Ein Statement von Eberhard Buhl, Redaktion Internationales Verkehrswesen.
Der Beginn eines neuen Jahrzehnts ist im Grunde nicht ungewöhnlich, und doch scheinen diese Zwanzigerjahre unter einem besonderen Stern zu stehen: Es wird gerade im Bereich der Mobilität ein Jahrzehnt der Entscheidungen sein, denn es gilt Lösungen zu finden auf Fragen, die im vergangenen Jahrzehnt sehr groß und sehr konkret geworden sind.
In Deutschland gehört die Verkehrsinfrastruktur zu den aktuellen Sorgenkindern. Unbestritten ist, dass Bund, Länder und Kommunen bei Straßen, Schienennetz, Brücken und Wasserwegen seit geraumer Zeit auf Verschleiß fahren. Wenn die Politik nun eine Investitionswende versprochen hat, lässt das auf Besserung hoffen – falls nicht endlos lange Planungsprozesse und klagefreudige Interessensgruppen den Neustart ausbremsen. Dabei erleben wir derzeit nichts weniger als eine weitere Mobilitäts-Revolution, die dringend auf leistungsfähige Strukturen angewiesen ist.
Während sich die Entwicklung von der Erfindung des Rades über die Kutsche bis zu den ersten motorisch angetriebenen Vehikeln über einen relativ langen Zeitraum erstreckte, stößt Massen-Mobilität – zu Lande, auf See und in der Luft – bereits ein Jahrhundert nach ihrem ersten Aufblühen vielerorts an Grenzen. Längst lassen sich die Auswirkungen von verstopften Autobahnen und Innenstädten, Smog und klimaschädlichen Emissionen nicht mehr verbergen, höchstens noch schönreden.
Mut macht einerseits, dass die Vielfalt bereits verfügbarer oder in Entwicklung befindlicher technischer Lösungen enormes Potenzial verspricht. Eigentlich bemerkenswert ist jedoch der Wandel in vielen eher westlich geprägten Gesellschaften: Erstmals steht nicht das Vorwärtskommen selbst im Vordergrund, sondern Fragen nach Ökologie, nach der Verträglichkeit individuellen Reisens mit Klimaschutz, Gesundheit und Schonung der Ressourcen. Mobilität für alle – aber bitte nachhaltig.
Es ist dies eine Entwicklung, die in diesem eben begonnenen Jahrzehnt gerade richtig in Fahrt kommt – und dabei teils auch merkwürdige Blüten treibt. Ob autonome Fahrzeuge die staugeplagten Metropolen wirklich entlasten können, ist ja noch keineswegs ausgemacht. Ebenso offen ist, ob Wirtschaftsunternehmen, die bisher verbissen am Dieselmotor festhielten und sich nun alternativlos auf Elektromobilität verlegen wollen, tatsächlich aufs richtige Pferd setzen. Zumal ein so radikaler Technologiewandel beileibe nicht nur den Verkehrsbereich betrifft – wie überhaupt immer deutlicher zutage tritt, dass die verschiedenen gesellschaftlichen, geostrategischen und wirtschaftlichen Problemfelder enger denn je miteinander verflochten sind. Und nie war das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie, sozialen Umbrüchen und auch gestalterischen Möglichkeiten auf globaler Ebene so groß wie in dieser Zeit.
Liebe Leserinnen und Leser, dass unser Journal all diese Themen auch im neuen Jahrzehnt technologie- und branchenoffen aufgreifen und zur Diskussion stellen wird, zeigt Ihnen die Ausgabe 1 | 2020. Unsere Autoren beleuchten in ihren Analysen, Gedankenexperimenten und Projektberichten neue Mobilitätsoptionen in urbanen und ländlichen Räumen – vom Fahrrad über öffentliche Verkehrsmittel bis zum automatisierten Auto. Dazu wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre.
Veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen (72), Heft 1 | 2020