Mobilität: Wissenschaft

Forscherteam untersucht Fahrtentscheidungen beim Ride-Sharing

Fahrtentscheidungen beim Ride-Sharing
Symbolfoto: Thibault Penin | Unsplash

[TU Dresden] Ride-Sharing zwischen finanziellem Anreiz und eingeschränktem Komfort: Ein interdisziplinäres Forschungsteam der TU Dresden an der von Prof. Marc Timme geleiteten Professur für Netzwerkdynamik (Center for Advancing Electronics Dresden – cfaed und Institut für Theoretische Physik) hat die Motivation von Menschen untersucht, Angebote „geteilter Mobilität“ zu nutzen.

Beim Ride-Sharing befördert ein Fahrzeug mehrere Fahrgäste gleichzeitig, indem es zwei oder mehr Fahrtwünsche mit ähnlichem Start- und Zielort kombiniert. Das Konzept kann einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen städtischen Mobilität leisten. Seine Akzeptanz leitet sich aber aus Bedürfnissen und Verhalten der Menschen ab. So bieten geteilte Fahrten zwar einen finanziellen Vorteil, es müssen aber möglicherweise Einschränkungen im Komfort und bei der Fahrtdauer in Kauf genommen werden. Aus diesen Faktoren ergeben sich unterschiedliche Verhaltensmuster, die das beobachtete Nutzungsverhalten aus 360 Mio. realen Fahrtanfragen von 2019 in New York City und Chicago erklären. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.

Am effizientesten ist Ride-Sharing (oder Ride-Pooling) an Orten mit hoher Nachfrage und vielen ähnlichen Fahrtanfragen. Doch ob und unter welchen Bedingungen die Menschen tatsächlich bereit sind, Ride-Sharing anzunehmen, war bisher schwer zu beantworten. In ihrer Studie entschlüsseln die Wissenschaftler die komplexe Anreizstruktur, die der Entscheidung für oder gegen eine geteilte Fahrt zugrunde liegt. In einem spieltheoretischen Modell beschreiben sie das Verhalten aller Nutzer, die Fahrten von einem Ort aus buchen, und zeigen, wie die Interaktionen zwischen einzelnen Ride-Sharing-Nutzende zu zwei qualitativ unterschiedlichen Akzeptanzmustern führen.

Fahrtentscheidungen beim Ride-Sharing

Illustration Straßennetz: Christiane Kunath

Bei der einen Variante ist die Bereitschaft, Fahrten zu teilen, gleichbleibend hoch. Bei der anderen nimmt die Offenheit für geteilte Fahrten jedoch ab, je höher die Nachfrage nach Fahrten insgesamt steigt. Bei insgesamt wenigen Nutzenden im System wächst die Zahl von Ride-Sharing-Buchungen zwar mit der Anzahl der Fahrtanfragen, bei vielen Nutzenden flacht die Nutzung jedoch ab. Der relative Anteil an geteilten Fahrtanfragen wird also kleiner – obwohl bei hoher Nachfrage die Chancen steigen, dass weniger Umweg in Kauf genommen werden muss, da sich Fahrtrouten optimieren lassen.

„Fahrgäste spekulieren darauf, zwar den günstigeren Fahrpreis im Tarif der geteilten Fahrten zu nutzen, aber aufgrund einer geringen Nachfrage nach Fahrten dennoch alleine und damit direkt von A nach B befördert zu werden“, erklärt David Storch, Doktorand an der Professur für Netzwerkdynamik und Erstautor der Studie. Bei hoher Nachfrage, also beispielsweise zu den typischen Stoßzeiten, ist die Aussicht auf eine Fahrt als alleiniger Passagier geringer: „Fahrgäste verlieren fast sicher Komfort durch eine geteilte Fahrt. Sie tendieren häufiger dazu, gleich den teureren Tarif zu buchen, um alleine zu fahren.“

Die anhand der Modellierung gefundenen Nachfragemuster konnten die Forscher in einer Analyse von über 360 Millionen Fahrtwünschen in New York City und Chicago nachweisen und somit ihr Model stützen. Die Analyse zeigt, dass je nach Ausgangspunkt der Fahrt beide Verhaltensmuster in den Städten parallel existieren. Malte Schröder, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur, interpretiert die Ergebnisse so: „Da beide Verhaltensmuster in den Städten koexistieren, ist vermutlich bereits eine moderate Steigerung der finanziellen Anreize ausreichend, um die Akzeptanz für Ride-Sharing auch an anderen Orten und für andere Nutzergruppen stark zu erhöhen.“


Die Professur für Netzwerkdynamik unter der Leitung von Prof. Marc Timme wurde im Jahr 2017 eingerichtet. Ziel dieser strategischen Professur der TU Dresden, die sowohl dem Forschungscluster „Center for Advancing Electronics Dresden“ (cfaed) als auch dem Institut für Theoretische Physik angegliedert ist, ist es, eine Brücke von Methoden aus Angewandter Mathematik und Theoretischer Physik zu Anwendungen in Biologie und Ingenieurwissenschaften zu schlagen. Es ist die erste Professur für Netzwerkdynamik in dieser disziplinübergreifenden Ausprägung in Mitteleuropa. Da Netzwerke fast überall um uns herum sind, strebt das Forschungsteam ein vereinheitlichendes Verständnis der grundlegenden Mechanismen an, die der kollektiven Dynamik großer, nichtlinearer, miteinander verbundener Systeme zugrunde liegen, indem es fundamentale theoretische Beschreibungen mit datengetriebener Analyse und Modellierung verbindet.
Das cfaed – Center for Advancing Electronics Dresden ist ein Forschungscluster an der TU Dresden (TUD). Als interdisziplinäres Forschungszentrum für Perspektiven der Elektronik ist es an der TUD als zentrale wissenschaftliche Einheit angesiedelt, integriert aber auch neun außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Sachsen sowie die TU Chemnitz als kooperierende Institute. Mit seiner Vision will der Cluster die Zukunft der Elektronik gestalten und revolutionäre neue Anwendungen initiieren, wie z. B. eine Elektronik, die keine Bootzeit benötigt, THz-Bildgebung beherrscht oder komplexe Biosensorik unterstützt. Diese Innovationen machen Leistungssteigerungen und Anwendungen denkbar, die mit der Fortführung der heutigen Siliziumchip-basierten Technologie nicht möglich wären. Um seine Ziele zu erreichen, verbindet das cfaed den Wissensdurst der Naturwissenschaften mit der Innovationskraft der Ingenieurwissenschaften.


David-Maximilian Storch, Marc Timme, Malte Schröder (2021): Incentive-driven transition to high ride-sharing adoption. In: Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-021-23287-6