In naher Zukunft sollen autonomes Fahren selbst im dichten Stadtverkehr Realität werden – und Mathematik und Informatik fahren mit! Zwar sind Assistenzsysteme wie Tempomat, Einparkhilfe oder Stau-Assistent in modernen Autos längst üblich, bis zum wirklich autonomen Fahren ist der Weg allerdings noch weit.
Bremer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Mathematik und Informatik entwickeln neue autonome Fahrmanöver und testen diese mit dem Fokus auf Autos im Stadt- und Landverkehr und in der Fahrgast-Assistenz. Das Projekt mit dem Namen „AO-Car – Autonome, optimale Fahrzeugnavigation und -steuerung im Fahrzeug-Fahrgast-Nahbereich für den städtischen Bereich“ läuft seit September 2016 und wird vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn gefördert.
Der Ansatz in Bremen: Mathematik und Neuroinformatik
Parkplatzsuche, automatisches Einparken, Fahrspurassistenz oder Brems- und Ausweichstrategien zur Unfallvermeidung sind nur einige der vielen Herausforderungen, die hoch automatisierte oder autonome Fahrzeuge selbstständig und individuell angepasst meistern müssen. Im allgemeinen wird hierbei für jede Fahrsituation eine eigene Technik erstellt. Der Ansatz der Bremer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist anders – denn gerade die abstrakte Denkweise der Mathematik erweist sich hier als Schlüssel zum Erfolg: All diese Fahrsituationen lassen sich auf die mathematische Fragestellung des Auffindens von optimalen Bahnen zurückführen. Mit diesem mathematischen Forschungsansatz beschäftigt sich die Arbeitsgruppe für Optimierung und Optimale Steuerung unter Leitung von Professor Christof Büskens.
Dagegen ist der Aspekt, rechnergestützte Entscheidungen zu finden, die Kernkompetenz der Arbeitsgruppe für Kognitive Neuroinformatik unter Leitung von Professorin Kerstin Schill. Diese Entscheidungsfindung basiert hier auf Hintergrundwissen und multisensorischen Informationen, wie etwa „nur Bremsen“ oder „doch besser Ausweichen“. Auch hier helfen allgemein anwendbare Methoden der Informatik.
Kameras und Sensoren – Voraussetzungen für autonomes Fahren
Nun verfügen die Wissenschaftler der Universität Bremen über einen serienmäßigen Plug-In-Hybrid als eigenes Forschungsfahrzeug. Das sowohl elektrisch als auch herkömmlich angetriebene Forschungsfahrzeug wird zunächst umfangreich technisch ergänzt, um auf die zentralen Fahrfunktionen (Lenken, Beschleunigen, Bremsen) des Autos zugreifen zu können. Wie groß bereits jetzt das Interesse an den Bremer Ergebnissen ist, zeigt sich bei der Unterstützung des anspruchsvollen Umbaus durch die in diesem Bereich erfahrene Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr GmbH (IAV) und den Continental Konzern, der eine zusätzliche Stereokamera und dessen Einbau sponsert.
Das Hybridfahrzeug ermöglicht eine effektive und umweltfreundliche Wahl zwischen elektrischem und konventionellem Antrieb. Auch ist das Forschungsauto mit einer Vielzahl an Sensoren wie Kameras, Radar, Ultraschall- und Laserscannern ausgestattet, um autonom agieren zu können. Mit diesen Sensordaten kann das Auto seine Umgebung erkennen. Ein im Computer erzeugtes Abbild des realen Testfahrzeugs und der erkannten Umgebung erlaubt dann die Umsetzung optimaler, schneller, komfortabler, sicherer und kraftstoffsparender Fahrmanöver.
Nahes Ziel des Forschungsprojektes ist es, den Campus als Teststrecke zu verlassen, um die Entwicklungen im Realverkehr zu testen – zunächst immer mit einem menschlichen Fahrer, der verantwortlich jederzeit in die Entscheidungen des Fahrzeugs eingreifen kann.
Die Beteiligten
Die Arbeitsgruppe „Optimierung und Optimale Steuerung“ am Zentrum für Technomathematik der Universität Bremen wird von Professor Christof Büskens geleitet. Das Arbeitsgebiet umfasst die Optimierung und Steuerung von technischen, naturwissenschaftlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Prozessen und Systemen. Die Aufgaben stammen aus der Robotik, der Raumfahrt, der Fahrzeugdynamik und dem Energiesektor. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Berechnung von Lösungen in Echtzeit gelegt. Im Bereich Automotive hat die Arbeitsgruppe umfangreiche Industrieerfahrungen: Ausweichstrategien in Echtzeit, Energiemanagementoptimierung von Hybridfahrzeugen sowie der Audi Autonomous Driving Cup.
Die Arbeitsgruppe „Kognitive Neuroinformatik“ entwickelt biologieinspirierte intelligente Systeme unter der Leitung von Professorin Kerstin Schill. Diese Systeme kombinieren elementare kognitive Fähigkeiten, wie die Mustererkennung, mit höheren kognitiven Leistungen wie das Entscheiden. Forschungsschwerpunkte sind dabei die Weiterentwicklung von Theorien zum Umgang mit unsicherem Wissen, die multisensorische Perzeption und Informationsverarbeitung, die selbstständige Lokalisation und Navigation sowie sensomotorisches Lernen und Entscheiden.
Weitere Partner in dem Projekt sind die Arbeitsgruppe für Computergraphik und Virtuelle Realität der Universität Bremen und das Institut für Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung an der Universität der Bundeswehr München.