Politik: Strategie

ÖPNV als Bestandteil und Gegenstand der Verkehrswende

ÖPNV als Bestandteil und Gegenstand der Verkehrswende
Ajel | pixabay

Rückblick: 5. Jenaer Gespräche zum Recht des ÖPNV an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, 08.11.2019

Nils Lehmann, LL.M. oec., Jena

Der Klimawandel war eines der diskursbestimmenden Themen des Jahres 2019 und es herrscht weitgehende Einigkeit, dass es entsprechender Gegenmaßnahmen bedarf, um die schlimmsten Auswirkungen zu verhindern. Dem Verkehrssektor kommt, als einem der größten Verursacher von CO2, dabei eine entscheidende Rolle zu und demzufolge wird eine Verkehrswende zur Erreichung von Klimaschutzzielen unabdingbar sein. Vor diesem Hintergrund lud die Forschungsstelle für Verkehrsmarktrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu den inzwischen fünften Jenaer Gesprächen zum Recht des ÖPNV ein, um die Rolle des Öffentlichen Personennahverkehrs als Bestandteil und Gegenstand der Verkehrswende zu erörtern. Insgesamt sieben Referenten aus Wissenschaft, Think-Tanks, Anwaltschaft sowie der öffentlichen Hand näherten sich der Thematik aus akademischer wie auch praktischer Sicht und standen in einer abschließenden Podiumsdiskussion für Fragen der interessierten (Fach-)Öffentlichkeit zur Verfügung.

– Im ersten Vortrag der Tagung erläuterte Anne Klein-Hitpaß (Agora Verkehrswende, Berlin) den Rahmen und Inhalt der Verkehrswende und die Notwendigkeit ihrer Durchführung. Nachdem die Verkehrswende unlängst noch starke Ablehnung erfahren habe, sei sie nunmehr zwingend notwendiger Bestandteil, um das Klimaschutzabkommen von Paris zu erfüllen und den Klimawandel zu verlangsamen. Ihr Ziel, die Klimaneutralität und Dekarbonisierung des Verkehrs bis zum Jahr 2050, basiere dabei auf zwei Säulen: Der Mobilitätswende, welche bei gleichbleibender Mobilität zur Senkung des Endenergieverbrauchs führen solle und der Energiewende im Verkehr, die ihrerseits die Deckung des verbleibenden Endenergieverbrauchs zum Ziel habe. Insbesondere der Elektromobilität komme dabei eine wichtige Schlüsselposition als Verkehrsmittel mit dem höchsten Gesamtwirkungsgrad zu. Zudem habe die Mobilitätswende in den Städten bereits begonnen. Die Gründe fußten gleichwohl nicht allein auf Klimaschutzaspekten; vielmehr gäbe es eine Reihe anderer Faktoren, die als Treiber wirkten, beispielsweise die Verbesserung der Lebens- und Luftqualität. Auch die Verringerung des Flächenverbrauchs von PKW als Teil des MIV, welche öffentliche Fläche im Übermaß bei gleichzeitig (zu) geringen Kosten nutzten, stehe im Fokus. Letztendlich führe der gesellschaftliche Nutzen der Verkehrswende zum Gelingen derselben.

– Daran anschließend schilderte Prof. Dr. Matthias Knauff, LL.M. Eur., den Rahmen für die Verkehrswende im geltenden Recht. Planerische Instrumente könnten etwa als Begründung beziehungsweise Unterbau für Maßnahmen der Mobilitätsgestaltung dienen. Exemplarisch seien hierfür der Luftreinhalteplan mit der Zielsetzung einer Verbesserung der Luftqualität oder der Nahverkehrsplan, welcher – gegebenenfalls i. V. m. den jeweils einschlägigen Landes-ÖPNV-Gesetzen – offen gegenüber verkehrswenderelevanten Inhalten wäre, genannt. Zudem gäbe es steigende Anforderungen an die Beschaffung und den Betrieb von Kraftfahrzeugen. So fordere § 2 VII 3 ThürÖPNVG etwa den Einsatz von KFZ mit geringen Schadstoff- und Lärmemissionen. Auch im Bereich des klassischen Vergaberechts seien diesbezüglich Anknüpfungspunkte vorhanden, wenn § 68 VgV in einer Muss-Vorschrift festlege, dass bei der Beschaffung von Straßenfahrzeugen der Energieverbrauch und die Umweltauswirkungen zu berücksichtigen seien. Elektroautos sollen sodann gemäß des Gesetzes zur Bevorrechtigung der Verwendung elektrisch betriebener Fahrzeuge (kurz: EmoG), welches die Verringerung klima- und umweltschädlicher Auswirkungen des MIV zum Ziel hat, gewisse Bevorrechtigungen erhalten, vgl. § 1 1 EmoG.

