Politik: Strategie

Energiepreiskrise und Embargo: Kann die EU sozialen Ausgleich schaffen?

Energiepreiskrise und Embargo
Alexas Fotos | pixabay

[MCC] Energiepreiskrise und Embargo: Haushalte in Ungarn, Rumänien, Italien und Tschechien sind besonders betroffen. Transfers stärken Akzeptanz für Verzicht auf russisches Gas auf dem Weg zur Klimawende.

Eine einheitliche Haltung der EU zu Russland wird durch große Unter­schiede in der Abhängig­keit von dessen fossilen Brennstoffen erschwert. Schon die Energiepreiskrise nach drei Monaten Ukraine-Krieg bedeutet für private Haushalte in Ungarn, Rumänien, Italien und Tschechien im Durchschnitt unmittel­bare Mehrkosten von mehr als 25 Prozent ihrer vorherigen Gesamt­ausgaben – in Deutschland sind es 20 Prozent, und am wenigsten sind es mit rund 10 Prozent in Dänemark, Schweden und Frankreich. Eine Studie beleuchtet jetzt die genauen Kosten, absehbare Folgen eines Embargos sowie die Wirkung eines sozialen Ausgleichs durch die Politik.

Das Arbeitspapier des Berliner Klima­forschungs­instituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) ist auf dessen Website abrufbar. Wie sich Energiepreis-Anstiege auswirken und wie das sozial aus­balanciert werden kann, ist ein wichtiger Teil der Forschung zu Klimapolitik am MCC und in der aktuellen Krise zusätzlich relevant. Bereits drei Wochen nach Kriegs­beginn hatte das Institut eine entsprechende Analyse für Deutschland vorgelegt. Die neue Analyse für Europa stützt sich auf empirische Haushalts­daten des EU-Statistikbüros Eurostat für 24 der 27 EU-Länder und auf ein multi­regionales Input-Output-Modell mit 65 Sektoren, das die Wert­schöpfungs­ketten und damit auch die indirekten Belastungen für Haushalte abbildet.

Verhindern, dass die russischen Gas­lieferungen zum Hebel werden können, Europa zu spalten
„Es zeigt sich, dass die privaten Haushalte vor allem direkt betroffen sind, über die Kosten für Sprit und Heizen, und dass die indirekten Effekte über höhere Erzeuger­preise anderer Güter relativ gering sind“, berichtet Jan Steckel, Leiter der MCC-Arbeits­gruppe Klimaschutz und Entwicklung und Leitautor der Studie. „Zudem sehen wir, dass die Dramatik vor allem beim Erdgas liegt, weniger beim Öl und so gut wie gar nicht bei der Kohle. Vor allem mit Blick auf die Haushalte, die mit Gas heizen, sollten Maß­nahmen zum sozialen Ausgleich auf den Weg gebracht werden, auch auf EU-Ebene. Es gilt zu verhindern, dass die russischen Gas­lieferungen zum Hebel werden können, um Europa zu spalten.“

Die Studie beziffert für jedes einzelne Land – und dort wiederum differenz­iert nach gut und schlecht verdienenden Haushalten –, wie die Energiepreiskrise die diversen Ausgaben­posten der privaten Haushalte verteuert. Auf dieser Grundlage und auch in Anbetracht der vorhandenen Finanz­mittel macht das Forschungs­team einen pragma­tischen Vorschlag: Man könnte auch dann die Akzeptanz für eine einheitliche Linie gegenüber Russland deutlich erhöhen, wenn man den sozialen Ausgleich auf die Gas-Haushalte beschränkt und dort wiederum nur auf die 40 Prozent einkommens­schwächsten in jedem Land. Es könnte dann eine Pro-Kopf-Zahlung geben, die die durch­schnittliche Mehr­belastung infolge des höheren Gaspreises ausgleicht, gerechnet für jedes einzelne Land für diese ärmeren Gas-Haushalte. Das würde dann beim bisherigen Preis­anstieg EU-weit 93 Milliarden Euro im Jahr kosten.

Für ein „Embargo-Szenario“ mit weiter steigenden Preisen beziffert die Studie die Kosten eines solchen sozialen Ausgleichs mit 188 Milliarden Euro. Zur Ein­ordnung: Das EU-Konjunktur­paket „NextGenerationEU“, beschlossen im Jahr 2020 zur Bewältigung der wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Pandemie, umfasst 809 Milliarden Euro Darlehen und Zuschüsse.

Nur eine Zwischenlösung auf dem Weg zur Klimawende
Dabei wird in der Studie betont: Der Sozial­ausgleich wäre nur eine Zwischenlösung auf dem Weg zur Klimawende. Denn je mehr die Politik etwa die Umstellung auf Wärme­pumpen und Elektro­autos fördert und den Strom-Mix auf Erneuerbare umstellt, desto unabhängiger werden ja die privaten Haushalte von den Preisen fossiler Energien.

„Die hohen unmittelbaren Belastungen für private Haus­halte sollten die EU nicht davon abhalten, sich zügig von russischen Energie­lieferungen zu lösen“, empfiehlt MCC-Forscher Steckel. „Ein Ent­lastungs­paket gegen die Energie­preis­krise kann die wirtschaftlichen Maßnahmen gegen Russland zu Hause sozialpolitisch absichern. Wie schon das Paket gegen die Corona-Folgen kann es entsprechend der Wirtschaftskraft der einzelnen Länder finanziert werden, was auf Transfers innerhalb der Union hinausläuft. Wie man das effizient hinbekommen könnte, dafür bietet unsere Analyse Orientierung.“


Steckel, J., Missbach, L., Ohlendorf, N., Feindt, S., Kalkuhl, M. (2022): Effects of the energy price crisis on European households. Socio-political challenges and policy options. MCC-Arbeitspapier