Mobilität

Autonom fahren: 70 % würden auf das eigene Auto verzichten

Autonom fahren: 70 Prozent würden auf das eigene Auto verzichten
Fahraufnahme, GEN.TRAVEL Design Studie,
© Volkswagen AG

[MHP] Erste autonom fahrende Systeme in Transport und Logistik voraussichtlich in den USA | Schlusslicht Deutschland: Nur jeder dritte Deutsche würde den Weg zur Arbeit in einem autonom fahrenden Vehikel zurücklegen | Privat autonom fahrende PKW nur in China zukunftssicher | Kaum Vertrauen in Tech-Riesen wie Cruise, Waymo und Co. | ÖPNV und Kommunen könnten Anbieter für geteilte Mobilität werde.

Über 70 Prozent der Menschen weltweit können sich vorstellen, auf ihr Auto zu verzichten – zugunsten autonomer Fahrzeugkonzepte wie Peoplemover (elektrisch angetriebene Kleinbusse ohne Fahrer). Dies ist eines der zentralen Ergebnisse der WeTalkData-Studie „The Autonomous Gap: Ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig? Anspruch und Realität autonomer Mobilitätskonzepte in Europa, China und den USA“, die das Management- und IT-Beratungsunternehmen MHP zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart und der Motor Presse Stuttgart als Recherchepartner veröffentlicht hat.

Für die Studie wurden 5.000 repräsentativ ausgewählte Erwachsene in Deutschland, Schweden, Polen, Italien und Großbritannien, China und den USA zu ihrer Erwartungs­haltung an geteilte autonome Mobilitätskonzepte oder auch AD-Mobilität (AD, Autonomous Driving) befragt. Die Einschätzungen und Bewertungen der potenziellen Nutzerinnen und Nutzern hinsichtlich der Realisierbarkeit, Tragfähigkeit und technischen Umsetzung haben die Studienautorinnen und Studienautoren mit 15 internationalen Expertinnen und Experten gespiegelt und dabei sieben Lücken (Gaps) identifiziert.

Die Studie lässt außerdem Rückschlüsse zu, welche Konzepte und Geschäftsmodelle in welcher Region erfolg­versprechend sein könnten – und wo einige der zentralen Herausforderungen für die unterschiedlichen Akteure liegen. Dabei wurden vier autonome Mobilitätskonzepte näher betrachtet, die einerseits zu einer Verkehrswende beitragen und andererseits langfristig positive ökologische Nachhaltigkeitseffekte bewirken sollen. Hierzu zählen VIP-Shuttles (ausgelegt für Individualmobilität), Peoplemover (geteilte Kleinbusse mit Platz zwischen zehn und 15 Personen) Komfort-Shuttles und Kleinstfahrzeuge (Fokus auf geteilte Mobilität für zwei bis vier Personen).

Hohe Bereitschaft zum Verzicht auf den eigenen PKW
Weltweit wären über 70 Prozent der Menschen bereit, auf ihr Auto zu verzichten, wenn attraktive autonom fahrende Dienste existieren würden. In der weiteren Aufschlüsselung der Zahlen wird es noch wahrscheinlicher, dass der mobile Individualverkehr (MIV) auf dem Rückzug ist. 45 Prozent der Befragten sind eventuell und 27 Prozent auf jeden Fall bereit, auf den Privat-PKW für äquivalente AD-Mobilität zu verzichten. Bei den Nutzerinnen und Nutzern, die heute schon auf Sharing-Angebote zurückgreifen, würden sogar 87 Prozent sofort AD-Mobilität nutzen. Ob diese Gruppe jemals zum PKW zurückkehren wird, bleibt allerdings Spekulation.

In Deutschland kann sich den kompletten Umstieg auf AD-Mobilität zumindest ein Viertel der Autobesitzer wegen Parkplatznot und Staus vorstellen. Weitere Motive sind mehr Flexibilität (48%), die Verfügbarkeit rund um die Uhr (43%) sowie Klimafreundlichkeit (40 %). Fast die Hälfte (43%) sehen in autonomen Mobilitätskonzepten eine Alternative zum ÖPNV. Dabei stellt der Transport von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von und zur Arbeitsstätte länderübergreifend das am häufigsten genannte Einsatzfeld dar. Insbesondere präferieren Polen, Italien, USA und China die geteilte Mobilität im Pendelverkehr. Im Gegenteil zu Schweden und Deutschland. Nur jeder dritte Deutsche würde seinen Weg zur Arbeit gern in einem autonomen Transportmittel zurücklegen. In den USA oder China sind es immerhin gut die Hälfte der Menschen, die sich den Arbeitsweg mit anderen teilen und autonom vorstellen können.

Zurecht äußern die befragten Expertinnen und Experten Zweifel daran, ob geteilte autonome Mobilität tatsächlich als Substitut fungiert oder lediglich als Ergänzungsangebot genutzt wird. Tatsächlich könnten sogar mehr Fahrten entstehen und das Verkehrsaufkommen steigen. Die Nachhaltigkeitseffekte wären dabei gering.

