Politik: Standpunkt

Plattform „Klimaschutz im Verkehr“ – Aufforderung zu wirksamem Handeln

Realistische Einordnung des Potentials der Digitalisierung

Digitalisierung, künstliche Intelligenz und autonomes Fahren bzw. autonom fahrende Autos sind nach Überzeugung der meisten (teilweise fachfremden) Mobilitäts- und Zukunftsforscher sowie fortschrittsbegeisterter Politiker und Laien seit Jahren die Zauberformel für die rosige Zukunft einer deutlich besseren und umweltverträglicheren Mobilität. Das gilt auch für Bundesverkehrsminister Scheuer. Trotz zunehmenden Widerspruchs unabhängiger, qualifizierter Fachleute und Fachinstitute weltweit werden gerade auch in Deutschland die harten Grenzen und Gefahren der betreffenden Technologien nach wie vor beträchtlich unterschätzt bzw. verkannt [9, 10].

Erst kürzlich hat das Weltwirtschaftsforum, basierend unter anderem auf Untersuchungen eines renommierten Forschungsunternehmens, den Klimawandel und die Cyberkriminalität als die beiden größten Bedrohungen der Menschheit eingeordnet [11]. Je komplexer digitale Strukturen (einschließlich „künstlicher Intelligenzen“) sind, desto höher ist das Gefährdungspotential durch die zunehmende Cyberkriminalität und ähnliche Aktivitäten (z.B. Hacker). Dazu kommt die systemimmanente Störanfälligkeit komplexer Hochtechnologie sowie ggf. eine im Sinne der empirischen Wissenschaften „unendliche“ (und damit per Definition nur begrenzt technisch beherrschbare) Komplexität des „Environments“ der Anwendung. Letzteres gilt insbesondere für autonomes Fahren in Stadtgebieten. Unlängst hat endlich auch ein führender Vertreter der betreffenden Industrie öffentlich eingestanden, dass „selbst fahrende Autos niemals absolut zuverlässig unter allen denkbaren Wetter- und Verkehrsbedingungen werden operieren können“ [11]. Und das ist bei Berücksichtigung der Positionen führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der Automation im Verkehrswesen noch eher optimistisch formuliert.

Gleichwohl verkündet gerade erst beispielsweise das „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“ in einem Gutachten im Auftrag „diverser Grünenfraktionen aus unterschiedlichen Bundesländern“ ebenfalls die großen Vorteile des Verkehrs in deutschen Städten auf der Basis autonomer Autos. Laut Pressemitteilung kann nach Aussage des Forschungsleiters damit „…die Zahl der Fahrzeuge auf unvorstellbare 40 bis 50 je 1.000 Einwohner reduziert werden“. Das sei zwar frühestens in 40 Jahren erreichbar; in der Übergansphase mit Mischverkehr sei aber immerhin schon eine Relation von 150 Fahrzeugen je 1.000 Einwohner zu erreichen [12]. Derzeit beträgt die Relation rd. 500 bis 600 PKW je 1.000 Einwohner. Die betreffenden Ergebnisse sind schwerlich in Einklang zu bringen mit denen unabhängiger hoch qualifizierter internationaler Forschungsinstitute; diese warnen seit Jahren zunehmend vor eher mehr Verkehr (durch Leerfahrten und häufigere Nutzung – nicht zuletzt zu Lasten des klassischen ÖPNV) und mehr Unfälle (zumal in Zeiten des Mischverkehrs) [10].

Bild 1: Verkehrslenkungs- und Optimierungsprojekte im Rahmen des US-TRB „Urban Partnership Agreement“ Programms: Detroit / Michigan + San Francisco. Quelle: [13]

Gerade im Straßenverkehr geht es also nicht in erster Linie um die maximale Digitalisierung sowie das Setzen auf angeblich „künstliche Intelligenz“. Vielmehr geht es vor allem um die intelligente Nutzung der digitalen Optionen – ohne das Potential der analogen Optionen dabei zu vernachlässigen. Die von der Arbeitsgruppe „Klimaschutz im Verkehr“ geforderten Verbesserungen der Lenkung des Straßenverkehrs sind weitgehend bereits mit klassischen Mitteln möglich. Das wird vielerorts weltweit auch seit Langem erfolgreich praktiziert; gerade in Deutschland werden die Potentiale aber nach wie vor überwiegend bei Weitem nicht ausgeschöpft. Ein gutes Beispiel für die „konventionellen“ Möglichkeiten sind die Aktivitäten im Rahmen der „Urban Partnership Agreement“ Programme in den USA. Die dort vor rund 10 Jahren in die Praxis von Metropolen umgesetzten Projekte stehen in vollem Einklang mit zahlreichen der Vorschläge / Empfehlungen der Arbeitsgruppe [13] (Bild 1).

