Forscherinnen und Forscher des ReLUT – Research Lab for Urban Transport der Frankfurt University of Applied Sciences sowie ein Forschendenteam der Hochschule RheinMain haben die aktuelle Situation der Wirtschaftsverkehre in der Wiesbadener Innenstadt untersucht. In quantitativen Erhebungen, Experteninterviews und Workshops wurden Herausforderungen im historischen Fünfeck von Wiesbaden identifiziert und Lösungsvorschläge zur Optimierung entwickelt.
„Wiesbaden steht durch die Urbanisierung und die Zunahme des Versandhandels sowie kleinerer, aber dafür hochfrequenterer Sendungen vor einer großen Herausforderung hinsichtlich der Wirtschaftsverkehre. Alleine in der Fußgängerzone befinden sich 1.600 Betriebe“, erklärt Prof. Dr. Benjamin Bierwirth vom Fachbereich Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain. „Die Nutzungskonflikte im innerstädtischen Straßenraum nehmen zu, diese treten insbesondere beim Be- und Entladen auf, oft bedingt durch Halten und Parken in zweiter Reihe oder an anderen, nicht dafür vorgesehenen Stellen“, so Prof. Dr. Petra Schäfer von der Frankfurt University of Applied Sciences. Zudem rücke der Wirtschaftsverkehr, gerade bei Diskussionen um Luftschadstoffe und Fahrverbote, immer wieder in den Fokus, da Städte landesweit vor der Problematik stehen, dass die Umweltbelastungen in den Innenstädten die festgesetzten Grenzwerte überschreiten.
Gemeinsames Forschungsprojekt
Gemeinsam sollte im Rahmen eines Forschungsprojekts eine systematische Datengrundlage für die Wiesbadener Innenstadt gebildet werden: „Auf dieser Basis sollen Defizite in der Verkehrsinfrastruktur erkannt sowie Maßnahmen zur optimierten Nutzung derselben entwickelt werden können“, so Prof. Schäfer. Hierfür wurde an mehreren Tagen der ruhende Verkehr rund um das historische Fünfeck erhoben. Die Verkehrszähler (m/w/d) haben dabei im Bereich der Liefer- und Ladezonen nahezu 1.000 Fahrzeuge erfasst. Um Hintergründe zu erfahren, wurden ergänzend Workshops mit der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer und 20 Experteninterviews durchgeführt.
Der private Individualverkehr macht dabei fast zwei Drittel (63%) der erfassten Park- und Haltevorgänge aus. Die omnipräsenten Kurier-, Express- und Paket-Dienstleister sind jedoch nur für fünf Prozent der Vorgänge verantwortlich. Die Erhebung bestätigt die allgemeine Wahrnehmung, dass Haltevorgänge des Wirtschaftsverkehrs zumeist nicht ordnungsgemäß erfolgen. Tatsächlich parkten nur 30% der erfassten Fahrzeuge auf den dafür vorgesehenen Flächen. Die Haltevorgänge sind in der Regel kurz: Ein Fünftel steht bis zu 3 Minuten und die Hälfte maximal zehn Minuten. Nur 18% halten über 30 Minuten; dann aber größtenteils ordnungsgemäß.
Status quo und mögliche Lösungen
Das Ergebnis des Projekts: „Die bestehenden Flächen sind derzeit nicht ausreichend. Die Herausforderung wird darin bestehen, neue Flächen zum Halten und Parken des Wirtschaftsverkehrs so zu gestalten, dass die Fremdnutzung durch Privatfahrzeuge minimiert wird und sich die ohnehin bereits angespannte Verkehrssituation dadurch nicht verschlechtert“, so Prof. Schäfer.
Ein City-Logistik-Konzept ist laut den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nur bedingt umsetzbar, da die Akteure der Wirtschaftsverkehre recht heterogen aufgestellt seien und eine einheitliche Lösung schwierig erscheine. Zudem seien viele Ad-hoc-Lieferungen an der Tagesordnung, die sich schwierig in das Konzept integrieren ließen. Ein wichtiger Ansatzpunkt: „Kleine Fahrzeuge dominieren im Wiesbadener Wirtschaftsverkehr. Aufgrund der vorherrschenden Fahrzeugkategorien sollte der Fokus daher eher auf einer höheren Anzahl an punktuellen, kleineren Liefer- und Ladezonen liegen“, so Prof. Bierwirth.
Die temporäre Freigabe eines Fahrstreifens für das Halten und Parken zum Liefern und Laden könne ebenso Entlastung bringen wie die Verlagerung des privaten Parkens weg von der Straße. „Hier könnte man durch finanzielle Anreize und regulatorische Maßnahmen etwas steuern, beispielsweise durch die Verkürzung der Parkdauer auf der Straße“, sagt Prof. Schäfer. Das Konzept einer zentralen, ganztägig anfahrbaren ‚Lieferinsel‘ wäre für die Fußgängerzone interessant. Die letzte Meile ließe sich dann mit Sackkarren oder mit Lastenrädern bewältigen, erklärt Prof. Bierwirth.
Elektromobilität für Wirtschaftsverkehre noch am Anfang
Auch das Thema Elektromobilität im Wirtschaftsverkehr wurde diskutiert. Im Rahmen der Untersuchung wurde jedoch klar, dass ein Umstieg auf alternative Antriebe davon abhängig ist, ob geeignete Lösungen vorliegen. Ein regelmäßiges Informationsmanagement könne die Beteiligten zu diesem Aspekt auf dem Laufenden halten. Unsicherheit über Reichweite, Zuladung und Ladeinfrastruktur in Verbindung mit einer geringen Verfügbarkeit geeigneter Fahrzeuge führen aktuell zu abwartender Haltung bei den Beteiligten. Der Umstieg auf Elektromobilität kann nicht kurzfristig erfolgen, da gerade speziell ausgebaute Fahrzeuge des Wirtschaftsverkehrs aufgrund der geringen jährlichen Laufleistungen über einen langen Zeitraum genutzt werden.
Weitere Informationen und Ergebnisse zum Projekt: www.frankfurt-university.de/verkehr unter Forschungsprojekten. Das Forschungsprojekt „Durchführung der Analyse des Wirtschaftsverkehrs in der Innenstadt der Landeshauptstadt Wiesbaden“ wurde vom Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen über die Hessen Trade & Invest GmbH beauftragt (Auftrags-Nr.: 2018-A-0130).
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