Logistik

Kraftfahrermangel: Alte Gewohnheiten über Bord werfen

Kraftfahrermangel: Alte Gewohnheiten über Bord werfen
Symbolbild: Shutterstock 785776654

[THI] THI-Professor Stefan Rock sagt über den Kraftfahrermangel, dass die Gegen­maßnahmen der Politik nicht ausreichen werden und man vor allem die Möglich­keiten der Digitalisierung mehr nutzen müsse

In Deutschland fehlen zehntausende Lastwagen-Fahrerinnen und -Fahrer, laut Branchen­angaben ist von 60.000 bis 80.000 die Rede. Ein Problem, das seit vielen Jahren bekannt ist, sich aber zu­nehmend verschärft. Dr. Stefan Rock, Professor an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI), forscht zu handels­logis­tischen Themen­feldern. Er sagt: „Ein Um­denken aller an den Trans­port­ketten Beteiligen ist unab­dingbar. Dies beinhaltet auch das Über-Bord-werfen lieb­ge­wonnener Gewohn­heiten und das Gehen neuer Wege.“

In einer Studie zum Kraftfahrermangel sind Rock und sein Team aus Studieren­den der Frage nach­gegangen, wie man den Einsatz der vor­handenen Fahrer­innen und Fahrer effektiver gestalten kann und wie man ihnen den Berufs­alltag vereinfachen kann bzw. was sie selbst dazu sagen, wie man die Mit­arbeiter­innen und Mitarbeiter im Job halten und neue an­werben könne. Denn eines ist klar: Dieser Fahrer­mangel, ver­ursacht durch eine Vielzahl von Faktoren, lässt sich nicht von heute auf morgen beseitigen, auch und ins­beson­dere nicht durch die Akquisi­tion von Kraftfahrenden aus dem immer östliche­ren oder süd­östlicheren Europa. „Mit dieser Maßnahme wird versucht, kurz­fristig die Symptome zu lindern, ohne dass das Problem nach­haltig gelöst wird“, sagt Stefan Rock.

In erster Instanz könne man dem Kraftfahrermangel begegnen, indem der vorhan­dene Lader­aum besser genutzt wird – bei 78 Prozent liegt die Ausnutzung derzeit europaweit. Durchschnittlich 38 Prozent Leer­fahren finden laut statis­tischem Bundes­amt statt, in einigen Branchen sind es sogar über 50 Prozent. Dies könne durch die verstärkte Nutzung von Transport­börsen, insbeson­dere bei spontanen Verkehren, oder durch einen intensiv­eren Einsatz bereits etablierter Güter­verkehrs­kon­zepte bei geplanten Verkehren sowie durch eine Ver­besserung der Informations­transparenz, getrieben durch die fortschrei­tende Digitali­sierung, kurz­fristig verbessert werden, sagt Prof. Dr. Rock.

Aber das reiche nicht aus. Die Untersuchung der THI hat ergeben, dass ein großer Teil der Unzufrie­denheit mit dem Job aus unnötigen Warte­zeiten resultiert. Ein Beispiel: Meist sind die Zeiten der An­lieferung wenig flexibel. Dazu kommt, dass die Kraftfahrenden aus haftungs­rechtlichen Gründen die Fracht selbst be- und entladen müssen. Was passiert, wenn sich Ankunfts­zeiten verändern, ein Last­wagen zu früh oder zu spät ankommt? „Heute ist beides mit teils nicht zu ignorierenden Warte­zeiten verbunden, Zeiten, die der Fracht­führer kaum ander­weitig nutzen kann“, erklärt der Professor für Internationales Handelsmanagement, insbesondere Handelslogistik. Welche Tätigkeiten übernimmt der Frachtführer nach dem Andocken? Eine Unter­suchung hat gezeigt: Wenn der Fracht­führer hiervon ent­lastet wird, kann ein Zeit­gewinn von bis zu 30 Prozent entstehen. Zeit, in der Fahrer für ihre eigentliche Tätigkeit zur Verfügung stehen.

Die Politik hat vor Corona zu reagieren versucht, wobei deren Maß­nahmen­paket bei den Adressaten, den Fahrern und Fahrer­innen, keine große Akzeptanz fand, sagt Rock. Oftmals zielten Maß­nahmen auf die Symptome, nicht auf die Ursachen der Entwick­lung. Die Lösung der mit dem Fahrermangel verbundenen Heraus­forderungen ist eine wirtschaft­liche und gesell­schaft­liche Aufgabe, an der sowohl die Politik, die Arbeitgeber, die Empfänger der Waren sowie die breite Öffent­lichkeit unter der Inte­gration der Betroffenen zu beteiligen sind. Das hat die THI-Studie eindeutig bewiesen.

Organisatorische Maßnahmen, die Vermeidung ineffektiver Aktivi­täten in der Transport­kette und die effizientere und konse­quentere Anwendung bestehender güter­verkehrs­logistischer Konzepte sind durch Ansatz­punkte, die die Digitali­sierung bietet, zu ergänzen. Einzelne Aktivitäten, zu denen auch unter­nehmens­spezifische Maß­nahmen – beispiels­weise die Schaffung von Parkflächen mit einer ent­sprechen­den Infra­struktur, zu der auch an­sprechende Dusch­möglich­keiten und Toiletten zählen oder Möglich­keiten, das Sozial­leben der Kraftfahrenden durch Grill­plätze oder ähnliches zu beleben – werden nicht den erhofften Effekt haben.

„Ein ganz­heitlicher, systemisch orientierter Ansatz, getragen von der Infrage­stellung aller bisherigen Abläufe ist unabdingbar“, sagt Stefan Rock. „Das Ziel muss die Verbesserung der Attraktivität des Berufs der Kraftfahren­den in Kombi­nation mit einer effizienteren Nutzung der Arbeits­kapazität des Frachtf­ührers sein. Eine nachhaltig erfolg­reiche Volks­wirt­schaft benötigt neu gewonnene und motivierte Kraftfahr­talente – auch und insbeson­dere aus der eigenen Bevölkerung.“