Ein Statement von Prof. Dr.-Ing. Kay W. Axhausen, Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme, Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich, und Mitglied im Herausgebergremium von Internationales Verkehrswesen.
Wir brauchen Infrastrukturen aller Art für unseren Alltag: Straßen, Wasserleitungen, Strom, WiFi, Abholstellen und mehr. Sie sind nicht wegzudenken, wenn wir unsere Lebensqualität aufrecht erhalten wollen. Wir müssen sie auch ergänzen, wenn sich neue Aufgaben ergeben, wie zum Beispiel bei der Stromversorgung der Batterien elektrischer Fahrzeuge.
Es ist uns aber auch klar, dass ihr Ausbau die Herausforderungen unserer Zeit – Reduktion des CO2-Beitrags des Verkehrs, Inklusion aller Bevölkerungsgruppen und Orte in die gesellschaftliche Entwicklung – nicht alleine lösen kann. Hier wirkt die allfällige Reduktion in den „generalisierten Kosten“ der Nutzung durch den Ausbau zu stark auf die Nachfrage, um nachhaltige Verbesserungen zu erreichen. Wir sind nicht mehr in den 50er, 60er Jahren, als wir z. B. massive Überkapazitäten bauten, nur, indem wir die ersten Autobahnen erstellten, als die Zahl der möglichen Nutzer noch relativ klein war. Die meisten Infrastrukturen sind aber auch keine Glasfaserkabel, deren Leitungskapazitäten in der Regel so groß sind, dass sie lange noch nicht erschöpft sind, wenn die anderen relevanten Elemente des Systems an Grenzen stoßen.
Die bekannte Grenze in der Wirksamkeit des Ausbaus der Infrastrukturen darf uns aber nicht abhalten, die notwendigen Kapazitäten für die vorhandene, vielleicht wachsende Bevölkerung und Wirtschaft bereit zu stellen. Unterhalt und Weiterentwicklung sind zentrale Themen für alle Infrastrukturen und natürlich auch für das notwendige Personal. Wir müssen immer fragen, ob hier genug Mittel bereitgestellt werden, um das Gesamtsystem a-jour zu halten, oder ob hier gefährlich gespart und verzögert wird. Ein gutes Beispiel sind die aktuellen Probleme der Eisenbahnen, Verkehrsbetriebe und Logistikanbieter; die notwendige Weiterbildung der Mitarbeitenden für die Digitalisierung ein anderes.
Wenn eine Stadt, Gebietskörperschaft, ihre Infrastrukturkapazitäten abbauen möchte, um bestimmte Ziele zu erreichen, dann sollte der Abbau geplant, offen und diskutiert erfolgen und nicht durch die Hintertür des fehlenden Unterhalts. Die Erfahrungen mit den Fussgängerzonen der 60er und 70er Jahre zeigen, dass solche Beschlüsse möglich sind, wenn man ein überzeugendes Programm vorlegt. Der Ausbau der Infrastrukturen für den Langsamverkehr ist das heutige Beispiel, aber hier ist die Abschätzung der Wirkungen bisher oft sehr schmal und deren weitere Beobachtung oft unterfinanziert. Diese fehlende Information macht die Umsetzung solcher Umnutzungen des Straßenraums schwierig bis unmöglich.
Zum Unterhalt gehört die Modernisierung, wenn neue Technologien und Geschäftsmodelle neue Möglichkeiten schaffen. Die „smart city“ ist der Sammelbegriff hier. Man muss aber vermeiden, diese Möglichkeiten als Lösung der großen Themen zu verkaufen. Carsharing, z. B. wird so weit im Moment absehbar nicht ausreichen, um den Fahrzeugbesitz im großen Stil zu verringern, genauso wenig wie „Mobility-Hubs“ allein ausreichen werden, um den ÖV-Anteil an den Wegen auf die notwendige Größe zu erhöhen.
Die Entwicklung neuer Visionen, Gesamtkonzepte für die Infrastrukturen ist notwendig und dringlich, um die oben erwähnten Fragen zu beantworten, insbesondere die Rolle und die Gestalt unserer Infrastrukturen in ihnen. Wäre zum Beispiel eine Stadt, die wie beim Projekt ebikecity.baug.ethz.ch das Fahrrad oder E-Bike in den Mittelpunkt stellt, in der Lage, die Bedürfnisse ihrer Bewohner und Nutzer zu befriedigen? Wäre das Management durch Preise und Steuerung ausreichend, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen? Und wie müssten für diese Ansätze die Infrastrukturen aussehen und betrieben werden?
Erschienen in Internationales Verkehrswesen (74), Heft 4/2022