Technologie: Wissenschaft

100 % Energie aus erneuerbaren Quellen ist möglich

Energie aus regenerativen Quellen.
Energie aus regenerativen Quellen. Bild: pixabay

Vor dem Hintergrund des politischen Willens zu mehr „nachhaltiger“ Elektromobilität stehen einige grundlegende Fragen zur Energie-Erzeugung im Fokus: Gibt es überhaupt genug Platz für all die Windkraft- und Solaranlagen, um unseren gesamten Energiebedarf zu decken? Was passiert, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht? Werden erneuerbare Energien das Stromnetz destabilisieren und regelmäßig zu Stromausfällen beitragen?

Dies sind nur einige der Zweifel, die häufig gegen die Energiewende angeführt werden – durchaus auch im wissenschaftlichen Diskurs: Im vergangenen Jahr erschien in der renommierten Zeitschrift Renewable and Sustainable Energy Reviews der Artikel „Burden of proof: A comprehensive review of the feasibility of 100% renewable-electricity systems“. In diesem Beitrag stellen die Autoren aus Australien um Benjamin Heard nicht nur die technische Machbarkeit einer Energie-Versorgung mit 100% erneuerbaren Energien in Frage, sondern ziehen auch die Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Arbeit vieler Energiesystemforscher in Frage, die ein solches Szenario für möglich halten. In Folge wurde der Artikel von zahlreichen Medienhäuern und Blogs aufgegriffen, wobei nicht nur die Argumente des Artikels reproduziert werden, sondern in einigen Fällen auch die Notwendigkeit einer zentralen Energie-Versorgung mit Atomstrom zur Netzstabilisierung behauptet wird.

Nun haben Energiesystem-Forscher eine Replik mit dem Titel „Response to ‘Burden of proof: A comprehensive review of the feasibility of 100% renewable-electricity systems’“ in derselben Fachzeitschrift veröffentlicht. Die Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des südafrikanischen Council for Scientific and Industrial Research (CSIR), der Lappeenranta University of Technology, der Delft University of Technology und der Aalborg University haben Hunderte von Studien aus der wissenschaftlichen Literatur analysiert und zusammengeführt, um jedes der im ursprünglichen Artikel genannten Argumente systematisch zu widerlegen. Sie zeigen, dass es weder fundamentale technische noch ökonomische Barrieren auf dem Weg zu einer hundertprozentig erneuerbaren Zukunft gibt.

„Während einige der vom Heard-Papier aufgeworfenen Fragestellungen durchaus relevant sind, ist es wichtig festzuhalten, dass es für alle Punkte Lösungen auf Basis heute verfügbarer Technologien gibt“, sagt der Hauptautor der Replik, Dr. Tom Brown. Brown leitet eine Forschungsgruppe am Institut für Automation und angewandte Informatik des KIT, in der das Design der Energiesysteme der Zukunft modelliert wird. „Darüber hinaus sind diese technischen Lösungen absolut erschwinglich, insbesondere angesichts der durch die sinkenden Kosten für Wind- und Solarenergie freiwerdenden Einsparungen bei der Primärenergieerzeugung“, sagt Co-Autor Professor Christian Breyer von der Lappeenranta University of Technology.

Die sogenannte kalte Dunkelflaute – längere windstille Phasen im Winter bei gleichzeitig hohem kältebedingten Strombedarf – kann laut Brown durch Importe, Wasserkraft, Biogas und -masse, Batterien und andere Speicher überbrückt werden. Sollten all diese auf Zuruf abrufbaren Stromquellen nicht ausreichen, so kann im schlimmsten Fall mit überschüssigem Wind- und Sonnenstrom Wasserstoff oder synthetisches Gas erzeugt werden, welches dann bei Bedarf rückverstromt wird.

Zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität in einem von Wind- und Sonnenstrom dominierten System gibt es eine Reihe technischer Lösungen, von rotierenden Stabilisatoren bis hin zu neueren elektronischen Lösungen. Die Wissenschaftler haben Best-Practice-Beispiele hierfür von Netzbetreibern aus der ganzen Welt, von Dänemark bis Tasmanien, gesammelt.

„Es gibt einige hartnäckige Mythen, dass hundertprozentig erneuerbare Energiesysteme technisch nicht möglich seien“, sagt Professor Brian Vad Mathiesen von der Universität Aalborg, der ein Co-Autor der Replik ist. „Unser Beitrag behandelt diese Mythen, einen nach dem anderen, unter Verwendung des neuesten Stands der Forschung. Wir sollten nun zu den eigentlich wichtigen Themen zurückkehren: der Modellierung der kostengünstigsten Erneuerbaren-Entwicklungspfade, um fossile Brennstoffe aus unserem Energiesystem zu eliminieren, damit wir die Herausforderungen für Klima und Gesundheit bewältigen können.“


T.W. Brown, T. Bischof-Niemz, K. Blok, C. Breyer, H. Lund, B.V. Mathiesen, “Response to ‘Burden of proof: A comprehensive review of the feasibility of 100% renewable-electricity systems’,” Renewable and Sustainable Energy Reviews, DOI:10.1016/j.rser.2018.04.113, 2018


Stichwort: Energie