Technologie: Wissenschaft

Aktorik optimiert: Sparsamer abheben dank Leichtbau-Luftdüsen

Aktorik für aktive Strömungskontrolle
Martin Schüller optimiert Aktorik für aktive Strömungskontrolle an Flugzeugen und PKW. © TU Chemnitz

Im Verbund zwischen dem Bundesexzellenzcluster MERGE der TU Chemnitz und Fraunhofer-Institut ENAS wird Aktorik für aktive Strömungskontrolle an Flugzeugen und PKW optimiert

Aktive Strömungskontrolle hat nichts mit Flüssen zu tun und Totwasser ist eigentlich Luft. Zusammengenommen heißt das: „Wir beschäftigen uns mit der Beeinflussung aerodynamischer Strömungen an Flugzeugen, Autos oder Windrädern“, erklärt Dipl.-Ing. Martin Schüller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Elektronische Nanosysteme (ENAS) in Chemnitz. „Dazu benutzen wir Aktoren. Das muss man sich vorstellen wie kleine Lautsprecher, aus denen Luft mit hoher Geschwindigkeit gepustet wird.“ Diese sogenannte Aktorik könne durch gezielte Luftstöße aktiv die aerodynamische Strömung beeinflussen. Ein Forschungsprojekt, an dem auch der Bundesexzellenzcluster MERGE der Technischen Universität Chemnitz maßgeblich beteiligt ist.

Deren Einsatz und Design für variierende Anwendungsfälle zu optimieren, ist Thema von Schüllers Promotion – und der täglichen Arbeit mit seinen Kollegen Mathias Lipowski, Perez Weigel und André Gratias im Team „Flow Control Actuators and Systems“. „Bisher arbeiten wir gern nach dem Prinzip Trial and Error“, sagt der Ingenieur und ergänzt: „Dem wollte ich ein Optimierungstool entgegensetzen, mit dem man möglichst viele Anwendungsparameter simulieren kann.“ Das Ergebnis sei die Kombination aus einem geschlossenen, analytischen Modell mit einem Netzwerkmodell, mit dem sämtliche Elemente erstmals analytisch beschrieben werden können. So lasse sich für jeden Anwendungsfall die Leistungsfähigkeit der Aktorik immens steigern.

Optimierte Aktorik kann den Verbrauch senken

Im Rahmen seiner Promotion beschäftigt sich Martin Schüller  speziell mit der Luftfahrt-Anwendung. Dort können Aktoren, die an Flügeln oder Seitenleitwerken angebracht werden, beispielsweise die Auftriebsphase verbessern und somit helfen, Kraftstoff einzusparen. Die Integration erfordere jedoch einen erhöhten Montage-Aufwand und zusätzliches Gewicht, was zu mehr Kraftstoffverbrauch führe, so der Forscher. Deshalb habe er mit seinem Team am Bundesexzellenzclusters MERGE vor allem auch die Integration von Aktoren in verschiedene Werkstoffverbunde und Bauteile untersucht. Orientiert haben sie sich dabei vor allem am Fahrzeugbau: „Wir arbeiten dabei gegen das sogenannte Totwasser am Heck eines Autos. Dort entstehen Wirbel, die das Fahrzeug bremsen. Mit Aktoren am Heckspoiler können wir dem entgegenwirken“, erklärt Schüller.

Dabei gebe der Leichtbau die wichtigsten Parameter vor: Für eine möglichst geringe Masse kommen nur bestimmte Fertigungstechnologien und Materialien in Frage, der Bauraum ist gegeben, ebenso die Aerodynamik des Fahrzeugs. Je nach verwendeter Technologie sind wiederum verschiedene Designs der Aktoren möglich, da deren Form technisch bedingt ist. Beim Fräsen, 3D-Druck, Spritzguss oder bei der Stereolithografie sind immer nur bestimmte Düsen- und Kammerformen herstellbar. Innovative faserverstärkte Kunststoffmaterialien, die am Exzellenzcluster MERGE ein besonderer Schwerpunkt sind, haben wiederum andere Eigenschaften, die bei der Integration von Aktoren berücksichtigt werden müssen.

Interdisziplinarität stellt Anwendungsstärke und Wirtschaftlichkeit sicher

Die Maschinenbauer und Elektrotechniker des Clusters kooperieren zudem interdisziplinär mit der Fakultät für Wirtschaftswissenschaftlern der TU Chemnitz. Professor Uwe Götze, Inhaber der Professur Unternehmensrechnung und Controlling, und seine Kollegen untersuchen die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Herstellungsmethoden sowie den Lebenszyklus der Aktoren. So auch im Rahmen am Flugzeugflügel. Die Ökonominnen und Ökonomen analysierten vor allem, ob die Einsparung des Kraftstoffs beim Start den erhöhten Kraftstoffverbrauch während des Fluges aufwiegen kann und die Nutzung von Aktoren damit wirtschaftlich sinnvoll wäre.

All diese Parameter, von der Herstellungstechnologie über aerodynamische Werte bis zur ökonomischen Effizienz, werden am Bundesexzellenzcluster MERGE zusammengeführt. Schüllers Optimierungstool kann dabei helfen, sie analytisch zu kombinieren und für jeden Anwendungsfall eine annähernd optimale Auslegung der Aktoren zu liefern. „Unser Ziel ist auch, in unser Chemnitz Car Concept eine passende Aktorik am Heckspoiler zu integrieren“, erklärt er. „Das ist eine völlige Innovation. Bisher gab es nur Studien zu Aktoren an Seitenspiegeln, aber am Heck wurde das noch nicht umgesetzt.“


Stichwort: Chemnitz Car Concept
Im Systemdemonstrator des „Chemnitz Car Concept“ (CCC) werden zahlreiche Forschungsfelder gebündelt. In Kooperation mit Volkswagen und der Professur für Alternative Fahrzeugantriebe dient der „MERGE up!“ als Plattform für Test- und Demonstrationszwecke. Er repräsentiert die MERGE-Technologien als ein elektrisch angetriebenes Leichtbaufahrzeug. Sowohl Innen- als auch Außenbauteile – von Leichtbaukomponenten bis zum Antriebsstrang – werden als Referenzteile neu entwickelt und exemplarisch im „MERGE up!“ verbaut.
Weitere Informationen zum Chemnitz Car Concept unter www.tu-chemnitz.de/MERGE/ccc.php


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