Einsätze auf See, im Gebirge oder in der Nähe hoher Gebäude sind für Hubschrauber-Piloten extrem riskant: Luftwirbel, die hinter Bohrinseln, Schiffen, Felswänden und Häusern entstehen, können den Helikopter aus dem Gleichgewicht und zum Absturz bringen. Damit sich Piloten auf diese schwierigen Situationen optimal vorbereiten können, entwickeln Forscher vom Lehrstuhl für Hubschraubertechnologie der Technischen Universität München (TUM) ein neues Simulationsprogramm.
Erstmals werden dabei Strömungsmechanik und Flugdynamik kombiniert und in Echtzeit ausgewertet. „Bisher können Flugsimulatoren die Realität bei Flügen in der Nähe von Großobjekten nur unzureichend wiedergeben“, erklärt Dr. Jürgen Rauleder. „Das Problem: Die derzeitigen Programme folgen, was die Windverhältnisse und die Reaktionen des Hubschraubers betrifft, einem starren Muster. Zeitliche und örtliche Variationen können daher nicht berücksichtigt werden – wenn nicht schon vorab die gesamte Strömungsumgebung bekannt ist.“
Doch gerade die unvorhergesehenen Luftströmungen sind tückisch: Ein fahrendes Schiff beispielsweise erzeugt Luftverwirbelungen und starke lokale Geschwindigkeitsschwankungen, in der Fachsprache „Schiffsnachlaufströmung“ genannt. Diese verändert sich ständig durch den Seegang und wechselnde Anströmverhältnisse. Dazu kommen in der Nähe des Decks Turbulenzen, die Schiffsbrücke und andere Aufbauten erzeugen. Nähert sich ein Hubschrauber dem Schiff, so werden die verschiedenen Luftbewegungen auch noch überlagert von der Strömung, welche die Rotoren erzeugen. Ähnlich kompliziert sind die Verhältnisse in der Nähe eines Berghangs oder neben hohen Gebäuden. In jedem Fall beeinflusst eine komplexe, interagierende Aerodynamik die Flugeigenschaften des Helikopters.
In der Praxis: Stress für Mensch und Material
Diese zu beherrschen erfordert viel Geschick und Übung. Beides lässt sich derzeit nur durch viel „Training-on-the-Job“ erwerben. Um beispielsweise zu lernen, wie man auf einem schwankenden Schiff landet, muss ein Flugschüler die knifflige Situation dutzende Male zusammen mit einem erfahrenen Fluglehrer durchexerzieren. Nur so kann der angehende Pilot die notwendige Erfahrung sammeln, um im richtigen Moment den Anstellwinkel der Rotorblätter verändern das komplexe Wechselspiel der Strömungen ausgleichen zu können.
„Das klassische Training ist teuer, risikoreich und für die angehenden Piloten sehr anstrengend. Außerdem wird das Material stark belastet: Weil die ersten Landungen meist recht hart sind, verursachen sie einen hohen Verschleiß bei Dämpfungselementen und Landewerk“, erklärt Rauleder.
Strömungsfelder und Flugdynamik in Echtzeit berechnen
Sein Team hat jetzt ein Simulationsprogramm entwickelt, das Strömungsmechanik und Flugdynamik in Echtzeit verbindet: „Das numerische Modell ist extrem flexibel und nicht an hinterlegte Strömungsdaten gebunden. Wir müssen nur die äußeren Rahmenbedingungen wie beispielsweise die Topographie, die globalen Windgeschwindigkeiten und den Hubschraubertyp vorgeben. Aus diesen Angaben berechnen dann unsere Algorithmen während der Simulation permanent das interagierende Strömungsfeld für den Ort, an dem sich der virtuelle Helikopter gerade befindet“, erläutert der Ingenieur.
Das neue Programm sorgt auch dafür, dass der Pilot sofort „spürt“, wie sich die lokalen Luftströmungen auf den Hubschrauber auswirken. So kann er ohne Stress ausprobieren, welche Auswirkungen seine Steuerbewegungen haben – eine ideale Vorbereitung auf eine weiche und materialschonende Landung. Das Potenzial dieser Methode stieß international auf großes Interesse und wird unter anderem vom U.S. Office of Naval Research als Grundlagenforschung unterstützt.
Der Härtetest fehlt noch: die Validierung mit dem Hubschrauber
Die neue Echtzeitsimulation haben die TUM-Forscher erfolgreich mit etablierten Referenzmodellen validiert. Was jetzt noch fehlt, ist der Härtetest: der Abgleich mit der Realität. Um herauszufinden, ob die virtuellen Modelle tatsächlich die Bedingungen auf See widerspiegeln, kooperieren die Ingenieure mit Forschern an der U.S. Naval Academy, der George Washington University und der University of Maryland. Die Spezialisten in Washington haben mit Hilfe hunderter Sensoren die Luftströmungen auf einem Schiff vermessen.
Zum Abgleich der Flugdynamik verwendet das TUM-Team außerdem Daten des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR), die während Flugtests ermittelt wurden. „Die Validierung der Modelle und die Erprobung der Simulationsumgebung durch erfahrene Piloten in unserem Forschungssimulator ist für unsere Entwicklungen enorm wichtig“, betont Rauleder. „Nur so können wir sicherstellen, dass das Training im Simulator die angehenden Piloten optimal auf schwierige Einsätze vorbereitet.“
Publikation: J. Bludau, J. Rauleder, L. Friedmann, M. Hajek: Real-Time Simulation of Rotor Inflow using a Coupled Flight Dynamics and Fluid Dynamics Simulation, Deutscher Luft- und Raumfahrtkongress 2016, Braunschweig
Kontakt: Technische Universität München, Dr.-Ing. Jürgen Rauleder, juergen.rauleder@tum.de