Zudem erläuterte Knauff durch Verweis auf Umweltboni sowie steuerrechtliche Aspekte Maßnahmen in finanzieller Hinsicht und wies anhand des Art. 8 RL 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden auf infrastrukturbezogene Vorgaben, gerichtet auf obligatorische Ladeinfrastruktur, hin. Schließlich fanden die Alternativen zum MIV sowie ihre (landes-)rechtlichen Ausgestaltungen Beachtung. Der ÖPNV fände beispielsweise durch die § 2 I, IV ThürÖPNVG Unterstützung und Vorrang vor dem MIV, die ökologischen Aspekte bei der Beschaffung von solchen ÖPNV-Leistungen Berücksichtigung durch die VO (EG) Nr. 1370/2007, On demand-Verkehre als alternative Verkehre Berücksichtigung durch § 2 VO ThürÖPNVG und die Zulassung neuer Anbieter zur Durchführung derselben geschehe auf Grundlage der § 2 VI und VII PBefG. Carsharingangebote seien wiederum durch das Carsharinggesetz (CsgG) gegenüber dem MIV zu fördern, vgl. § 1 CsgG, während für Rad- und Fußgängerverkehre nur überkommene straßen- und straßenverkehrsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten existierten. Im Ergebnis schlussfolgerte Knauff, dass die Verkehrswende mehr als nur ein politischer Kampfbegriff sei und der Rechtsrahmen durchaus offen für neue Entwicklungen wäre. Es fände jedoch nur ein langsames Umsteuern statt und die vorhandenen Möglichkeiten müssten letztlich durch die Kommunen, Verkehrsunternehmen und Bürger genutzt werden.

– RA Dr. Oliver Wittig (EY Law, Mannheim) zeigte Überlegungen zu einem drittnutzerfinanzierten ÖPNV auf. Die Grundthese stellte hierbei die nicht rein aus Fahrgasteinnahmen zu deckende Finanzierung der einzelnen Fahrten, bei zugleich steigender Nachfrage nach ebenjenen durch die Bevölkerung, dar. Da der ÖPNV jedoch als Problemlöser hinsichtlich der Klimaschutzziele angesehen werde, stelle sich zunehmend die Frage, wie die weitere Finanzierung gewährleistet werden könnte. Als ersten Lösungsansatz stellte Wittig das sogenannte Bürgerticket vor, ein verpflichtender monatlicher Beitrag (im finanzverfassungsrechtlichen Sinne), zu entrichten von jedweden Einwohnern eines Gebietes, verbunden mit einer kostenlosen oder zumindest vergünstigten ÖPNV-Nutzung als Gegenleistung. Bei der Ausgestaltung hätten die Bundesländer als Akteure, welche die Gesetzgebungskompetenz innehätten, dabei das Äquivalenz- und Kostendeckungsprinzip zu beachten.

Als weitere Option gäbe es die KFZ-Halter-Abgabe, welche dem Bürgerticket ähnelt, dabei jedoch auf die KFZ-Halter einer Kommune beziehungsweise eines bestimmten Gebiets beschränkt sein soll. Zudem sei die Ausgestaltung als City-Maut denkbar, wobei sämtliche KFZ-Nutzer von Straßen, die nicht dem Bund unterstehen, zur Zahlung einer Abgabe verpflichtet seien und dafür ein Mobilitätsguthaben erhalten sollen. Je nach geplantem Gebiet könne die vorzugswürdige Lösung dabei differieren, es gibt mithin nicht die Lösung für alle Kommunen. Schließlich wies Wittig auf weitere Finanzierungsmöglichkeiten des ÖPNV hin, etwa die sogenannten „Transport-Development-Districts“, in denen Gewerbetreibende oder Grundstückseigentümer privat initiiert Umlagen zur (ÖPNV-)Gebietsaufwertung beschlössen sowie das in Frankreich praktizierte Modell des „Taxe Versement Transport“, in denen Arbeitgeber durch Kommunen verpflichtet werden könnten, den ÖPNV mitzufinanzieren. Dazu kämen Maßnahmen wie beispielsweise Jobtickets, ÖPNV-Erschließungsbeiträge oder auch ÖPNV-Fonds, unter Umständen in Kombination mit bestehenden Modellen wie der Parkraumbewirtschaftung.

