Logistik: Projekte

CargoErgo – Ergonomie bei der Luftfrachtabfertigung

In der Luftfrachtabfertigung sind viele Prozesse noch immer durch einen hohen Anteil manueller Arbeitsschritte geprägt.
In der Luftfrachtabfertigung sind viele Prozesse noch immer durch einen hohen Anteil manueller Arbeitsschritte geprägt. Foto: Jörg Siebauer | pixelio.de

[Frankfurt UAS] Frankfurt UAS und TU Darmstadt analysieren intralogistische Prozesse in der Luftfrachtabfertigung

In der Logistik, etwa in der Luftfrachtabfertigung, sind viele Prozesse noch immer durch einen hohen Anteil manueller Arbeitsschritte geprägt. Vor allem das Heben und Tragen von Frachtstücken gehört für die Mitarbeitenden neben anderen körperlich anstrengenden Tätigkeiten zum Arbeitsalltag. Mit dem Projekt „CargoErgo – Prozess- und Ergonomieanalyse in der Luftfracht“ der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) und der Technischen Universität Darmstadt (TU Darmstadt) wurden die intralogistischen Prozesse bei zwei Luftfracht-Abfertigungsgesellschaften analysiert. Ziel war die Erarbeitung von möglichen Prozessverbesserungen der Arbeitsergonomie, um die Mitarbeitenden zu entlasten und ihre Gesundheit zu schützen.

„In der ersten Projektphase haben wir die Prozesse der Projektpartner sowohl aus betriebswirtschaftlicher, als auch ergonomischer Sicht analysiert. Dabei konnte festgestellt werden, dass mangelnde Datenverfügbarkeit und Digitalisierung an vielen Stellen die internen Prozesse verlangsamen. Schnelle und direkte Informationsübertragung ist hier das A&O für eine effiziente Prozessgestaltung“, so Prof. Dr. Kai-Oliver Schocke, Projektleiter sowie Direktoriumsmitglied am Research Lab for Urban Transport (ReLuT)[⤶] der Frankfurt UAS. Interviews mit den Mitarbeitenden der Projektpartner ergaben zudem, dass diese durch doppelte Dokumentationsarbeit und mangelnde Personalverfügbarkeit in Zeiten von hohem Frachtaufkommen häufiger Stress ausgesetzt seien.

„Die hohen körperlichen Belastungen, denen die Arbeiter bei der Abfertigung von Luftfracht ausgesetzt sind, erhöhen das Risiko für Verletzungen und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems etwa in Form von Rückenleiden erheblich. Dies beeinträchtigt nicht nur das persönliche Wohlbefinden, sondern versursacht durch Arbeitsausfälle und Rehabilitationsmaßnahmen auch erhebliche privatwirtschaftliche und öffentliche Kosten“, betont Junior-Professor Dr. Eric Grosse, Projektleiter und Habilitand am Fachgebiet Produktion und Supply Chain Management (PSCM)[⤶] der TU Darmstadt. „Eine gesamtheitliche Analyse sollte daher auch ergonomische Aspekte berücksichtigen.“

Für einen ergonomischen Blick auf die Luftfrachtprozessen wurden diese anhand von Videoaufnahmen bewertet. Zu diesem Zweck kam eine spezielle Simulationssoftware zum Einsatz, mit deren Hilfe die Bewegungen der Mitarbeitenden aus den erstellten Videoaufnahmen simuliert wurden. „So konnten wir die entstehende Belastung des unteren Rückenbereichs bei verschiedenen Lastgewichten ermitteln. Die Analyse ergab, dass die Mitarbeitenden im Luftfrachthandling vor allem bei der Konsolidierung von Frachtstücken auf unterschiedliche Ladungsträger regelmäßig ergonomisch-belastende Körperhaltungen einnehmen“, ergänzt Nathalie Erlemann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ReLuT. Belastend sei hierbei insbesondere die Handhabung von Ladungsträgern mit vielen kleinen Einzelpackstücken, da diese alle einzeln und manuell von den Mitarbeitenden gehoben werden müssen und die Nutzung von Gabelstaplern nicht möglich sei. Anerkannte ergonomische Grenzwerte für die Krafteinwirkung auf den unteren Rücken werden dabei häufig überschritten, wodurch die Mitarbeitenden bei der Handhabung von Luftfracht einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt seien. Dadurch werden sowohl langfristige arbeitsbedingte Erkrankungen, wie beispielsweise Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE), als auch akute Beschwerden deutlich wahrscheinlicher.