Autonom fahrende Privat-PKWs sind am wenigsten relevant
Besonders deutlich wird das bei dem Geschäftsmodell „private autonom fahrender PKW“. Hierbei würde es kaum zu weniger Verkehr und damit auch zu nachhaltigen Effekten auf die Umwelt führen. Noch dazu ist dieses Modell von den Befragten am wenigsten gewünscht, was die Interpretation zuließe, dass dieses Geschäftsmodell nicht zukunftssicher ist. Eine Ausnahme stellt hierbei China dar: Sogenannte VIP-Shuttles, also PKW in Privatbesitz, die autonom auf Level 4 oder 5 fahren, haben das größte Potenzial in China. So können sich die Befragten in China vor allem das Pendeln zwischen dem Zuhause und dem Arbeits- beziehungsweise Ausbildungsort sowie Events vorstellen.

Große Sicherheitsbedenken bei der Technologie
Die grundsätzliche Bereitschaft, geteilte autonome Fahrzeuge zu nutzen, ist zwar vorhanden, wenn auch regional unterschiedlich ausgeprägt. Mit 91 Prozent liegt China weit vorne, während erst knapp die Hälfte der Menschen in den USA und Deutschland dazu bereit sind. Diese Zurückhaltung hat verschiedene Gründe – nicht zuletzt gibt es nach wie vor große Sicherheitsbedenken. Besonders hoch wird dieses Risiko in die Technologie in den USA mit 59 Prozent eingeschätzt, Deutschland liegt mit 50 Prozent im Mittelfeld, während 41 Prozent der Chinesen Risiken in der Technologie sehen.

Tech-Riesen als Anbieter im öffentlichen Raum wenig vertrauenswürdig
Anders sieht es bei der geteilten Mobilität aus, insbesondere dort, wo es um die Anbindung von (urbanen) Verkehrsknoten geht. Am meisten trauen die Befragten hier den Kommunen und dem ÖPNV zu, autonome Mobilitätsangebote zu realisieren. So vertrauen 44 Prozent der Befragten den Kommunen als AD-Anbieter im Gegensatz zu den privaten Mobility-Anbietern (27%). Sie haben dabei nicht nur einen Vertrauensvorsprung gegenüber Tech-Riesen wie Alibaba, Baidu, Cruise oder Tencent, sondern auch einen Subventionsvorteil. Die Gründe dafür sind vielschichtig und reichen von einem großen Einfluss dieser Institutionen (insbesondere in China aufgrund des politischen Systems) über eine persönliche Identifikation bis hin zu stärkeren finanziellen Möglichkeiten. Außerdem treten Städte schon heute als Anbieter von Mobilitätsdiensten in Erscheinung. Es liegt also nahe, dass Nutzerinnen und Nutzer davon ausgehen, dass die gleichen Akteure auch die Mobilitätsdienste in der Zukunft bereitstellen werden.

Für alle – aber ganz individuell: Lösungen für den ÖPNV
Aber es braucht schon mehr als einen Vertrauensvorsprung der Menschen in den ÖPNV, um die Wende zu realisieren. Bislang ist es so, dass die Angebote und Geschäftsmodelle des ÖPNV für die Zukunft nicht ausreichend und nicht attraktiv genug sind, um die Substitution des privaten PKW zu erreichen. Das fängt bei der geringen Zufriedenheit mit der Taktfrequenz an und hört bei der Zahlungsbereitschaft für ÖPNV-Dienste auf. Langfristige Geschäftsmodellstrategien sind hier gefragt, Maßnahmen wie ein 49-Euro-Ticket allein werden nicht helfen. Gerade im urbanen und ländlichen Raum gibt es Chancen, ökonomisch nachhaltige Geschäftsfelder zu etablieren. Hier ist der Peoplemover vor allem in Europa und den USA als erfolgsversprechendes Konzept gesehen.

Treiber Fachkräftemangel bei LKW: Hoffnungsträger Transportbereich
Weitere Fahrzeugkonzepte, die sich wahrscheinlich sehr bald durchsetzen werden, finden sich bei der Langstreckenlogistik – vor allem in den USA. Neben dem komplexen, aber lückenlosen sogenannten ‚Gate-2-Gate-Einsatz‘ werden auch günstigere Angebote als ‚Hub-2-Hub-Service‘ angeboten werden, bei dem Fahrer und Fahrerinnen die Fahrzeuge auf den ersten und letzten Metern bis zum Highway steuern. Treiber für den Einsatz in den USA sind die hohen Kosten und geringe Verfügbarkeit von Fachkräften, der schlecht ausgebaute Schienenverkehr sowie die günstigen, stabilen Wetterbedingungen im Süden der USA, wo es prominente Gütertransit­strecken zwischen Ost- und Westküste gibt. Hinsichtlich der letzten Meile sind vor allem kleine Lieferroboter interessant, die das letzte Stück zum Empfänger autonom bestreiten sollen. China, Polen und die USA zeigen im Vergleich zu den anderen Ländern hier das höchste Interesse. Deutschland am geringsten.

So schnell wird autonome Mobilität in der Masse nicht kommen
Vorläufig werden autonome Mobilitäts- und Transportlösungen in Europa, China und den USA nur unter bestimmten Bedingungen, in ausgewählten geografischen Regionen im Einsatz sein. Der früher vorausgesagte umfassende Einsatz bis 2025 verzögert sich um mehrere Jahre, eventuell sogar um Jahrzehnte. Zu begründen ist das mit verschiedenen technischen Herausforderungen, beispielsweise der Robustheit autonomer Fahrzeuge gegenüber schlechten Wetterbedingungen sowie der Sicherheit und Kontrolle im Fahrbetrieb. In Europa erschweren vor allem die Streckenbeschaffenheit sowie unterschiedliche Rahmenbedingungen in den Ländern das Vorankommen autonomer Mobilitätskonzepte.