Standpunkt

Transportströme steuern – Strukturen effizienter nutzen

Prof. Dr.-Ing. habil. Hartmut Fricke, Leiter der Professur Technologie und Logistik des Luftverkehrs

Ein Statement von Prof. Dr.-Ing. habil. Hartmut Fricke, Leiter der Professur Technologie und Logistik des Luftverkehrs, Fakultät Verkehrswissenschaften der TU Dresden, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie Mitglied im Herausgeber-Gremium Internationales Verkehrswesen

Unverändert wächst das Transportaufkommen in Deutschland – sowohl auf den Straßen am Boden als auch jenen in der Luft, sowohl Transportkilometer als auch Frachtaufkommen, mit über 3% in 2016. Die Frage der optimalen Bewirtschaftung der bundesdeutschen Autobahnen stand spätestens seit Vorlage des Berichts der sogenannten Fratscher-Kommission vom April 2015 zur Einführung einer Bundesfernstraßengesellschaft neuerlich im Fokus.

Die Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ hatte in ihrem Gutachten für den Bundeswirtschaftsminister eine Infrastrukturgesellschaft für Planung, Bau, Betrieb und Finanzierung von Bundesfernstraßen aus einer Hand vorgeschlagen. Im Dezember 2015 hat das BMVI erste Eckpunkte einer solchen Bundesautobahngesellschaft präsentiert, die aber auf Landesebene auf der Basis der Vorschläge der Bodewig II-Kommission in 2016 abgelehnt wurden. Sie schlug stattdessen die Weiterentwicklung der bestehenden Auftragsverwaltung auf Bundesebene vor. Mittlerweile einigte man sich über die Zukunft des Finanzausgleichs auf die Einrichtung einer Bundesfernstraßengesellschaft (Infrastrukturgesellschaft Verkehr) spätestens zum 1. Januar 2021; nach drei Jahren ist eine Evaluation der Rechtsform vorgesehen. Weiterhin soll auch ein Fernstraßen-Bundesamt als Aufsichts- und Planfeststellungsbehörde etabliert werden, alles im Sinne eines optimierten, dabei aber stets fairen Wettbewerbs mit Blick auf Ökologie und Ökonomie.

Die Zukunftsfähigkeit des Schienengüterverkehrs steht hingegen noch auf wackeligen Füßen: Aufgrund veralteter Technik und Gerätschaft – die Güterwagenflotte umfasst in Deutschland etwa 60.000 Wagen – bedarf es noch substanzieller Anstrengungen, um „die Schiene“ so zu stabilisieren, dass sie langfristig ihre ökologisch und ökonomisch sinnvolle sowie politisch angedachte umweltfreundliche Rolle im Gütertransport erfüllen kann. Infrastrukturmängel zwingen die Güterzüge häufig in Überholungsgleise mit Halten. Zeitverluste und höhere Energiekosten sind die Folge. Diese Defizite zu überwinden, erfordert jedoch einen Bruch mit den bisherigen Standards im Waggonbau, da der zentrale Erneuerungsbedarf die Systemkomponenten eines Güterzuges betrifft: die Kupplung, die Strom- und Datenverkoppelung und damit die Brems-, Sicherheits- und Kontrollsysteme des Zuges. Hier bedarf es politisch der Etablierung und Förderung eines neuen EU-weiten Wagenmaterial-Standards.

Im Luftverkehr schließlich bewegen wir uns nach den großen, nunmehr langsam aber systematisch voranschreitenden Umsetzungen eines Einheitlichen Europäischen Luftraums (SES) auch in Deutschland in Richtung eines völlig neuen Transportmodells, dem der unbemannt fliegenden Luftfahrzeuge (UAS) – begonnen mit ferngesteuerten Transportdrohnen bis hin zum Lufttaxi – dem sich diesmal nicht ein IT- oder Big Data-Unternehmen aus den USA, sondern Airbus Industrie bekennt. Wir erleben aktuell die Geburt eines neuartigen Verkehrsträgers, eines Hybrids aus neuer Transporttechnologie: kommerzielles Fliegen in niedrigen, bodennahen Flughöhen auf neuen Routen und neue Funktionalität.

Anders als bei der Elektromobilität auf der Straße müssen diese Fahr- und Flugzeuge nicht in Konkurrenz zu bestehender Technologie ihren Marktzugang finden. Sie profitieren von additiven, völlig neuen Geschäftsmodellen. Ihre Entwicklung wird durch den Markt getrieben, nicht durch die Politik. Insofern erleben wir hier auch nicht die Geburtsstunde eines „privaten“ Luftverkehrs, sondern jene einer neuen kommerziellen Verkehrsart. Die aktuell privat anmutenden Anwendungen werden in zunehmendem Maße von neuen geschäftlichen Anwendungen überlagert werden.

Das Erfordernis der Leistungssteigerung unserer Verkehrsträger ist somit in allen Bereichen sichtbar – Grund für die Titelwahl der April-Ausgabe 2017 von Internationales Verkehrswesen.  Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.


Veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen (69), Heft 2 | 2017