Der Zuwachs an Verkehrsaufkommen und -leistung ist enorm – und den größten Zuwachs müssen Städte und Ballungsräume bewältigen. Wie können sie diese Herausforderungen meistern? Ein Kommentar vom Stellvertretenden Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums, Dr. Florian Eck.
Jeder von uns ist im Schnitt täglich 39 Kilometer und 80 Minuten unterwegs, so die aktuellen Ergebnisse der Studie „Mobilität in Deutschland 2017“ des Bundesverkehrsministeriums. In Summe sind das in Deutschland 260 Millionen Wege pro Tag. Der Bericht zeigt: Mobilität ist auch weiterhin ein fester Bestandteil unseres Alltags. Gerade die Ballungsräume haben dabei den größten Zuwachs an Verkehrsaufkommen und -leistung zu schultern. Unter den Verkehrsmitteln hat das Automobil mit rund 57% auch weiterhin den größten Anteil an diesen Wegen. Bei der Wachstumsdynamik liegt der sogenannte Umweltverbund – Busse, Bahnen und Fahrrad – vorne.
Diese Zahlen geben die Richtung für die verkehrspolitische Strategie des Bundes und der Länder vor, um mit dem offensichtlichen Verkehrswachstum in der Alltagsmobilität umzugehen. Aufgrund der Klimaziele der Bundesregierung und durch die aktuell besondere politische Aufmerksamkeit auf den Stadtverkehr ist dies eine große Herausforderung. Die Entwicklung muss vor allem in vier Handlungsfeldern aktiv begleitet werden:
- Gezielte Förderung der Ballungsräume: Die Ballungsräume dürfen mit ihren Verkehrsproblemen nicht alleingelassen werden. Wie die Studie des BMVI zeigt, wird der ÖPNV gerade dort gut angenommen. Darum ist die Umsetzung der geförderten Sofortmaßnahmen zur Luftreinhaltung ebenso wichtig wie die schnelle Überführung der zusätzlichen GVFG-Mittel in Projekte. Fahrzeugflotten müssen nachgerüstet und aufgestockt, Infrastruktur erweitert werden, damit Busse und Bahnen nicht Opfer des eigenen Erfolges werden.
- Bedarfsgerechte Anbindung der Einpendler: Gerade mit Blick auf überlastete Innenstädte und die laut Studie unzufriedenen ÖPNV-Kunden in den Randgebieten müssen die Einpendler stärker als bisher adressiert werden. Dazu sollten Busse, Bahnen und neue Mobilitätsdienste ihre Kräfte bündeln. Änderungen im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) sollten diese Zusammenarbeit gezielt unterstützen. Es gilt gewissermaßen, das Anruf-Sammel-Taxi und den Rufbus zu entstauben, digital aufzupeppen und salonfähig zu machen. Auch Verkehre mit variabler Linienführung und virtuellen Haltestellen gehören in den Werkzeugkasten.
- Ausbau der Digitalisierung, insbesondere bei Information und Vertrieb: Die Potenziale der Digitalisierung sind im Verkehrssektor noch deutlich ausbaufähig. Oftmals existieren nur isolierte Pilotprojekte, obwohl die Bausteine zur Angebotsverbesserung am Markt frei verfügbar sind. Es fehlen in breiter Anwendung beispielsweise verkehrsträgerübergreifende Bezahlsysteme und Prognosen zur Parkraumsituation, intelligente Mobilitätsdienste müssen in das ÖPNV-Angebot integriert werden, Verkehrsprognosen fließen zu selten in die Verkehrssteuerung und die Echtzeitmeldungen des ÖPNV ein. Und die Nutzung wechselnder Verkehrsmittel setzt bei den Bürgern immer noch Informationsbereitschaft, Technikaffinität und Einarbeitungszeit voraus. Für zuverlässige Prognosen und bedarfsgerechte Echtzeitinformationen müssen die vorhandenen selbstlernenden Systeme auf die ebenso vorhandene Datenbasis des Öffentlichen Verkehrs angesetzt werden. Eine solche digitale Ertüchtigung der Verkehrssysteme in den Städten und Gemeinden (und damit auch des ÖPNV) muss Teil der Investitionspakete im Zuge der Klimapolitik werden.
- Einbeziehung der Logistik als Partner: Der Bericht des BMVI zeigt auch, dass Einkaufsverkehre der Bürger als Fahrtzweck aufgrund von e-Commerce zurückgehen. Umso mehr gilt es, die dadurch zunehmenden Lieferverkehre in Verkehrskonzepten zu berücksichtigen. Ausgewiesene Ladezonen, Verfügbarkeit von Flächen für Micro-Hubs und die Förderung der Nachtbelieferung / unattended delivery sind wichtige Themen, die in den Zentren gemeinsam mit den Logistikunternehmen und Händlern vorangetrieben werden müssen.
Die Zeit spielt gegen uns. Umso dringlicher ist es, diese Handlungsfelder mit den notwendigen Investitionen, der Anpassung des Rechtsrahmens und neuen Konzepten vor Ort zügig anzugehen.
Veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen (70), Heft 4 | 2018