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Farbmuster könnten autonom fahrende Fahrzeuge verwirren

Farbmuster könnte autonom fahrende Fahrzeuge verwirren
Von links: Anurag Ranjan, Michael J. Black, Andreas Geiger and Joel Janai. Bild: MPI für Intelligente Systeme / W. Scheible

Ein Forscherteam aus Tübingen zeigt, dass auf tiefen neuronalen Netzen basierende optische Flussalgorithmen – eine wahrscheinliche Komponente zukünftiger autonomer Fahrzeuge – anfällig für Hackerangriffe sind. Die Experten für Maschinelles Sehen und Lernen warnen die Automobilindustrie, dass ein einfaches Farbmuster ausreichen könnte, die Autopiloten in selbstfahrenden Fahrzeugen zu verwirren.

[MPI-IS] – Ein Farbmuster auf einem T-Shirt, als Heckscheibenaufkleber oder als Emblem auf einer Einkaufstüte könnte für selbstfahrende Autos ein Problem darstellen – ein kleines Muster, das so viele Störsignale auslöst, dass es zum Sicherheitsrisiko wird. „Wir haben drei, vielleicht vier Stunden gebraucht, um das Muster zu erstellen – das ging ganz schnell,“ sagt Anurag Ranjan, Doktorand in der Abteilung für Perzeptive Systeme am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPI-IS) in Tübingen. Er ist der Erstautor der Publikation „Attacking Optical Flow“, eines gemeinsamen Forschungsprojekts der Abteilung für Perzeptive Systeme und der Forschungsgruppe für Autonomes Maschinelles Sehen am MPI-IS und der Universität Tübingen. Die Publikation ist auf arXiv verfügbar und wird bei der führenden internationalen Konferenz im Bereich Maschinelles Sehen präsentiert, der International Conference on Computer Vision ICCV, die am 27. Oktober in Seoul beginnt.

Die Gefahr, dass aktuell auf dem Markt verfügbare Serienfahrzeuge betroffen sind, ist gering. Dennoch informierten die Forscher vorsichtshalber einige Automobilhersteller, die derzeit selbstfahrende Modelle entwickeln. Sie setzten sie von dem Risiko in Kenntnis, damit sie bei Bedarf zeitnah reagieren können.

In ihrer Forschungsarbeit prüften Anurag Ranjan und seine Kollegen Joel Janai, Andreas Geiger und Michael J. Black die Robustheit einer Reihe verschiedener Algorithmen zur Bestimmung des sogenannten optischen Flusses. Derartige Systeme werden in selbstfahrenden Autos, in der Robotik, Medizin, bei Videospielen und in der Navigation verwendet, um nur einige wenige Einsatzbereiche zu nennen. Der optische Fluss beschreibt die Bewegung in einer Szene, die von den Bordkameras erfasst wird.

Jüngste Fortschritte im Bereich des maschinellen Lernens haben zu schnelleren und besseren Verfahren beim Berechnen von Bewegung geführt. Die Forschung der Tübinger Wissenschaftler zeigt jedoch, dass derartige Verfahren anfällig sind, wenn Störsignale im Spiel sind: zum Beispiel ein einfaches, buntes Farbmuster, das in die Szene platziert wird. Selbst wenn sich das Farbmuster nicht bewegt, kann es dazu führen, dass tiefe neuronale Netze, wie sie heute in großem Maße zur Flussberechnung eingesetzt werden, falsch rechnen: Das Netzwerk kalkuliert plötzlich, dass sich große Teile der Szene in die falsche Richtung bewegen.

Mehrmals haben Forscher*innen in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass selbst winzige Farbmuster neuronale Netze verwirren können. Zum Beispiel wurden dadurch Objekte wie Stoppschilder falsch klassifiziert. Die neue Tübinger Forschungsarbeit zeigt erstmals, dass auch Algorithmen zur Bestimmung der Bewegung von Objekten anfällig für derartige Angriffe sind. Bei der Verwendung in sicherheitskritischen Anwendungen wie in autonomen Fahrzeugen müssen diese Systeme jedoch hinsichtlich derartiger Angriffe „robust“ bzw. zuverlässig und sicher sein.

