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CIM – Infrastruktur­monitoring aus Hoch­geschwindigkeits­zügen

CIM – Kontinuierliches Infrastrukturmonitoring aus Hochgeschwindigkeits-Passagierzügen
Türkische Velaro ICE-Garnitur.
© DB Systemtechnik

[ASC] – Eisenbahn-Streckenmonitoring ist mühsam, teuer und stört den Regelbetrieb. In Zusammenarbeit mit Siemens Mobility Türkiye und DB Systemtechnik GmbH beschreiten die Türkischen Staatsbahnen (TCDD) jetzt einen innovativen Weg: kontinuierliches Echt­zeit­moni­toring aus Regelzügen (Continuous Infrastructure Monitoring, CIM). ASC-Sensor­techno­logie ermöglicht diesen Schritt vom traditionellen „Schäden Entdecken und Reparieren“ zum voraus­blickenden „Vorhersagen und Vorbeugen“. Durch die Verknüpfung historischer Daten mit Echtzeit­messungen durch in Hochgeschwin­digkeits-Passagier­zügen eingebaute Inertial­sensoren können zukünftige Risiken berechnet und die betroffenen Bauteile rechtzeitig gewartet werden.

Die Überwachung von Bahnstrecken-Infrastruktur­ muss regelmäßig erfolgen. Üblicher­weise werden dazu Spezialmaschinen eingesetzt, welche allerdings den regulären Schienenverkehr beeinträchtigen. Dies ist notwendig, um die Anzeichen von Material­ermüdung oder anderen Norm­abweichungen frühzeitig zu erkennen und die Infrastruktur­komponenten zeitgerecht zu warten oder zu ersetzen, bevor teure Schäden, lange Betriebs­unterbrechungen und im schlimmsten Fall Unfälle entstehen.

Erhöhte Kapazität, mehr Fahrkomfort
TCDD möchte sowohl die Kapazität ihrer Strecken als auch den Fahrkomfort für Passagiere erhöhen; bei gleichzeitiger Reduktion der Betriebs­unter­brechungen durch Mess- und Wartungsarbeiten. Aus diesem Grund hat der türkische Bahnbetreiber Siemens Mobility Türkiye und den deutschen Infrastruktur­spezialisten DB Systemtechnik beauftragt, einen Siemens Velaro Hoch­geschwindig­keits­zug mit den neuesten Technologien auszurüsten, um alle erforderlichen Messaktivitäten laufend von dem im Einsatz befindlichen Passagier­zug aus durchführen zu können.

„Wir haben bereits auf den deutschen Eisenbahn-Netzwerken reichlich Erfahrung mit kontinuierlichem Echt­zeit­moni­toring gesammelt“, sagt Dr. Lars Müller, Head of Testing Services bei DB Systemtechnik. „Ein kritischer Erfolgsfaktor für valide Resultate ist dabei die Verwendung äußerst widerstandsfähiger, stabiler Sensoren.“

„Aus diesem Grund verlassen wir uns auf die Sensoren von ASC“, berichtet Dr. Klaus Ulrich Wolter, Senior Engineer Onboard Infrastructure Monitoring, DB Systemtechnik. „Bei der Deutschen Bahn führen wir seit dem Jahr 2013 kontinuier­liches Strecken­monitoring aus Hoch­geschwindig­keits­zügen durch.“ Die ICE-Garnituren, die dabei zum Einsatz kommen, legen durch­schnittlich 1.500 Kilometer am Tag zurück; die IC2-Doppel­stock­züge rund 1.200 km täglich. Seit 2018 sind ASC-Sensoren im Einsatz. „Nach fünf Jahren und fast drei Millionen zurückgelegten Kilometern auf manchen CIM-Messzügen laufen die Sensoren von ASC immer noch stabil. Es ist diese Verläss­lichkeit und Expertise unserer Partner, die wir unseren Kunden mit im Paket anbieten – in der Türkei wie rund um die Welt.“

CIM – Kontinuierliches Infrastrukturmonitoring aus Hochgeschwindigkeits-Passagierzügen