 Drastische Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs
Bereits Mitte der 1970er Jahre hat der damalige Bundesminister für Forschung und Technologie, Prof. Dr. Horst Ehmke, in einer amtlichen Broschüre drastisch formuliert, dass die Umweltwirkungen und der Ressourcenverbrauch durch den Automobilverkehr „nicht mehr hinnehmbar“ seien [14]. Die Situation diesbezüglich hat sich seither beträchtlich weiter verschlechtert. Anlässlich einer Anhörung des US-amerikanischen Kongresses zur „Zukunft des Automobils“, zu dem auch der Verfasser dieses Beitrags geladen war, wurden die Forschungs-Chefs der weltgrößten Automobilkonzerne (einschließlich Daimler-Benz und VW) gefragt, ob es möglich sei, den mittleren Kraftstoffverbrauch von Neu-PKW auf 3 Liter je 100 km zu reduzieren (bei einer seinerzeitigen Ausgangslage um 12 l/100 km in den USA) – und wenn ja, wie lange es dauern würde [15].

Die Antwort war ein klares „Ja“; ohne staatliche Unterstützung wäre es in 20 Jahren möglich, mit staatlicher Finanzhilfe sogar innerhalb von 10 Jahren. Es folgte die entscheidende Einschränkung der Wirtschaftsvertreter, die so gar nicht im Einklang mit dem Credo von Verkehrsminister Scheuer steht: „But, it has to be mandated!“ (aber, es muss bindend verfügt werden). Entsprechende Verfügungen wurden dabei von den Wirtschaftsvertretern ausdrücklich nicht abgelehnt, sondern eher als im Sinne fairer Marktbedingungen sachgerechte Reglementierung anerkannt. Entsprechende Verfügungen hat es auch in den USA allerdings erst während der Obama-Administration im vergangenen Jahrzehnt gegeben, mit tatsächlich nachhaltiger Wirkung.

Bild 2: Entwicklung des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs von PKW in Deutschland. Quelle: div. Ausgaben von „Verkehr in Zahlen“, eigene Darstellung

In Deutschland fehlen vergleichbare Vorgaben nach wie vor. Für das Jahr 2017 ist der Durchschnittsverbrauch lt. [16] wie folgt angegeben:

– Otto-Motor: 7,8 l / 100 km
– Diesel-Motor: 7,0 l / 100 km

Der Rückgang des mittleren Kraftstoffverbrauchs der PKW in Deutschland betrug damit in den vergangenen rd. 35 Jahren weniger als 24 % bei beiden Fahrzeug-Kategorien. Der wurden durch den Anstieg der Fahrzeugzahlen und der Verkehrsleistungen im MIV im gleichen Zeitraum deutlich überkompensiert [15] (Bild 2).

Der Verbrauch von traditionellem Treibstoff (Vergaser oder Diesel) steht nicht nur in direkten Zusammenhang mit Fragen der Nachhaltigkeit (Schonung der natürlichen Ressourcen), sondern auch mit der Abgasbelastung. Ähnliches gilt für das Fahrzeuggewicht bzw. die Fahrzeuggröße, zumal hinsichtlich des höchst umweltschädlichen Reifenabriebs. Der massive Zuwachs der Zahl von SUVs gerade in Deutschland hat diesbezüglich nicht unmaßgeblich die Erfolge im Bereich der Erhöhung des Wirkungsgrades der Antriebe hinsichtlich des Kraftstoffverbrauchs und der Umweltverträglichkeit konterkariert.

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Literatur und Quellen
[8] Wille, J.: Umsteuern in der Verkehrspolitik? Nicht mit Andreas Scheuer; Frankfurter Rundschau, 27.03.2019
[9] Kossak, A.: Zur Zukunft „autonomer Autos“; Straßenverkehrstechnik 8 / 2015
[10] Kossak. A.: Transforming Cities: Wird autonomes Fahren unsere Städte verändern? Motor Journalist, Edition 2017
[11] Kossak, A.: CES 2019 – Quo vadis autonomes Fahren? Straßenverkehrstechnik 3 / 2019
[12] Schlimk, M.: Gutachten macht Hoffnung: Gibt’s bald keinen Stau- und Parkplatz-Ärger mehr in Hamburg? Hamburger Morgenpost, 21.04.2019
[13] City of San Francisco: San Francisco Bay-Area Urban Partnership Agreement; San Francisco 2009
[14] Bundesministerium für Forschung und Technologie (Hrsg.): Auf dem Weg zum Auto von Morgen; Verlag TÜV Rheinland, Köln 1973
[15] Kossak, A.: Zum Thema: Abgas-Emissionen durch Straßenverkehr; Straßenverkehrstechnik 10 / 2018
[16] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.): Verkehr in Zahlen 2018/ 2019; KBA Flensburg 2018