Farbmuster stört Fluss

The first column shows the optical flow results using an encoder-decoder architecture FlowNetC, a spatial pyramid architecture SpyNet and classical method LDOF. In the second column, a small circular patch is added to both frames at the same location and orientation (highlighted by the red box for illustration purpose). SpyNet and LDOF are barely affected by the patch. In contrast, FlowNetC is strongly affected, even in regions far away from the patch.

Selbst ein kleiner Fleck erzeugt große Wirkung
Ranjan und seine Kollegen arbeiten seit März vergangenen Jahres an dem Projekt „attacking optical flow“. Im Zuge ihrer Forschungsarbeit waren sie überrascht, dass selbst ein kleiner Fleck großes Chaos auslösen kann. Es reicht eine Größe von weniger als 1 % des Gesamtbilds aus, um das System anzugreifen. Die kleinste Störung verursachte, dass das System schwere Fehler bei seinen Berechnungen machte, die die Hälfte des Bildbereichs betrafen (siehe Bild links). Je größer der Fleck, desto verheerender die Auswirkungen. „Dies ist bedenklich, da das Flow-System in vielen Fällen die Bewegung der Objekten in der gesamten Szene gelöscht hat“, erklärt Ranjan und weist auf ein Video (YouTube) hin, in dem das angegriffene System zu sehen ist. Man kann sich leicht vorstellen, welchen Schaden ein lahmgelegter Autopilot eines selbstfahrenden Autos bei hoher Geschwindigkeit verursachen kann.

Wie einzelne selbstfahrende Autos funktionieren ist ein wohl-gehütetes Geheimnis der jeweiligen Hersteller. Daher können Computer Vision Grundlagenforscher nur mutmaßen. „Unsere Arbeit soll die Hersteller von selbstfahrender Technologie wachrütteln, sie vor der potenziellen Bedrohung warnen. Wenn sie davon wissen, können sie ihre Systeme so trainieren, dass sie gegenüber derartigen Angriffen robust sind,“ sagt Michael J. Black, Direktor der Abteilung für Perzeptive Systeme am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme.

Möglicherweise ebenso wichtig wie der Hackerangriff selbst ist, dass es den Entwicklerteams der Automobilindustrie zeigt, wie man unter Verwendung einer sogenannten „zero flow“-Prüfung bessere optische Flussalgorithmen entwickeln kann. „Wenn wir dem System zwei identische Bilder zeigen und es keinerlei Bewegung zwischen den beiden gibt, sollte sich der optische Flussalgorithmus farblich überhaupt nicht verändern. Dies ist jedoch oft nicht der Fall, selbst ohne einen Angriff. Schon da fangen also die Probleme an. Hier müssen wir ansetzen, um zu beheben, was das Netz falsch macht“, erläutert Ranjan. Er und sein Team hoffen, dass ihre Forschungsarbeit dazu beiträgt, das Bewusstsein für die Problematik zu stärken, und dass Automobilhersteller derartige Angriffe ernst nehmen und ihre Systeme entsprechend anpassen, um sie weniger störanfällig zu machen.


  • Originalpublikation:
    Anurag Ranjan, Joel Janai, Andreas Geiger, Michael J. Black (2019): Attacking Optical Flow. arXiv:1910.10053 [cs.CV]
  • Link zum Youtube-Video

[1]   Das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme ist an zwei Standorten angesiedelt: Stuttgart und Tübingen. Die Forschung am Stuttgarter Standort des Instituts umfasst Mikro- und Nanorobotik, Selbstorganisation, haptische Wahrnehmung, bio-inspirierte Systeme, medizinische Robotik und physische Intelligenz. Der Tübinger Standort legt den Schwerpunkt auf Maschinelles Lernen, Maschinelles Sehen, Robotik, Regelung und Steuerung sowie die Theorie von intelligenten Systemen.


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