Zur ergonomischen Verbesserung der untersuchten Prozesse bei der Luftfrachtabfertigung haben die Forschenden verschiedene technische Hilfsmittel auf ihre Eignung geprüft. Als Ergebnis wird vor allem die Unterstützung der Mitarbeitenden beim Handling kleiner Frachtstücke durch sogenannte Exoskelette [⤶], körpergetragene Hebehilfen, empfohlen. „Diese lassen sich leicht in bestehende Prozesse integrieren, können flexibel eingesetzt werden und vor allem den unteren Rücken entlasten, um Gesundheitsrisiken zu reduzieren“, sagt Heiko Diefenbach, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet PSCM. Alternativ stellt der Einsatz von Manipulatoren, festinstallierte Greifvorrichtungen zum Anheben von Fracht, eine Möglichkeit dar. Vor allem bei der Neuerrichtung von Lagerhallen sollten zudem auch absenkbare Hebebühnen berücksichtigt werden, da durch sie die Fracht auf eine angenehme Arbeitshöhe gebracht werden kann. Weiterhin empfehlen die Forschenden die Aufrüstung der bereits eingesetzten Gabelstapler durch Unfallvermeidungssysteme.

Zur Steigerung der Prozesseffizienz sollte als erste Maßnahme die interne Kommunikation vollständig digitalisiert werden und möglichst direkt erfolgen. Heute werden viele Prozessschritte gleichzeitig im IT-System und papierbasiert dokumentiert, was zu Mehrfachaufwand und Fehlern führen kann. Darüber hinaus findet die Kommunikation zwischen Planungsebene und exekutiver Ebene häufig indirekt statt, was sich ebenfalls negativ auf die Effizienz auswirken kann. Um eine bessere Kapazitätsplanung zu ermöglichen, kann ein Rampenmanagementsystem große Vorteile bringen. Personalengpässe treten vor allem auf, wenn viele LKW gleichzeitig Fracht anliefern. Wenn diese aber vorher einen freien Slot für die Anlieferung buchen müssen, kann das Frachtaufkommen über den Tag besser verteilt und Stress bei den Mitarbeitenden reduziert werden.

Schließlich würden auch Augmented-Reality-Technologien[⤶] mittels Datenbrille interessante Anwendungsmöglichkeiten in der Logistik bieten. So könnten Mitarbeitende in der Luftfrachtabfertigung Informationen direkt in ihrem Sichtfeld eingeblendet bekommen, so automatisch durch den Prozess geführt werden und uneingeschränkt mit freien Händen arbeiten. Fotoaufnahmen könnten zudem die Prozessdokumentation, zum Beispiel beschädigte Fracht und Lagerorte, unterstützen. Längerfristig wäre auch der Einsatz beim Aufbau von Ladungsträgern denkbar, indem geometrische Restriktionen oder Vorschläge für die Frachtstapelung aufgezeigt werden; diese Einsatzmöglichkeiten befinden sich aktuell jedoch noch in der Entwicklung.

Das Forschungsprojekt (HA-Projekt-Nr.: 800/ 19-121) wurde aus Mitteln des Landes Hessen und der HOLM-Förderung im Rahmen der Maßnahme „Innovationen im Bereich Logistik und Mobilität“ des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen mit einer Summe von 60.000 Euro gefördert.