Rückblick: Tagung der Forschungsstelle für Verkehrsmarktrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, 24.05.2019
Der Verkehrsmarkt auf lokaler Ebene gerät in Bewegung. Seit Jahrzehnten nahezu unveränderte Marktstrukturen werden durch neue technische Möglichkeiten und darauf gründende neue Geschäftsideen herausgefordert. Dies geht mit Chancen und Risiken gleichermaßen einher. Ende Februar hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die öffentliche Diskussion hierüber durch die Veröffentlichung eines Eckpunktepapiers, welches auf eine Marktöffnung für neue Anbieter abzielt, bereichert.
Vor diesem Hintergrund lud die Forschungsstelle für Verkehrsmarktrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu einem Austausch wissenschaftlicher und praktischer Perspektiven ein. Insgesamt acht Referenten aus Anwaltschaft, Verbänden, dem Taxigewerbe und Vertretern neuer Mobilitätsdienste stellten sich nach ihren Vorträgen auch den Fragen der interessierten Öffentlichkeit.
Nach einer Begrüßung und kurzen Einführung in die Thematik durch den Gastgeber, Prof. Dr. Matthias Knauff, LL.M. Eur., stellte Rechtsanwalt Dr. Clemens Antweiler, Mag. rer. publ. (RWP Rechtsanwälte, Düsseldorf) den geltenden Rechtsrahmen vor. Er begann mit dem Personenbeförderungsrecht, das zwischen Linienverkehr und Gelegenheitsverkehr unterscheide. Innerhalb des Gelegenheitsverkehrs werde der Transport mit Taxen u. a. vom Verkehr mit Mietomnibussen und Mietwagen unterschieden. Für die jeweiligen Verkehre stellte er die unterschiedlichen Genehmigungsvoraussetzungen dar. Im Hinblick auf das Vergaberecht warf Antweiler die Frage auf, ob die Genehmigung zur Erprobung neuer Verkehrsarten oder Verkehrsmittel gem. § 2 Abs. 7 PBefG als Dienstleistungskonzession einzuordnen sei. Weiterhin könnten solche Genehmigungen von Taxiunternehmen wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG angegriffen werden, wenn sie zu ungleichen Wettbewerbsvoraussetzungen führten. Andererseits wies er darauf hin, dass die vom BVerfG einst festgestellte Vereinbarkeit der Rückkehrpflicht von Mietwagen mit Art. 12 GG zu hinterfragen sei, da sie lediglich dem Schutz des Taxenverkehrs vor Konkurrenz diene, den das Grundrecht gerade nicht biete. Vielmehr seien die Privilegierungen des Taxenverkehrs als ausschließliche Rechte gem. Art. 3 VO (EG) Nr. 1370/2007 anzusehen, weswegen bei der Gewährung die Vorgaben dieser Richtlinie zu beachten, sie ansonsten unionsrechtswidrig seien.
Prof. Dr.-Ing. Harald Kipke (TH Nürnberg) analysierte die Risiken und Chancen neuer Mobilitätsformen aus stadtplanerischer Perspektive. Deren Neuartigkeit sei allerdings eine Illusion. Es ändere sich etwas an den Eigentumsverhältnissen und der Organisation von Mobilitätsdienstleistern, der resultierende Verkehr verändere sich dadurch nur wenig. Bei allem Interesse an neuen Techniken solle mehr auf deren Installierbarkeit geachtet werden. Es sei die Frage zu stellen, welche Chancen Mobilitätsformen wie das autonome Fahren für die städtische Mobilität angesichts der Knappheit an Fläche, Ruhe und sauberer Luft in urbanen Räumen böten. Die verschiedenen Fahrtwünsche seien modellhaft in radiale, diametrale und tangentiale einzuteilen. Der ÖPNV biete jenseits von Großstädten vorrangig radiale Fahrten an. Die Dichte der Haltepunkte und Fahrtenangebote nehme mit zunehmender Entfernung vom Zentrum ab. Dies mache diametrale und tangentiale Fahrten mit dem ÖPNV vergleichsweise unattraktiv, so dass hier mehr Menschen private PKW nutzten. Stelle man die Angebote von günstigen On-Demand-Verkehren in dieses Modell ein, stünden diese in Ballungsräumen vor allem in Konkurrenz zum ÖPNV, da sie nicht den Komfort und die Autonomie einer Fahrt mit dem Privat-PKW bieten könnten. Dies führe prognostisch zu mehr Fahrtkilometern für die gleiche Mobilitätsleistung. Auch das Absinken von Abstellflächen für geparkte PKW ließe sich nicht nachweisen. Nur wenn es gelänge, die Angebote als Zubringerdienste in vorhandene ÖPNV-Strukturen einzubinden und eine generelle Bereitschaft angenommen werden könne, sich in volle Fahrzeuge zu begeben, sei eine positive Gesamtbilanz realistisch. Auch in ländlichen Gebieten mit einem Defizit an Mobilitätsangeboten könnten Dienste wie das autonome Fahren positive Effekte haben.
