelte Emergency Landing Assistant (ELA) bietet nun eine Entscheidungs- und eine Navigationshilfe, um das Flugzeug im Gleitflug genau an den Anfang eines Bereiches zu steuern, wo eine sichere Notlandung möglich ist.
Jedes Flugzeug kann ohne Triebwerke im Gleitflug weiterfliegen. Das Problem ist zunächst, zu entscheiden, wo im Notfall der beste Landeplatz ist. Hierbei unterstützt eine von Prof. Wolfram Schiffmann selbst entwickelte Datenbank den Piloten. Sie sucht dabei ständig Alternativen. Zudem berechnet der Assistent ELA – im Rahmen einer Bachelor-Arbeit des FernUni-Studenten Jürgen Vörding als App für ein Android-Tablett entwickelt – den optimalen Energieeinsatz: Beim Gleitflug geht es nicht nur um die Entfernung, sondern auch um Flughöhe, Sinkgeschwindigkeit und Landewinkel. Prof. Wolfram Schiffmann, der ebenso wie Vörding Pilot ist: „Wegen der vielen zu berücksichtigenden Parameter sind die Berechnungen höchst komplex.“
Wie wichtig die Unterstützung bei der Entscheidung für einen Notlandeplatz ist, zeigten die Untersuchungen nach dem 15. Januar 2009: „Sullenberger entschloss sich binnen Sekunden für die Notwasserung. Er konnte den Hudson sehen, als die Triebwerke ausfielen. In seiner Situation eine absolut richtige Entscheidung! Später ergab sich jedoch, dass auch die Rückkehr zum Flughafen LaGuardia in New York möglich war. Doch dafür fehlten Sullenberger die Informationen. Unsere Simulationen zeigten ebenfalls, dass er dorthin gekommen wäre: ELA hätte ihm LaGuardia als sichersten Notlandeplatz vorgeschlagen und ihn dorthin navigiert.“
Das Navigationssystem kann sogar mit dem Autopiloten verbunden werden, dadurch hätte der Pilot nach der Entscheidung für das neue Ziel zum Beispiel mehr Zeit für die Kommunikation mit der Flugsicherung. Die Landung führt der Pilot aber wieder selbst durch. Grundsätzlich eignet sich das System über den Einsatz in Verkehrsmaschinen hinaus auch für kleinere Typen bis hin zu Ultraleichtflugzeugen.
App-gesteuert mit der Kraft warmer Winde in die Höhe
Durch warme Winde nach oben, nicht durch Motorkraft – das ist Grundprinzip des Segelfliegens. Dafür suchen sich die Pilotinnen und Piloten von Segelflugzeugen aufsteigende Luftströmungen. Um ihnen die Suche nach diesen Aufwinden zu erleichtern, wurde am Lehrgebiet Rechnerarchitektur ein Thermikassistent für den Segelflug entwickelt. Mit Hilfe einer sowohl zwei- als auch dreidimensionalen App können Thermiken beim Durchfliegen automatisiert erkannt werden.
Dafür ist die Kopplung an ein entsprechendes Messsystem, ein Variometer, notwendig. Die Apps wurden in zwei Studienabschlussarbeiten entwickelt. „Zahlreiche neue Handys haben bereits einen Drucksensor integriert, den wir nutzen können“, erläutert Prof. Dr.-Ing. Wolfram Schiffmann.
Die notwendigen Informationen über Steigen und Sinken liefert ein Total Energiekompensiertes Variometer (TEV): Dem statischen Luftdruck, der der Höhenmessung dient, wird ein geschwindigkeitsabhängiger Unterdruck überlagert, so dass die Höhenänderung in Abhängigkeit von der Zeit dargestellt werden kann (z.B. x Fuß Steigen bzw. Sinken pro Minute). Ein Segelflugzeug sinkt jedoch nur. Ausnahme: Es fliegt in eine Thermik, deren Steigung größer ist als das Sinken des Flugzeugs. Findet ein Pilot eine Thermik, dreht er das Flugzeug in sie hinein, um sich kreisförmig in größere Höhe tragen zu lassen. „Dabei verliert man jedoch leicht die Orientierung darüber, wo die Thermik ist“, erläutert der Professor.
Mit einem TEV wird bestimmt, welchen Anteil die Thermik am Steigen des Segelfliegers hat. Seine hierzu gefundenen Daten hat Prof. Schiffmann dem Dortmunder Software-Spezialisten AppPilots zur Verfügung gestellt, dessen Geschäftsführer Kevin Beyer selbst Segelflieger ist. AppPilots hat Schiffmanns Gleichungen in ein iPhone integriert und eine graphische Darstellung der damit gemessenen Thermik realisiert. „Je länger das Flugzeug in der Thermik kreist, desto aussagefähiger ist die Anzeige auf dem Display und desto besser das Bild, das sich der Pilot von der Thermik machen kann. So kann er sie viel besser ausnutzen, um nach oben zu kommen“, erläutert Schiffmann. „Unsere Entwicklung kann auch für Drohnen und Flugzeuge genutzt werden. Wir haben sogar einen Autopiloten entwickelt, der sie selbstständig ‚hochkurbeln‘ kann.“
Hier sind die Flugassistenzsysteme zu sehen:
Prof. Schiffmann präsentiert den Notlandeassistenten ELA gemeinsam mit Jürgen Vörding auf der AERO, Stand FW-BP04, Messe Friedrichshafen. Der Thermikassistent ist mit einem Flugsimulator auf dem Stand FW-BP03 der AERO zu finden.
Weitere Informationen: WEBSEITE der FU Hagen
Notlandeassistent ELA im VIDEO