Infrastruktur: Wissenschaft

Wind-Leitbleche beim Brückenbau verhindern Aufschaukeln

Brücken bauen mit Spoiler gegen Wind
Talbrücke Nuttlar von Südwesten: Am Überbau im Vorschubzustand ist der gelbe Vorbauschnabel zu sehen, der am Stahlkasten montiert ist. Bild: Manoftours | Wikimedia (Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication)

[RUB] Viele Brücken werden heute im Taktschiebeverfahren gebaut, also von einem Widerlager aus ins Freie geschoben, bis zu 120 Meter weit. Schon schwache Windböen können ihnen in der Bauphase gefährlich werden. Um ein Aufschaukeln zu verhindern, entwickeln Forschende der Arbeitsgruppe Windingenieurwesen und Strömungsmechanik an der Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwesen der Ruhr-Universität Bochum (RUB) Tricks, die das wachsende Bauwerk vor böigem Wind schützen. Spoiler, Stoßdämpfer und Gegengewichte gehören dazu.

Bei Brücken baut man heute zuerst ein Widerlager und die anschließenden Stützen. Am fertigen Widerlager – der Stelle, an der die Brücke beginnen soll – wird parallel eine Feldfabrik aufgebaut, die in einer Serienfertigung die Abschnitte der Brücke vor Ort fertigt. Diese werden dann vom Widerlager aus unter hohem Druck mehrerer Pressen stückweise in Richtung der mittlerweile entstandenen Stützen vorgeschoben, während am Widerlager immer neue Teile angebaut werden. So wächst die Brücke zunächst ins Leere – Fachleute sprechen vom taktweisen Vorschub.

Die Dimensionen sind dabei enorm: Während man in den 1980er-Jahren nur Brücken bis etwa 40 Meter Gesamtlänge auf diese Weise fertigte, kann heute der Abstand zwischen zwei Stützpfeilern mehr als 120 Meter betragen. Der Überbau der Brücke wird als oben offener Stahlkasten gefertigt, „das kann man sich im Querschnitt so vorstellen wie ein breites U“, veranschaulicht Prof. Dr. Rüdiger Höffer.

Brücken bauen mit Spoiler

Luftleitbleche am Verschubüberbau der Moseltalquerung. Sie wurden am Grenzschichtwindkanal der Ruhr-Universität Bochum in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Niemann Ingenieure entwickelt. Bild: Forschungsgruppe Windingenieurwesen und Strömungsmechanik

Dem Wind elegant ein Schnippchen schlagen
„Das oben offene U des Überbaus ist für Wind sehr angreifbar“, erläutert Rüdiger Höffer. Das Stahlkonstrukt biegt sich durch oder verdreht sich. Der Wind kann es in drei Richtungen verformen. Besonders gefürchtet sind Windböen, die die entstehende Brücke zu Schwingungen anregen: Ein Windstoß, der zu einer Schwingung führt, wird gefolgt von einem nächsten, der die Schwingungen verstärkt – das Bauwerk schaukelt sich auf. „Ein Sturm oder ein Sommergewitter kann dabei zu Amplituden im Meterbereich führen“, macht Höffer deutlich.

Im Grenzschichtwindkanal der RUB, der zu Höffers Arbeitsgruppe gehört, experimentieren die Forschenden mit Bauwerksmodellen im Wind. „Die ungünstigen Formen der im Bau befindlichen Brücke zu verbessern, ist die eleganteste Methode, dem Wind ein Schnippchen zu schlagen“, so Rüdiger Höffer. Neben dem Schließen des U gehört zu den Tricks des Teams auch die Entwicklung entsprechender Spoiler. Sie können viele Gestalten haben: Seitlich angebaute Windleitflächen in der Form eines spitzen Dreiecks mindern schwingungsanregende Wirbelablösungen.

Wind: Brücken bauen mit Spoiler

Bochumer Grenzschichtwindkanal: Im Hintergrund das Sauggebläse, im Vordergrund Rauigkeitskörper zur Ausbildung einer turbulenten Strömungsgrenzschicht, die einen Starkwind in der Natur nachbildet. Bild: Damian Gorczany

Für jedes Bauprojekt eine eigene Untersuchung
Auch unausgesteifte Stützen der noch im Bau befindlichen Brücke sind besonders bei hohen Bauwerken durch den Wind gefährdet. Spezielle Anbauteile, zum Beispiel aus Holztafeln, können bedrohliche, periodische Wirbelablösungen zerreißen. Da sie allerdings auch den Windwiderstand der Stütze erhöhen, muss diese durch eine stärkere Bewehrung aus Stahl im Beton von vornherein verstärkt werden. Man muss also vor dem Bau der Stütze wissen, ob die Anbauteile aerodynamisch vonnöten sind, und gegebenenfalls die Stütze für die etwas höheren Windwiderstände bemessen. Für eine sichere Voruntersuchung ist ein gebäudeaerodynamischer Grenzschichtwindkanal wie etwa der Bochumer Windkanal erforderlich.

Für jedes neue Bauprojekt seien neue Untersuchungen nötig, betont Höffer. Seit 2004 ist sein Team auch auf die numerische Simulation der Auswirkungen von Wind auf Bauwerke spezialisiert. Sie kommen unter anderem dann zum Einsatz, wenn Baupläne nach der eigentlichen Untersuchung im Windkanal noch angepasst werden oder wenn kleinskalige Details untersucht werden sollen, die im Windkanal nur schwer ausgemessen werden können.


Ausführlicher Beitrag zum Thema im RUB-Wissenschaftsmagazin Rubin