Logistik: Wissenschaft

Trends: Logistik-Studie sieht fossile Energie bis 2035 unverzichtbar

Trends in der Logistik: Studie sieht fossile Energie bis 2035 unverzichtbar
Bild: Lidia Volovaci | Pexels

[Horvath]Die wichtigsten Trends in der Logistik: Anteil regenerativer Energien liegt in zwölf Jahren voraussichtlich bei 75 Prozent. Standards und Normungen für Kreislaufwirtschaft notwendig. Letzte Meile verteuert sich weiter durch Personalkosten und strenge Regularien.

Nachhaltigkeit ist in der Logistik- und Transportbranche zu einer der wichtigsten Prämissen geworden – und gewinnt weiter an Bedeutung. Darüber sind sich die in der aktuellen Horváth-Studie befragten Top-Führungskräfte aus relevanten Logistik- und Transportunternehmen sowie renommierte Wissenschaftler einig. Geschäftsmodelle und Prozesse werden grundlegend daran angepasst, der Transport beispielsweise zunehmend von der Straße auf die Schiene verlagert.

Dem Fortschritt auf dem Weg zu „echter“ Klimaneutralität sind allerdings Grenzen gesetzt. Technische Hürden, lange Lebensdauern von Assets, (mangelnde) Verfügbarkeiten von Ressourcen sowie teilweise ungenügende finanzielle Rentabilität werden fossile Energien aus Sicht der Befragten Expert:innen noch bis mindestens 2035 unverzichtbar für die Branche machen. Selbst in zwölf Jahren, so die Prognose, wird ihr Anteil noch bei etwa einem Viertel liegen.

Hürden auf dem Weg zur klimaneutralen Logistik
Zu den größten Hürden auf dem Weg zur klimaneutralen Logistik gehört unter anderem, die nach wie vor eingeschränkte Reichweite von Transport­fahrzeugen mit alternativen Antrieben und die nicht ausreichende Ladeinfrastruktur. Klimafreundliche Kraftstoffe sind ebenfalls Mangelware oder teuer. Gerade in der margenarmen Logistik ist dies ein Problem. Hinzu kommt die lange Lebensdauer großer, teurer Transportfahrzeuge.

„Es rechnet sich in vielen Fällen einfach noch nicht, konventionell betriebene Fahrzeuge, die sich noch nicht amortisiert haben, vorzeitig abzustoßen“, sagt Christian Schnöbel, Logistikexperte bei der Management­beratung Horváth. „Die Dekarbonisierung in der Logistik- und Transportindustrie hat neben dem CO2-freien Transport jedoch noch wichtige weitere Dimensionen, in denen die Branche in den kommenden Jahren große Fortschritte machen wird. Wie unsere Studie zeigt, wird beispielsweise mit Hochdruck an der Etablierung von Kreislaufwirtschaften und regionalen Handelsströmen gearbeitet.“

Standards und Normungen für Kreislaufwirtschaft gefordert
Die Wiederverwendung von Rohstoffen, Verpackungen und Ladehilfen ist aus Sicht der für die Horváth-Studie befragten Branchenexpert:innen neben dem Einsatz von E- und Schienenfahrzeugen ein weiterer großer Hebel auf dem Weg zur Klimaneutralität. Mehr als zwei Drittel der Befragten messen ihr große Bedeutung zu. „Während sich die Kreislauf­wirtschaft, beispielsweise die Rückführung von Verpackungen, im B2B-Segment relativ einfach durchsetzen lässt, ist das im Konsumentenmarkt schwieriger. Gründe sind stark individualisierte Verpackungen, sowie die Vielzahl an Anbietern“, so Horváth-Experte Schnöbel.

Die Heterogenität von Produkten und Prozessen erschwert die Etablierung einer Kreis­lauf­wirtschaft auch insgesamt. Aus Sicht der befragten Vertreter:innen aus Wirtschaft und Wissenschaft ist es daher dringend notwendig, neue Standards und Normungen festzulegen. Drei Viertel der Interviewten sehen diese Notwendigkeit. „Die Festlegung von Standards kann durch Industrieverbände, kooperierende Transport- und Logistik­unter­nehmen oder staatliche Einrichtungen erfolgen. Die Hauptsache ist, dass Marktteil­nehmer die Initiative ergreifen“, so Schnöbel. „Die Dimension Kreislauf­wirtschaft beziehungs­weise Circular Economy wird nicht zuletzt für Investoren und Kapitalgeber als ESG-Kriterium immer wichtiger, was die Unternehmen unter Zugzwang setzt“, so der Horváth-Experte.

