Infrastruktur

Katastrophenfall-Netzwerk: Digitale Kommunikation beim Einsatz

Symbolfoto: Alexander Fox | pixabay

[Frankfurt UAS] Auch bei Katastrophen noch digital kommunizieren: Eine Forschungsgruppe der Frankfurt UAS entwickelt ein Netzwerk für den Katastrophenfall mit neuartiger Netzwerk­architektur, das eine Koordination von Hilfs­einsätzen erleichtern kann.

In einem Katastrophenfall, etwa einer Flut oder einem Erdbeben, müssen verschiedene Gruppen von Helfer/-innen schnell und unkompliziert Informationen austauschen – beispiels­weise Sanitäter/-innen oder Feuerwehr­leute. Doch wie kann sichergestellt werden, dass selbst nach dem Zusammenbruch wichtiger Infrastruktur ein stabiles Kommunikations­netz zur Verfügung steht?

Für solche Szenarien haben Wissenschaftler der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) im Rahmen eines Forschungs­projekts eine neuartige Netzwerk­architektur entwickelt und kürzlich bei einem Testlauf erfolgreich erprobt: ein sogenanntes Wireless Mesh Network (WMN), ein WLAN aus verschiedenen Knoten­punkten, das besonders flexibel und einfach in der Nutzung ist. Das Konzept könnte die Koordination von Hilfs­einsätzen künftig stark erleichtern. Trotz Ausfall der üblichen Kommunikations­systeme und der Stromversorgung könnte so eine leistungsfähige und robuste Kommunika­tions­infra­struktur aufrecht­erhalten werden: Einsatzkräfte und Hilfs­bedürftige könnten sich weiterhin mit ihren Smartphones per W-LAN in dieses Netz einwählen.

Durchgeführt wurde das Forschungsprojekt „Optimierung von Wireless Mesh Networks mit Netzwerk­virtuali­sierung für den Katastrophen­einsatz“ (VirtO4WMN) von der Forschungs­gruppe für Telekommunikations­netze am Fachbereich Informatik und Ingenieur­wissenschaften der Frankfurt UAS. „Bislang existiert kein ganzheitlicher, moderner Lösungs­ansatz für ein Netzwerk, das im Katastrophenfall allen Anforderungen von Hilfskräften und Betroffenen gerecht wird“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Trick, Leiter der Forschungsgruppe und Professor für Telekommunikationsnetze. „Die von uns konzipierte Netzinfrastruktur ist nicht nur außergewöhnlich ausfallsicher und passt sich intelligent an die Bedürfnisse der Nutzer/-innen an, sie lässt sich auch sehr schnell und ohne besondere Fachkenntnisse aufbauen. Schließlich ist für Menschen in Not jede Minute lebenswichtig.“

Bei der Entwicklung des WMN arbeitete die Forschungsgruppe eng mit dem Technischen Hilfswerk (THW) sowie dem Unternehmen NetModule GmbH aus Eschborn zusammen, das Teile der Hardware zur Verfügung stellte. Auf dem THW-Übungsgelände in der nieder­sächsischen Stadt Hoya simulierten die Wissen­schaftler kürzlich gemeinsam mit THW-Mitarbeitenden aus mehreren Bundes­ländern den Einsatz des WMN im Ernstfall – der so aussehen könnte:

Katastrophenfall-Netzwerk erleichtert Koordination von Hilfseinsätzen

Proben für den Ernstfall: portable WMN-Router verbinden sich als Knotenpunkte automatisch miteinander und bilden ein stabiles und intelligentes Netz.
Ulrich Trick | Frankfurt UAS

Das THW verteilt im Katastrophenfall kleine, portable WMN-Router auf dem betroffenen Gelände. Sobald die Router eingeschaltet werden, verbinden sie sich als Knoten­punkte automatisch miteinander und bilden ein stabiles und intelligentes Netz. Dieses WMN ermög­licht es Helfergruppen, Text­nachrichten zu verschicken, zu telefonieren, Video­konferenzen abzuhalten oder auch Dateien auszutauschen, beispielsweise Lagepläne oder Informationen über Verletzte.

„Der Schlüssel zur Optimierung unseres WMN ist die Netzwerk­virtuali­sierung“, so Prof. Dr. Armin Lehmann, im Projekt verantwortlich für die Gesamtsystemtechnik und Professor für Programmieren in der Informations­technik. „Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass wir wesentliche Funktionen des Netzes von der Hardware abkoppeln und virtuell abbilden.“

Gesteuert wird das WMN, und das ist einzigartig, nicht durch einen zentralen Computer: Stattdessen ist der sogenannte Orchestrator – sozusagen das „Software-Gehirn“ des Netzes – dezentral über alle Knotenpunkte verteilt und sorgt unter anderem dafür, dass die Akkus, über die das System betrieben wird, gleichmäßig ausgelastet werden. So haben sie eine möglichst lange Laufzeit. Daneben kann der Orchestrator benötigte Funktionen näher an den Ort der Nutzung verschieben. Falls etwa eine größere Gruppe von Personen auf einen Webserver zugreifen muss, lässt das Netz diesen Webserver zum Knotenpunkt wandern, der am nächsten bei den Betreffenden liegt. Auf diese Weise stellt das Netz seine eigene Nutzungsqualität sicher. Das WMN lässt sich flexibel erweitern und umfasst neben dem zugangsbeschränkten auch einen offenen Bereich, in den sich zum Beispiel Verschüttete einwählen können, um auf sich aufmerksam zu machen.

Katastrophenfall-Netzwerk erleichtert Koordination von Hilfseinsätzen

Auf dem THW-Übungsgelände in der niedersächsischen Stadt Hoya simulierten die Wissenschaftler gemeinsam mit THW-Mitarbeitenden aus mehreren Bundesländern den Einsatz des Wireless Mesh Network im Ernstfall. © THW

Das Forschungsprojekt hatte eine Laufzeit von vier Jahren und wurde vom Bundes­ministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderlinie „Ingenieur­Nachwuchs – Kooperative Promotionen, Förderrunde 2016“ des Programms „Forschung an Fachhochschulen“ unterstützt (Förderkennzeichen: 13FH018IX6). „Neben den fachlichen Zielen war es uns auch sehr wichtig, das Potenzial von Studierenden zu fördern“, so Lehmann und Trick. „Im Rahmen des Projekts entstanden nicht nur zwei kooperative Promotionen mit der University of Plymouth, sondern auch insgesamt 23 Master-, Bachelor- oder Projektarbeiten.“

Die Forschung an dem Themenfeld geht derweil weiter: Zurzeit arbeitet die Forschungsgruppe daran, das Netzwerk noch resilienter zu machen. Wenn einer der Knoten­punkte zerstört wird, etwa durch ein Nachbeben, sollen andere Knoten­punkte seine Funktionen übernehmen können. „Das Thema Kommunikation im Katastrophenfall ist und bleibt leider aktuell“, so Trick. „Wir hoffen, mit unserer Forschung einen entscheidenden Beitrag leisten zu können, damit im Ernstfall künftig noch mehr Menschenleben gerettet werden.“