Dr. Tom Kirschbaum (Door2Door GmbH, Berlin) vertrat die Auffassung, dass die neuen Mobilitätsformen vor allem die Chance böten, Privat-PKW durch bedarfsgerechte, komfortable Mobilitätslösungen überflüssig zu machen. Aktuell gebe es eine Marktlücke zwischen dem Angebot der Taxen und dem ÖPNV. Letzterer biete vielerorts schon jetzt ein gutes Mobilitätsangebot, sei aber häufig nicht attraktiv. Taxen dagegen seien zu teuer, als dass sie ein privates KFZ überflüssig machen würden. Die Digitalisierung biete die Chance, durch Algorithmen Fahrtwünsche zu bündeln und möglichst effizient und kostengünstig durchzuführen. Dass diese Angebote vor allem von privaten, nach wirtschaftlichen Grundsätzen agierenden Akteuren erbracht würden, sei nicht zwingend. Vielmehr sei es zu begrüßen, würden sich mehr öffentliche Verkehrsträger und die Städte aktiv an der Schaffung der Angebote beteiligen und an ihrer sinnvollen Integration in bestehende Verkehrsdienste mitwirken, wie beispielsweise der niederbayerische Landkreis Freyung-Grafenau seit einiger Zeit.
Martin Schäfer (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln) begrüßte die Vorschläge der Einordnung von ÖPNV Ride Pooling-Diensten als Sonderform des Linienverkehrs verbunden mit dem Erfordernis der Ersetzung, Ergänzung oder Verdichtung des klassischen Linienverkehrs, die auch schon heute stattfinde. Insbesondere für ländliche Gegenden, in denen derzeit fast gar kein ÖPNV und kaum Taxenverkehr angeboten werde, böten neue Verkehrsformen Potenziale. Die starke Stellung der Aufgabenträger müsse aber erhalten werden. Der geplanten Abschaffung der Rückkehrpflicht, die für Mietwagen den einzigen Örtlichkeitsbezug darstelle, und der Aufhebung des Pooling-Verbots für Mietwagen bedürfe es dazu nicht. Die vorgeschlagene Liberalisierung würde vielmehr zu einem unausgewogenen Verhältnis von Verpflichtungen und Privilegierungen der einzelnen Verkehrsarten zum Nachteil des ÖPNV und des Taxiwesens führen.
Thomas Grätz (Bundesverband Taxi und Mietwagen, Berlin) beklagte die Schaffung ungleicher Wettbewerbsbedingungen für Taxen einerseits und On-Demand-Pooling-Verkehren auf der anderen Seite durch die diskutierte Liberalisierung. Das klassische Taxi-Gewerbe werde verdrängt, der ÖPNV geschwächt, ohne dass durch die neuen Akteure bessere Mobilitätslösungen angeboten würden. Vielmehr sei eine Zunahme des städtischen Verkehrs zu Lasten umweltfreundlicher Mobilitätsformen wie dem ÖPNV oder dem Fahrrad zu befürchten. Die im Vergleich zum Taxiverkehr günstigeren Preise, die auf Dauer nur durch niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen zu finanzieren seien, gebe es auch nur so lange, wie sich die Anbieter noch gegen Konkurrenz am Markt behaupten müssten. Aus diesen Gründen seien der Wegfall des Rückkehrgebots sowie des Pooling-Verbots abzulehnen, im Gegenteil müssten sie in Zukunft noch besser durchgesetzt werden, etwa über besondere Kennzeichen für Mietwagen oder die behördliche Erfassung digitaler Bewegungsmuster von Mietwagen. Lediglich für den ländlichen Raum seien ÖPNV-integrierte On-Demand-Verkehre eine sinnvolle Ergänzung.
