Standpunkt

Neue Impulse, alte Herausforderungen

Prof. Dr. Barbara Lenz

Ein Statement von Prof. Dr. Barbara Lenz, Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin, und Mitglied im Herausgebergremium von Internationales Verkehrswesen.

Die vorliegende Heft 2|2020 von Internationales Verkehrswesen erscheint zu einem Zeitpunkt, zu dem die Covid-19 Pandemie das alles beherrschende Thema ist und andere Problemstellungen und Zukunftsaufgaben scheinbar in den Hintergrund gedrängt werden. Geht es allerdings um Mobilität und Verkehr, so macht die Krisensituation nicht nur deutlich, dass weniger motorisierter Verkehr durchaus auch positive Effekte mit sich bringt, sondern sie zeigt auch, welche Datenschätze heute schon vorhanden sind und dabei einen Beitrag zur Beobachtung des Verkehrs und der Verkehrsentwicklung – nahezu in Echtzeit – leisten können: ÖPNV-Betreiber nutzen Verbindungsabfragen, um Netzauslastungen zu ermitteln und dynamisch auf daraus abgeleitete Bedarfe zu reagieren; große Suchmaschinen bilden die Veränderungen der Außer-Haus-Aktivitäten von Menschen weltweit ab; Forschungseinrichtungen stellen auf Grundlage der Fusion von Datenquellen Einsichten in die räumliche Differenziertheit der Verkehrsentwicklung und das Maß an Betroffenheit unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen bereit.

Es zeichnet sich ab, dass der Covid-19-Kontext einen deutlichen Impuls für die Verkehrsforschung und -planung ebenso wie für den operativen Bereich des Verkehrs liefert, indem offenkundig wird, wie die Nutzung von Daten erweitert und vorangebracht werden kann und sollte. Zu hoffen ist, dass sich daraus neue Ideen und Ansätze entwickeln, die nicht nur von den Nutzerinnen und Nutzern akzeptiert werden, sondern die auch helfen, Mobilität und Verkehr umwelt- und klimafreundlich zu gestalten. Dazu freilich braucht es neben einer wachsenden Präferenz für die Verkehrsmittel des Umweltverbundes auch das Vertrauen der Menschen in die Sicherheit der Daten.

Die Diskussion um das Tracking als Möglichkeit, die Ausbreitung des Virus durch Rückverfolgung von Kontakten abzuschwächen, und die dabei sichtbar werdende hohe Zustimmung in der Bevölkerung angesichts der wahrgenommenen Zweckdienlichkeit dieser Maßnahme legen nahe, dass zwar eine hohe Sensibilität gegenüber der Nutzung von Daten von Einzelpersonen besteht. Verbindet sich damit jedoch eine aus Nutzersicht nützliche und sinnvolle Anwendung, ist die notwendige Akzeptanz vorhanden. Das ist nichts grundlegend Neues, und es gibt auch genügend Beispiele dafür aus der Zeit vor Covid-19, es muss aber gerade bei der Verwendung von Nutzerdaten immer wieder hervorgehoben werden. Anwendungen, wie beispielsweise die Möglichkeit eines Tracking, das mit einer Vertrauensperson geteilt wird, funktionieren allerdings nur, wenn dabei auch die Datenübermittlung stabil, sicher und zuverlässig funktioniert.

Gleichzeitig bleiben die alten Herausforderungen bestehen. Daten und datenbasierte Anwendungen sind die eine Seite der Medaille. Sicherheit und Vertrauen brauchen aber weiterhin auch in der konkret-physischen Welt die notwendige Beachtung bei der Gestaltung von Infrastrukturen, vom einfachen Fußgängerüberweg bis hin zu komplexen multimodalen Verkehrsknoten. Besonders betroffen von der Notwendigkeit, nicht nur Funktionsfähigkeit, sondern auch Sicherheit zu vermitteln, ist einmal mehr der Bereich des Umweltverbundes, der in den Städten – und nicht nur in den Großstädten – einen wichtigen Beitrag zur urbanen Lebensqualität leistet.

Liebe Leserinnen und Leser, dass Sie all diese Themen in dieser und sicher auch den folgenden Ausgaben wiederfinden werden, ist beinahe selbstverständlich. Wie Digitalisierung und Neustrukturierung der Verkehrswege, aber auch neue Sichtweisen bei allen am Verkehr Beteiligten neue Mobilitätsoptionen schaffen können, beleuchten unsere Autoren im vorliegenden Heft 2|2020. Dazu wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre.


Veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen (72), Heft 2 | 2020