Standpunkt

Kommt die digitale industrielle Revolution?

Prof. Dr.-Ing. habil. Hartmut Fricke

Ein Statement von Prof. Dr.-Ing. habil. Hartmut Fricke, Leiter der Professur Technologie und Logistik des Luftverkehrs, Fakultät Verkehrswissenschaften der TU Dresden und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur

Offensichtlich beschäftigt uns in heißen Sommerzeiten mit Rekordwerten über 40 °C, seit Beginn der Wetteraufzeichnung einzigartig, wie Mobilität und Klima noch vereinbar sind. Auf der Straße wird das Ende des fossil angetriebenen Autos eingeläutet – in den USA Henry Fords Model T als Symbol der Massenmotorisierung und in Deutschland, später in den Fünfzigern, der VW Käfer als Symbol für den Wirtschaftsaufschwung. Damit scheint das Erfordernis einer nächsten industriellen Revolution gegeben.

Diese steht auch an, fokussiert auf die Digitalisierung unserer Gesellschaft, und ist ein spannendes Entwicklungsfeld in sich. Aber: Sie löst in keiner Weise das physische Mobilitätsbedürfnis einer rasant wachsenden Anzahl Menschen auf unserem Globus, wenn auch Leittechnologie-Standards wie 5G und eine immer stärkere Fokussierung auf digitale Services im Verkehr – selbst bei der Fahrzeug- und Flugzeugwerbung – dies suggerieren mögen.

Wo aber sind die Anreize für den realen Wandel? Fakt ist, dass seit 2003 die Kraftstoffpreise in Deutschland real quasi nicht mehr gestiegen sind. Die stetig wachsenden Entfernungen, die jeder von uns täglich – wohl nicht immer mit hinreichendem Umweltbewusstsein, aber oft auch aufgrund eines Mangels an Alternativen – mit dem Auto zurücklegt, überkompensieren alle wirklich beeindruckenden Technologiefortschritte, die bei aller Dieselgate-Diskussion insbesondere die deutsche Automobilindustrie im letzten Jahrzehnt unstreitig erzielt hat.

Gleiches gilt für den Luftverkehr, der motorenseitig und aerodynamisch erhebliche Fortschritte erzielt hat, aber eben international auch weiter stark wächst. Im Bereich der Antriebsenergie ist nach dem anfänglichen – politisch gut orchestrierten – Hype um die Elektromobilität die Erkenntnis einer weit größeren Herausforderung erkennbar, als es das Entwickeln eines Elektromobils für eine Trendwende im Verkehrssektor zu Land und in der Luft wäre: der damit verbundene umfassende Umbau der Stromindustrie in Deutschland. Und zwar jenseits der seinerzeitigen Impulse der Energiewende, die dem Atomausstieg galten.

So stehen wir vor der Herausforderung, weitsichtig kurzfristige, vorrangig nationale Maßnahmenoptionen (CO2-Bepreisung, nationales Klimaschutzgesetz) mit langfristigen Maßnahmen wie der Strom- und weiterführend Power to Liquid (PTL)-Erzeugung ausschließlich auf Basis erneuerbarer Energien und einem weltweiten Klimaschutz-Handelssystem zu kombinieren. Seitens der Fracht-Logistik und des Fahrzeugbesitzes muss es uns gesellschaftlich gelingen, unterschiedliche Wege für den urbanen und den ländlichen Raum zu akzeptieren – mobile Sharing-Modelle und dezentrale Depots für Pakete zur Vermeidung von Staus hier, innovative Transportmodelle on demand dort –, um bezahlbaren ÖPNV zu ermöglichen. In beiden Fällen kann die digitale industrielle Revolution mit jeweils gut durchdachten Services bzw. Apps als Brücke dienen.

Liebe Leser, noch nie war das Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Logistik, sozialer Spaltung, Stadtplanung und Umwelt auf globaler Ebene so groß wie dieser Tage. Nutzen wir dieses Spannungsfeld als Katalysator, den Wandel in ein deutlich nachhaltigeres Verkehrswesen zu schaffen. Es ist hohe Zeit.


Veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen (71), Heft 3 | 2019