Längst nicht alle Verteilernetze in Deutschland sind darauf ausgelegt, eine größere Zahl von Elektroautos gleichzeitig zu laden. Vielerorts muss daher in den nächsten Jahren investiert werden, in neue Leitungen genauso wie in Instrumente zur Steuerung der Ladevorgänge. Im Projekt „Ladeinfrastruktur 2.0“ untersuchen Forschungsinstitute, Netzbetreiber, Energieversorger, Autohersteller und -zulieferer jetzt, wie sich die Netze auf volkswirtschaftlich sinnvollste Weise für die Elektromobilität rüsten lassen. Das Forschungsprojekt wird vom Fraunhofer IEE koordiniert. Gefördert wird das Vorhaben mit einer Laufzeit von vier Jahren vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
In welchen Fällen ist ein Netzausbau die beste Lösung? Unter welchen Umständen kann eine Ladesteuerung die Spitzenlast der Netze reduzieren? In wie weit lässt sich damit Netzausbau vermeiden? Welche Variante verursacht in welchem Fall die geringsten Kosten? Und: Welche Anforderungen stellt das gesteuerte Laden an die Autohersteller? Fragen wie diese soll das Forschungsprojekt „Ladeinfrastruktur 2.0“ beantworten. Ein zentrales Ziel ist, den Netzbetreibern ein Instrument an die Hand zu geben, mit dem sie ihre Netzplanung dynamisch an die Entwicklung der Elektromobilität anpassen können. Zudem wollen die Projektpartner eine Wissensbasis schaffen, auf der die Autoindustrie Produktstrategien für die Ladetechnik ihrer Fahrzeuge entwickeln kann, die sich positiv auf das Netz auswirken.
Gesamtwirtschaftlich optimale Lösungen für Netze und Fahrzeuge
„Die Instrumente für die Integration der Elektromobilität in die Netze sind bekannt: der Netzausbau zum Beispiel, die Ladesteuerung, das bidirektionale Laden oder die Koppelung der Fahrzeuge mit dem Energiesystem von Gebäuden“, sagt Projektleiter Dr. Bernhard Ernst vom Fraunhofer IEE in Kassel. „In unserem Projekt geht es jetzt darum, all das zusammenzuführen. Ziel ist es, gesamtwirtschaftlich optimale Lösungen für Netze und Fahrzeuge zu finden.“
Beteiligt am Forschungsprojekt „Ladeinfrastruktur 2.0“ sind neben dem Fraunhofer IEE die Universität Kassel, der Stadtwerke-Verbund Thüga mit den Partnerunternehmen sw netz und BS Energy, die Netzbetreiber Stromnetz Hamburg, Netze BW und Stadtwerke München sowie Volkswagen und Continental als Vertreter der Autoindustrie. Um weitere Netzbetreiber, Fahrzeughersteller und andere Stakeholder einzubinden, werden die Projektpartner in regelmäßig stattfindenden Workshops Anregungen und Einschätzungen anderer Akteure einholen sowie über Zwischenergebnisse ihrer Arbeit informieren. Die erste Veranstaltung findet Mitte August 2019 in Stuttgart statt.
Das Fraunhofer IEE koordiniert das Projekt und leitet zudem einzelne Arbeitspakete. „Wir beschäftigen uns seit Jahrzehnten mit Fragen des Netzausbaus und der Betriebsführung. Diese Erfahrung und diese Kompetenz nutzen wir nun auch für die Netzintegration der Elektromobilität“, erklärt Ernst.
Mehr Flexibilität bei der Netzplanung
Die Netzbetreiber stehen vor der Herausforderung, mit Netzausbau und Intelligenz in den Netzen flexibel auf die Verbreitung von Elektroautos in ihrer Region reagieren zu müssen. Wer in Erwartung einer großen Zahl elektrischer Fahrzeuge seine Stromkabel oder Trafo-Stationen ausbaut, könnte eine Fehlinvestition tätigen, wenn die Prognose nicht eintrifft. Umgekehrt könnten Netzengpässe auftreten, wenn sich mehr Anwohner als angenommen ein Elektroauto anschaffen. Daher wollen die Partner im Forschungsprojekt Instrumente entwickeln, die den Unternehmen mehr Flexibilität bei der Netzplanung verschaffen. Sie sollen zum Abschluss des Projekts in Hamburg, Braunschweig und Wiesbaden in der Praxis erprobt werden.
Auch die Autoindustrie muss bei der Entwicklung der Ladetechnik in ihren Fahrzeugen die Anforderungen des Netzbetriebs berücksichtigen. Zweites Ziel des Projektes ist daher, die Autohersteller und -zulieferer auch mit Blick auf die internationalen Märkte dabei zu unterstützen, die aus Systemsicht optimalen technischen Lösungen für die Ladekomponenten der Autos zu finden.
Darüber hinaus wollen die Projektpartner Empfehlungen für Normen aussprechen – etwa zu den Netzanschlussbedingungen, für die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Netz oder Ladestation sowie für die Einbindung von Elektrofahrzeugen in ein Smart-Home-System.
„Sowohl Netzbetreiber als auch Autoindustrie arbeiten daran, ihren Beitrag zur Netzintegration der Elektromobilität zu leisten. Bislang tun sie das aber weitgehend unabhängig voneinander. Unser Forschungsprojekt „Ladeinfrastruktur 2.0“ bringt nun beide Seiten zusammen“, erklärt Fraunhofer-Forscher Ernst.
Stichwort „Ladeinfrastruktur“