Eng mit dem Thema Kreislaufwirtschaft ist auch die Regionalisierung von Handels­strömen verbunden, die die Mehrzahl der Studien­teilnehmer als einen der anhaltend wichtigen Trends sehen. Aufgrund krisenbedingter Liefer­engpässe und Liefer­ketten­störunge haben die Unternehmen ihre Beschaffungs- und Absatzwege wieder stärker regionalisiert. Re- und Near-Shoring, erhöhte Lagerbestände sowie eine diversifizierte Beschaffung werden in diesem Zusammenhang als wichtige Trends zur Anpassung genannt. Neben der dadurch erzielten sogenannten Resilienz ergeben sich auch Nachhaltigkeitsvorteile durch kürzere Transportwege und höhere Transparenz aufgrund insgesamt stärkerer Überwachung.

Innenstadt-Logistik: Letzte Meile verteuert sich weiter
Die letzte Meile in den Innenstädten wird sich nach Ansicht der befragten Branchen­expert:innen spürbar weiter verteuern. „Die letzte Meile macht über drei Viertel der gesamten Transportkosten der Logistikanbieter aus. Über 90 Prozent der letzten Meile sind Personalkosten, und die steigen unter anderem durch die Inflation deutlich an. Doch auch die Betriebs- und Bereitschaftskosten schnellen aufgrund von immer strengeren regulatorischen Vorgaben in die Höhe“, so Logistikexperte Christian Schnöbel. Dazu gehören verkehrsbezogene Nachhaltigkeitsziele, Immissionsschutz, straßen- beziehungs­weise baurechtliche Vorgaben, technische Vorgaben sowie Datenschutz- und Haftungs­regelungen. Dass diese Vorgaben auch noch regional unterschiedlich sind, erschwert standardi­sierte Lösungen und verteuert die Prozesse zusätzlich.

Zur Kostenreduktion gibt es verschiedene Stellschrauben, unter anderem die Zustellung mehrerer Pakete an einem Punkt, eine Tour-Verdichtung durch verbesserte Routen­planung oder eine optimierte Sendungsübergabe. Grundsätzlich bedarf es aus Sicht der Befragten aber innovativer und umweltfreundlicher Lösungen für die gesamte inner­städtische Logistik – also Konzepte, die Schienenverkehr, Pakethubs (zum Beispiel in Parkhäusern), Lastenfahrräder, Zustellroboter und auch Drohnen einschließen. Dabei wird Start-ups als von Investoren geförderten Impulsgebern eine wichtige Rolle zugemessen. „Reines Reagieren auf neue Regulierungen bringt die urbane Logistik nicht voran, die Unternehmen müssen ihre Transformation aktiv gestalten“, so Schnöbel.

Transformationskompetenz wird immer entscheidender
Die Auswirkungen von Mega-Trends auf die Transport- und Logistikindustrie bis 2035 sind damit noch lange nicht vollständig. Insgesamt identifizieren die von Horváth befragten Expertinnen und Experten in der vorliegenden Studie „Corporate Transformation in der Transport- und Logistikindustrie“ zehn drängende Handlungsfelder. „Ob Strategie, Geschäftsmodell, Organisation, Prozesse oder Führung – die sich aus den Trends ergebenden Veränderungen sind ganzheitlich in nahezu allen Unternehmensbereichen umzusetzen, was eine enorme strategische, strukturelle und kulturelle Anpassungs­fähigkeit der Unternehmen und ihren Mitarbeitenden erfordert. Diese Transformations­kompetenz lässt sich abbilden, aneignen und weiterentwickeln“, fasst Christian Schnöbel zusammen.


Für die Studie „Corporate Transformation in der Transport- und Logistikindustrie“ wurden über 25 Expert:innen aus Wirtschaft und Wissenschaft in persönlichen Interviews zu den wichtigsten Branchentrends befragt, darunter Topführungskräfte und Strateg:innen großer Logistik- und Transportunternehmen (u.a. DB Cargo, DB Schenker, dpd, Hapag-Lloyd, Hermes, Lufthansa Cargo, Post CH). Die Befragungen wurden im Dezember 2022 abgeschlossen.