CIM – Kontinuierliches Infrastruktur­monitoring aus Hoch­geschwindigkeits-Passagier­zügen. © DB Systemtechnik

Messen „wo das Rad auf die Schiene trifft“
Der neue CIM-Messzug für die Türkei – basierend auf dem ICE 3M/F, ursprünglich für die Deutsche Bahn hergestellt – wird umfassende Messungen bei Fahr­geschwindig­keiten von bis zu 300 km/h und darüber durchführen. Die eingebaute Sensor­technik eignet sich gleichermaßen für Güterzüge, Fern- und städtische Nah­verkehrszüge.

Daher ist die langfristige Robustheit und Stabilität aller im Einsatz befindlicher Sensoren von größter Bedeutung. „Wir müssen die hoch­empfind­lichen Sensoren so nahe wie möglich dort platzieren, wo Räder und Schiene zusammen­treffen“, erklärt Wolter. „Damit die technische Ausrüstung diese enormen Belastungen aushält und wir sie nicht alle paar Tage auswechseln müssen, können wir ausschließ­lich mit sehr wider­stands­fähigen Komponenten arbeiten. Sie müssen beträchtliche mechanische Kräfte, Stöße, Lärm, Temperaturunterschiede, Feuchtigkeit und weitere Faktoren aushalten und konstant verlässliche Resultate über lange Zeiträume liefern.“

Um diese Anforderungen zu erfüllen, wurden unterschiedliche ASC-Beschleunigungs- und Drehraten­sensoren in maßgefertigte Mess­systeme integriert. „Um in diesem Hoch­geschwindig­keits-Szenario selbst die feinsten Abweichungen von den Normwerten zu erfassen – inklusive Vibrationen, Geräuschpegel, Beschleunigungs-, Zentri­fugal-, Kontakt- und viele weitere Kräfte – wurden alle unsere Inertial­sensoren direkt am Radkasten montiert“, erläutert Renate Bay, Geschäftsführerin von ASC.

Die Zukunft vorhersagen
Der wichtigste Faktor in der Gleisgeometrie sind die Längshöhen der linken und rechten Schiene. “Sie verändern sich rascher als andere Parameter der inneren Gleisgeometrie und haben großen Einfluss auf die Betriebs­qualität“, stellt Wolter fest. Aus den mit kapazitiven Sensoren der ASC OS-Serie gemessenen Beschleunigungen werden unabhängig von der Zug­geschwindig­keit die Längshöhen im Abstand von zwei Zentimetern berechnet. Die kumulierte Messgenauigkeit aus der gesamte Messkette (Sensoren, Messverstärker, Algorithmen, etc.) darf dabei nach EN13848-2 und Kunden­anforderungen nicht mehr als 0,5 Millimeter betragen.

„Zu den weiteren Parametern, die unser CIM-System ständig überwacht, gehören Verwindungen, berechnet aus den Signalen der Drehraten­sensoren; und dynamische Richtungs­abweichungen, errechnet aus den gemessenen Quer­beschleu­nigungen“, so Wolter. Letztere werden auch zusätzlich zu den Längshöhen für die Beurteilung von Weichen und Isolierstößen herangezogen.

CIM – Kontinuierliches Infrastrukturmonitoring aus Hochgeschwindigkeits-Passagierzügen

Continuous Infrastructure Monitoring (CIM). ASC-Sensortechnologie. © DB Systemtechnik

Für all das benötigt das DB Systemtechnik-Team hochpräzise Sensortechnik. „Wenn man das Zeitfenster für künftige Wartungs­erfordernisse möglichst exakt bestimmen will, dann vergrößert jede kleinste Mess­unsicherheit dieses Wartungs­fenster“, sagt Wolter. Denn kleine Messungenauigkeiten können zu großen Unsicher­heiten in der mess­daten­­basierten Voraus­berechnung und letztlich zu hohen Kosten für den Betreiber führen.