Dr. Markus Brohm (Deutscher Landkreistag, Berlin) identifizierte große Herausforderungen für die Kommunale Mobilität. In städtischen Gebieten gelte es, die Luftverschmutzung zu reduzieren und das Verkehrsnetz zu entlasten, während im ländlichen Raum vorrangig Versorgungslücken zu schließen seien. Neue Verkehre böten für beides Chancen und Risiken, die es zu nutzen bzw. zu vermeiden gelte. Eine effiziente Feinerschließung gelte es zu fördern, während ein Verkehrszuwachs ohne Mobilitätsvorteile zu vermeiden sei. Im Ergebnis sprach sich Brohm für ÖPNV-integrierte On-Demand-Verkehre aus, während solche Verkehre außerhalb des ÖPNV vor allem unerwünschte Folgen hätten. Jedenfalls sei die vorgeschlagene Schwelle für eine Genehmigungsversagung, die bei einer Bedrohung der Funktionsfähigkeit des Linienverkehrs insgesamt liegen soll, eindeutig zu hoch angesetzt. Der vorgeschlagene Wegfall des Pooling-Verbots sowie der Rückkehrpflicht für Mietwagen beeinträchtigten vor allem den ÖPNV und benachteiligten Taxen ungerechtfertigt. Sie seien daher abzulehnen. Die im Eckpunkte-Papier vorgesehenen Beschränkungen in Form von Aufstellungsverboten und Lizenzgebieten seien mit vertretbarem Aufwand nicht kontrollierbar und daher nicht praktikabel. Insgesamt bleibe abzuwarten, ob die Einführung neuer On-Demand-Verkehre sich als Großstadt-Hype oder als Bestandteil tragfähiger Lösungen für Mobilitätsprobleme erweisen würde.
Im Anschluss erläuterte Prof. Dr. Matthias Knauff, LL.M. Eur., den verfassungs- und europarechtlichen Rahmen, der bei der Weiterentwickung des Rechts lokaler Mobilität zu beachten sei. In Ermangelung eines Sonderregimes unterfiele dieser Verkehrsbereich den allgemeinen Regeln. So schlösse etwa die primär den ÖPNV-Bereich prägende Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 im Anwendungsbereich lokale Taxi-/On-Demand-Verkehre nicht von vornherein aus. Daneben hob Knauff die besondere Grundrechtsrelevanz lokaler Verkehre hervor, die neben einer Einbeziehung der Verkehrsunternehmer in den Schutzgehalt von Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) und Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlung) auch in spezifischen Mobilitätsgehalten unterschiedlicher Grundrechte hinsichtlich der Nutzer äußere, wobei er anhand der Judikatur des BVerfG und des BVerwG die jeweiligen Rechtfertigungsanforderungen an Grundrechtseingriffe nachzeichnete. Letztere hätten sich insbesondere an den besonderen Ausprägungen der Verkehre auszurichten (BVerfG, Beschl. v. 8.6.1960 – 1 BvL 53/55), was in der hervorgehobenen Schutzbedürftigkeit des Taxenverkehrs im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG münde. Eine besondere Differenzierung ergäbe sich dementgegen in funktionaler Hinsicht zu Mietwagenverkehren, die sich – als „Luxusbedürfnis“ (so BVerfG, Beschl. v. 8.6.1960 – 1 BvL 53/55) nur eingeschränkt schutzbedürftig – letztlich weiten Ausgestaltungspflichten und -möglichkeiten des Gesetzgebers in Anknüpfung an insofern notwendig überformte Berufsbilder ausgesetzt sähen. Daher könnten die unterschiedlichen Funktionen der Verkehrsbedienung eine Abstufung zwar rechtfertigen, seien aber nicht zwingend durch Verfassungsrecht indiziert. Solle das künftige Recht daher zwar eine funktionale Perspektive wahren, was etwa aus der Daseinsvorsorgefunktion von Taxenverkehren folge, stünde deren inhaltliche Überformung jedoch weitgehend offen.
Dr. Felix Berschin (Nahverkehrsberatung Südwest, Heidelberg) setzte sich mit den Potenzialen einer PBefG-Novelle auf Grundlage des Eckpunktepapiers des BMVI auseinander. Kritisch sei die Zuordnung von Ride-Pooling-Diensten zu Linienverkehren im PBefG zu sehen, da sich diese nicht durch die Bedienung vorab feststehender Routen auszeichneten. Ein solches Modell könne daher nicht als verstetigte Problemlösung dienen. Zugleich seien bereits Defizite zu befürchten, die sich in schwerlich kontrollierbaren Parametern, einer schlechte(re)n Verkehrsbedienung etwa im ländlichen Raum und der Gefahr von für die Fahrgäste nachteiligen Preisentwicklungen äußere. Vor dem Hintergrund sozialer, ökologischer und lückenfüllender Potenziale von Ride-Pooling-Diensten sei eine solche Entwicklung jedoch kritisch zu beurteilen. Komplementär erfordere die Verkehrsbedienung im Stadtgebiet eine verbesserte Arbeitsteilung und Ausschöpfung der Potenziale, wozu sich Berschin für eine Zurückhaltung in staatlicher Regulierung und für eine umfassende Erprobung von Ride-Pooling aussprach.
Zusammengestellt von Constantin Beye und David Meurers,
Wissenschaftliche Mitarbeiter, Universität Jena