– Thomas Kiel-d’Aragon (Deutscher Städtetag, Berlin) führte mit seinem Vortrag in die politischen Dimensionen der Verkehrswende ein. Zuvörderst stand ein Rückblick auf die 18. Legislaturperiode, in der nicht zuletzt die Antriebstechnik des Diesels mit Schlagworten wie „Dieselbetrug“, „Dieselgipfel“ und „Dieselurteil“ allgegenwärtig schien. Infolgedessen kam es unter anderem zu dem „Sofortprogramm Saubere Luft“, welches insbesondere Fahrverbote hervorgerufen durch Diesel-PKW vermeiden sollte; eine Zielsetzung, welche nicht gänzlich erreicht werden konnte. Zudem kam es zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik aufgrund der Überschreitung der Stickstoffdioxidemissionsgrenzwerte. Im Verbund mit den verkehrspolitischen Themen der 19. Legislaturperiode, zu nennen seien dabei etwa Klimaschutzaspekte sowie Plattformen für die Zukunft der Mobilität steht für den Deutschen Städtetag sodann die Politik für den öffentlichen Raum als konstituierendes Element der europäischen Stadt als Ziel. Dafür bedürfe es einer konsistenten Verkehrspolitik auf Bundes- und Länderebene, mitsamt nachhaltiger und digitaler beziehungsweise innovativer sowie auch nachhaltig finanzierter Mobilität. Man müsse hierfür gute Angebote – auch mittels effizienter Regulierung – schaffen, die Lebens- und Umweltqualität in Städten substantiell verbessern und den Kommunen Entscheidungsspielräume überlassen. Die zur Finanzierung notwendigen Elemente fänden sich etwa in einer Erhöhung des GVFG-Bundesprogramms und der RegG-Mittel. Erforderlich seien weiterhin die Beschleunigung von Planungsverfahren, die Förderung von Elektroladeinfrastruktur und schließlich die Stärkung der Antriebswende innerhalb des ÖPNV.

– RA Dr. Roman Ringwald (Becker Büttner Held, Berlin) widmete sich der Neuverteilung des öffentlichen Raumes im Zusammenhang mit ÖPNV und Dieselfahrverboten. Grundlage seines Vortrags war die These, dass die Verkehrswende maßgeblich auf kommunaler Ebene gelinge und die Kommunen mithin den maßgeblichen Rahmen hierfür setzten, indem sie über potentielle Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum entschieden. Notwendig könnten solche Entscheidungen etwa bei der Neuverteilung des öffentlichen Raumes unter den Aspekten des Ladens, Parkens und Teilens (im Sinne einer effizienten Raumnutzung) werden. Der Umgang mit Stellplätzen, folglich der Frage nach einer flächenhaften Parkraumbewirtschaftung, komme dabei besondere Bedeutung als zentraler kommunaler Hebel für ein verändertes Mobilitätsverhalten zu. Im weiteren Verlauf seines Vortrags ging Ringwald auf (Car-)Sharing-Angebote zur effizienten Nutzung des öffentlichen Raumes ein. Diesen könnten als Gewährleistern des gleichen Mobilitätsangebotes bei verringertem Stellplatzverbrauch diverse Bevorrechtigungen nach CsgG sowie EmoG zukommen. Auch hinsichtlich der Elektrifizierung als wesentlicher Baustein der Verkehrswende seien die Kommunen vielfältig gefragt, etwa hinsichtlich der Bereitstellung eines eigenen elektrifizierten ÖPNV- beziehungsweise Fahrzeugflottenangebotes. Es folgte ein Exkurs in potentielle vergaberechtliche Vorgaben bei der Ausgestaltung der Verkehrswende durch die Kommunen als öffentliche Auftraggeber: Genannt seien hierbei etwa der Betrieb von Ladeeinrichtungen oder Sharing-Angeboten, realisiert als öffentliche Aufträge beziehungsweise Konzessionen. Im abschließenden Ausblick wies Ringwald außerdem auf die Vernetzung neuer Mobilitätsangebote und eine integrative Planung als wesentliche Elemente künftiger Verkehrsplanungen hin.