Innovation der Eisenbahn-Netzwerke
Der Fahrkomfort ist ein weiterer wichtiger Faktor. Er wird aus den im Inneren der Passagier­abteile gemessenen Beschleuni­gungen errechnet. Für viele Bahnbetreiber wie TCDD liegt hier ein wesentlicher Grund für die Einführung kontinuierlichen Echt­zeit­moni­torings: es liefert konstante Daten für eine messbare Verbesserung des Fahrerlebnisses der Bahnkund*innen. In der Türkei ist Passagierkomfort zur Zeit besonders relevant, denn gleich mehrere Hoch­geschwindigkeits­strecken befinden sich in Fertigstellung und sollen demnächst in Betrieb gehen. Darunter eine 1.213 km lange, neue Bahnlinie zwischen der Hauptstadt Ankara und den Städten Konya und Eskisehir, sowie eine 533 km lange Highspeed-Verbindung nach Istanbul.

Wie alle neuen Zuggarnituren muss auch neue Bahn-Infrastruktur vor der Inbetrieb­nahme eine Reihe rigoroser Tests bestehen. „Der speziell konfigurierte Velaro mit seinen umfang­reichen Sensor­technologien an Bord wird für die Streckentestung und -zertifizierung dieser neuen Abschnitte herangezogen“, verrät Dr. Jörg Heland, Head of Onboard Infrastructure Monitoring bei DB Systemtechnik.

Dabei sollen nicht nur nationale Standards eingehalten werden sondern auch die strengen sogenannten Technical Specifications for Interoperability (TSI), eine Reihe von Normen und Anforderungen, die zwischen EU-, EEA- und weiteren Staaten vereinbart wurden, um kompatiblen Bahnverkehr über Landesgrenzen hinweg zu gewährleisten.

CIM reduziert Kosten
„Der große Vorteil des kontinuierlichen Monitorings aus Regelzügen ist, dass wir nun in der Lage sind, alle Komponenten entlang der Bahnstrecke laufend zu überwachen und vorausblickend zu evaluieren – ohne, dass wir dazu den regulären Bahnverkehr stören, verzögern oder anhalten müssen“, sagt Dipl.-Ing. Yilmaz Tosun, Senior Manager – Business Development & Sales, DB Systemtechnik.

Der Schritt von der korrektiven Wartung, die auf entdeckte Mängel reagiert und diese behebt, hin zur datenbasierten Voraus­berechnung künftiger Probleme und deren gezielte, zeitgerechte Behebung ist ein wesentlicher Kostenfaktor. „Wir beobachten Einsparungen von bis zu 30 % im Vergleich zum Betrieb traditioneller, eigen­ständiger Messwagen – zusätzlich zu signifikant geringeren Reparatur- und Wartungskosten an sich, und einer stark verbesserten Betriebsqualität.“

Damit dieser Ansatz funktioniert, baut DB Systemtechnik sämtliche für die Gesamt­beurteilung einer Bahnstrecke erforderliche Mess­ausrüstung kompakt in die Zuggarnitur ein. Zusätzlich zu den ASC-Inertialsensoren umfasst dies auch Technologien zur Erfassung der Gleisbett­dichte, des Zustands der Oberleitungen, verschiedener Wahrnehmungs­faktoren wie auch der Betriebs­qualität insgesamt. „Der Velaro ist heute nicht nur der schnellste, sondern auch der am umfassendsten ausgerüstete Messzug, der für den aktiven Einsatz bereitsteht“, ist Lars Müller überzeugt.

Seine Anwendungen scheinen nahezu endlos. „Mit unseren innovativen Technologien und der Erfahrung, die wir zusammen mit verlässlichen Partnern gesammelt haben, können wir beinahe jeden regulären Zug in einen voll ausgestatteten, vollautomatischen CIM-Zug verwandeln“, meint Jörg Heland. „Wir denken, dass in Zukunft alle Bahn-Infrastruktur­ auf diese Art konstant überwacht werden wird, um sichere, nachhaltige und wirtschaftliche Bahnmobilität sicherzustellen.“