Standpunkt

Digitaler Aufbruch

Ein Statement von Eberhard Buhl, Verleger und Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen.

Keine Frage: Digitalisierung und Automation eröffnen dem Mobilitätssektor völlig neue Optionen. Das beginnt bei Ticket-Automaten und Ridesharing-Apps und reicht über digitale Verkehrssteuerung bis hin zu automatisiertem Fahren nach SAE Level 4 und 5.

Die Vorteile sind durchaus real: Beim vernetzten und automatisierten Fahren auf der Straße erhöht sich zum Beispiel die Sicherheit, wenn sich Fahrzeuge untereinander vor Straßenschäden oder Glatteis warnen. Im Schienenverkehr steuern und sichern softwarebasierte Systeme Abläufe zuverlässiger als Menschen – und intelligente Infrastrukturen erzeugen Datenströme, die für Funktionalität und Sicherheit künftig unabdingbar sind. Für Flug- und Schiffsverkehr gilt Gleiches.

Die fortschreitende Digitalisierung bringt jedoch Herausforderungen mit sich, die in der öffentlichen Diskussion oft unterschätzt werden. Komplexe Software und umfassende Konnektivität, wie sie zum Beispiel für kollaboratives autonomes Fahren notwendig sind, machen diese Systeme verwundbar: Hacker können Sensorgeräte oder die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen beeinflussen, die Kontrolle über Autos übernehmen oder Einsatzfahrzeuge lahmlegen. Sogar Ladesäulen, oft an unbewachten Stellen aufgestellt, können betroffen sein: Sie senden neben Daten zum Ladevorgang auch Kundendaten wie Vertragsnummern oder RFID-Identifier an die Abrechnungsstelle. Einfacher ausgedrückt: Wo immer Elektronik steuert und lenkt, beschleunigt, bremst und speichert, ist Schutz vor Cyber-Angriffen wichtig.

Neu ist die Erkenntnis nicht. Doch die Sache wird immer dringlicher.

  • Schon im Dezember 2016 stellte der Intel Security Threats Report der McAfee Labs nach einer Umfrage bei über 400 Sicherheitsexperten in unterschiedlichen Ländern, Industrien und Unternehmensgrößen fest, dass allein Ransomware-Angriffe, bei denen Hacker Computerdaten verschlüsseln und nur gegen Lösegeldzahlung wieder freigeben, seit Jahresbeginn um 80 % zugenommen hatten.
  • Anfang 2018 warnte 7Alliance, ein Sicherheitsverbund aus sieben etablierten IT-Unternehmen, dass auch die Zahl der Cyber-Angriffe auf Logistik-Unternehmen rasant zunimmt.
  • Und erst kürzlich hat das Cybersicherheits-Unternehmen Group-IB seinen aktuellen Jahresbericht über die wichtigsten globalen Cyber-Bedrohungen veröffentlicht. Demnach wurden innerhalb nur eines Jahres 852 europäische Unternehmen Opfer der Offenlegung vertraulicher Daten auf speziellen „Leaksites“, etwa weil sie Lösegeldforderungen nicht erfüllten. Mit der Veröffentlichung der Daten von 147 deutschen Unternehmen, davon 18 Logistiker, war Deutschland das am stärksten betroffene Land in Europa – und auf Platz 2 weltweit.

Zugegeben, es ist nicht so, als würden all die Kassandra-Rufe ungehört verhallen. Zahlreiche Hochschulen, Institute und IT-Unternehmen arbeiten an Strategien und Lösungen für unsere digitale Zukunft. Und auch die Politik scheint in die Gänge zu kommen. Ende August 2022 verabschiedete das Bundeskabinett die vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr vorgelegte Digitalstrategie für Deutschland. Ende Januar tagte erstmals der Beirat Digitalstrategie Deutschland, der Bundesministerien bei der Umsetzung ihrer Projekte und Vorhaben mit fachlicher Expertise unterstützen soll. „Zivilgesellschaft und Wirtschaft sollen den Projektverantwortlichen wichtige Impulse für die weitere Arbeit geben“, ließ Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing verlauten.

Gut. Bleibt zu hoffen, dass aus all den bereits existierenden und noch kommenden Vorschlägen, Forschungsergebnissen und Leuchtturmprojekten unter dem Strich mehr erwächst als ein steuerfinanzierter Papiertiger. Eine Digitalstrategie nämlich, die das Thema Cyber-Sicherheit gebührend ernst nimmt.

An klugen Ideen dazu mangelt es nicht, wie die Beiträge in Heft 1/2023 von Internationales Verkehrswesen zeigen.


Erschienen in Internationales Verkehrswesen (75), Heft 1/2023