– Dr. Wolfgang Schade (M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics, Karlsruhe) ging in seinem Vortrag auf ökonomische Fragen potentieller Zukünfte des ÖPNV ein. Hinsichtlich etwaiger Ausgestaltungen nachhaltiger Mobilität für das Jahr 2035 sei etwa zwischen dem Szenario der elektrifizierten Straße und jenem der Multi-Modalität zu unterscheiden. Fänden im erstgenanntem noch zwei Drittel der Fahrten im (sodann effizienzgesteigerten) MIV statt, gäbe es in der Multi-Modalität einen deutlichen Modal-shift zum Umweltverbund, mit einer Verdreifachung von S-, U-, Tram-, SPNV- und einer Verdoppelung der Bus-Personenkilometern. In diesem Zusammenhang wurde zudem auf die Beschäftigungsentwicklung im ÖPNV hingewiesen: Gleichwohl der zunehmende Einsatz autonomer Fahrzeuge zu einer Abnahme von Fahrpersonal führe, sei insgesamt mit einer steigenden Beschäftigungsanzahl innerhalb dieses Sektors zu rechnen, beispielsweise durch Personal für die Erhaltung der Servicequalität. Als Treiber für die Verkehrswende determinierte Schade den Klimaschutz, insbesondere die Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030. Nachdem diese seit 1990 quasi nicht stattgefunden habe, sei eine Instrumentalisierung des ÖPNV zur Zielerreichung notwendig – wie etwa im aktuellen Klimaschutzpaket vorgesehen. Hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung wies der Vortragende auf die großen Erwartungen an den ÖPNV hin, die es nun zu erfüllen gäbe. Gleichwohl sei nicht sicher, inwiefern die Voraussetzungen, etwa hinsichtlich der Finanzierbarkeit, hierfür gegeben wären.

– Prof. Dr. Michael Rodi (Universität Greifswald / IKEM Berlin) stellte Möglichkeiten beziehungsweise Notwendigkeiten einer Anpassung des Rechtsrahmens zur Stärkung des ÖPNV als Bestandteil der Verkehrswende vor. Ausgangspunkt für diese Überlegungen war die Versorgung des ländlichen Raumes mit Leistungen des ÖPNV. So gäbe es eine große Fläche mit gleichzeitig wenig Nutzern und einer geringen Finanzierung zu versorgen und dabei eine vollwertige Alternative zum MIV darzustellen, vgl. § 2 ÖPNVG Mecklenburg-Vorpommern. Dazu käme eine Negativspirale der ländlichen Entwicklung – hierbei sei exemplarisch an den demographischen Wandel gedacht –, die letztlich zu einer Mobilitätsarmut führe.

Mögliche Lösungsansätze bestünden in Form von Rufbussen oder ehrenamtlichen Fahrdiensten. Diese unterlägen jedoch verschiedenen Problemen des Rechtsrahmens; Erstgenannte als flexible Bedienformen des Linienverkehrs nach § 2 VI PBefG etwa einem Typenzwang, der wenig Gestaltungsfreiräume für innovative Modelle ließe. Ehrenamtliche Fahrdienste hingegen wären zwar grundsätzlich zulassungsfrei, vgl. § 1 2 Nr. 1 PBefG, jedoch nur insoweit diese unentgeltlich sind oder aber das Gesamtentgelt die Betriebskosten ihrer Ausübung nicht übersteigen. Ist diese Hürde jedoch genommen, so könnten sie – da aufgrund fehlender Linienverkehrseigenschaft kein ÖPNV – nicht mit den regulären Finanzierungsinstrumenten der öffentlichen Hand unterstützt werden. Im weiteren Verlauf seines Vortrags beschäftigte sich Rodi mit weiteren neuen Gestaltungspotentialen zur Förderung der Verkehrswende, etwa (digitalen) Mobilitätsplattformen. Als grundsätzliches Problem adressierte er dabei die nicht gegebene Anwendbarkeit des PBefG auf ebenjene. Gleichwohl unterlägen diese durch „allgemeine Gesetze“ (BGB, HGB, UWG, GWB) zumindest einer gewissen Regulierung. Hinsichtlich der vorstehenden Plattformen plädierte Rodi für eine Ausnahme von der Genehmigungspflicht, für die Ermöglichung der Genehmigungsfähigkeit als Mietwagen oder als dem Mietwagen ähnlich – jeweils nach einer vorherigen Deregulierung derselben – oder aber für eine gänzlich eigene Regelung. Außerdem seien Änderungen beziehungsweise Konkretisierungen des Rechtsrahmens, die Rufbusse und ehrenamtlichen Fahrdienste betreffend, für eine Stärkung des Nahverkehrsplans und für eine Vereinfachung der ÖPNV-Förderlandschaft wünschenswert.


Die 6. Jenaer Gespräche zum Recht des ÖPNV werden am 30. Oktober 2020 stattfinden.