Ein Statement von Univ.-Prof. Dr. Sebastian Kummer, Vorstand des Institutes für Transportwirtschaft und Logistik, Wirtschaftsuniversität Wien
Es ist offensichtlich, dass die Covid-19-Krise den Wertewandel bei Menschen, Unternehmen und natürlich auch der Gesellschaft als Ganzes beschleunigt. Dabei spielen die beiden Megatrends Ökologisierung und Digitalisierung eine entscheidende Rolle. Während die Wirtschaftskrise 2008 für die Ökologisierung einen deutlichen Rückschlag bedeutete, weil alle Kraft auf eine ökonomische Erholung gelegt wurde und aus Gründen der Kostendisziplin keine starken Digitalisierungsinitiativen gesetzt wurden, erscheint die Situation heute anders.
Im Güterverkehr zeichnet sich ein eindeutiger Wertewandel hin zur Dekarbonisierung ab. Es ist wohl eine Mischung aus moralischer Überzeugung der Manager*innen und der Erkenntnis, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen zumindest in der EU in den nächsten Jahren radikal ändern werden, die zu zahlreichen Initiativen führt. Das Erfreuliche dabei ist, dass es nicht nur um ein Green Washing oder Green Marketing geht, sondern tatsächlich Veränderungen angestrebt werden. Im Bereich der Digitalisierung investieren im Grunde alle maßgeblichen Player.
Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt. Im Bereich der Personenmobilität sehen wir ein sehr gemischtes Bild. Aus Sorge um die Gesundheit erleben wir einen starken Wandel hin zu individuellen Mobilitätsformen. Die ansteigenden Fahrradverkehr- und Fußgängerzahlen sind dabei zwar durchaus positiv für die Umwelt, allerdings bedeutet die Abkehr der Menschen von den öffentlichen Verkehrsmitteln eine enorme Herausforderung. Dass gleichzeitig der PKW (bei niedrigen Rohölpreisen) für preissensible Reisende attraktiv erscheint und das beginnende Angebot bei batterieelektrischen PKW im Verbund mit hoher Förderung für viele Menschen eine Gelegenheit bietet, PKW und Umweltgewissen zu verbinden, ist für den gesamten öffentlichen Personennahverkehr ein gefährliches Anzeichen.
Es bleibt abzuwarten, ob es sich hierbei um einen Wertewandel weg vom öffentlichen hin zum individuellen Verkehr handelt – wieder einmal. Ein großes Warnsignal in diesem Zusammenhang ist, dass viele Pendler*innen ihre Zeitkarten gekündigt haben. Hier wäre es wichtig, zum einen mit attraktiven flexiblen Angeboten zu reagieren. Die lange Zeit beliebte Strategie, Einzelfahrten teuer zu machen und Zeitkarten günstiger zu gestalten, ist vor diesem Hintergrund sicherlich kritisch zu sehen.
Unabhängig davon, ob nun batterieelektrische Antriebe so umweltfreundlich sind wie von einigen Proponenten propagiert, dürfen sich die öffentlichen Verkehrsunternehmen nicht mehr auf das Narrativ der umweltfreundlichen Verkehre verlassen. Es erscheint mir wichtiger denn je, dass der öffentliche Verkehr mit Werten wie Kundenfreundlichkeit, Zuverlässigkeit und Flexibilität überzeugt und auch bei der Digitalisierung eine innovative Rolle einnimmt.
Die aktuelle Mai-Ausgabe 2021 von Internationales Verkehrswesen gibt Ihnen eine Vorstellung von der Vielfalt der Ansatzpunkte für den Wertewandel nach der Covid-19-Krise.
Sebastian Kummer
Erschienen in Internationales Verkehrswesen (73), Heft 2 | 2021