[TU Berlin] – Eine Akzeptanzbefragung des Zentrums Technik und Gesellschaft zeigt, dass das erwartete Vertrauen in fahrerlos fahrende Shuttles gegenwärtig noch gering ist. Sollen solche Angebote zur Mobilitätswende angenommen werden, sind noch viele technische und soziale Hürden zu nehmen. Bei fahrerlosen Bussen muss besonderer Wert auf die subjektive Sicherheit gelegt werden
Zwischen dem subjektiven Sicherheitsgefühl in einem hochautomatisiert fahrenden Shuttle mit Fahrzeugbegleitpersonal und in vollautomatisierten ohne klafft eine große Lücke. 96 Prozent der Befragten, die im Rahmen eines Pilotprojekts zum Einsatz von hochautomatisiert fahrenden Shuttles im Berliner ÖPNV mit Begleitung gefahren waren, bewerteten ihr Sicherheitsgefühl als sehr gut beziehungsweise als gut. Auf die Frage, wie sicher sie sich fühlen würden, wenn ein solches Shuttle ohne Begleitpersonal unterwegs sei, rutschte der Wert auf knapp 50 Prozent ab. 26 Prozent der Befragten gaben dabei sogar an, dass das erwartete Sicherheitsgefühl schlecht beziehungsweise sehr schlecht sei. Und in der Altersgruppe der über 65-Jährigen sagten 39 Prozent, sich ohne Personal nicht sicher zu fühlen.
Das sind einige der wichtigsten Ergebnisse einer Befragung zur Akzeptanz von hochautomatisierten Elektro-Kleinbussen im Berliner Stadtverkehr. Die Akzeptanzbefragung wurde im Rahmen des Forschungsvorhabens „Shuttles & Co – Autonome Shuttles & Co im digitalen Testfeld Stadtverkehr“ Ende 2021 durch das Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der TU Berlin durchgeführt. „Diese enorme Diskrepanz zeigt, welche technischen und psychologischen Hürden noch genommen werden müssen, bevor die Technologie des komplett autonomen Fahrens von den Menschen angenommen wird“, sagt Dr.-Ing. Wulf-Holger Arndt, der das Projekt am ZTG-Bereich „Mobilität und Raum“ leitete. „Unsere Befragung ergab zudem auch, dass die Akzeptanz von autonom fahrenden Privatautos schlechter ist als im ÖPNV.“
Testbetrieb in Berlin-Tegel
Im Sommer 2021 nahm die BVG in einem Wohngebiet in Berlin-Tegel zwei Buslinien als Letzte-Meile-Service zur besseren Anbindung des Wohngebiets an den ÖPNV in Betrieb, auf denen bis Mitte 2022 drei hochautomatisierte Elektro-Kleinbusse mit Begleitung fuhren. Auf dem Weg zum autonomen Fahren wird zwischen hochautomatisierten Shuttles (Level 3) und vollautomatisierten Shuttles (Level 4) unterschieden. Bei Level 3 befindet sich Begleitpersonal an Bord; bei Level 4 muss sich kein Personal im Fahrzeug befinden. Dieses übernimmt alle Fahraufgaben selbst und fordert lediglich situativ Manöverfreigaben vom Personal in einer Leitstelle, der sogenannten technischen Aufsicht. Ziel des Pilotprojektes in Tegel war es zu testen, ob sich solche kleinen Elektro-Shuttles eignen, das Wohngebiet an den U- und S-Bahnhof Tegel anzuschließen, die Mobilität vor allem der älteren Menschen zu verbessern, ob sie eine Alternative zum privaten Auto sein könnten und ein Meinungsbild in der Bevölkerung über den Shuttlebetrieb abzuleiten. Aufgrund von pandemiebedingten Beschränkungen musste der Betriebsstart jedoch mehrfach verschoben werden.
Die nördliche Linie (1,2 Kilometer) verband den Tegeler See mit dem U-Bahnhof Alt-Tegel, die südliche Linie (2,5 Kilometer) führte von der Fußgängerzone am U-Bahnhof Alt-Tegel durch den Kiez Alt-Tegel zu einem Seniorenheim und weiter bis zum S-Bahnhof Tegel. Jeder dieser Shuttle-Busse verfügte über sechs Sitzplätze, von denen pandemiebedingt über fast die gesamte Betriebslaufzeit hinweg nur drei genutzt werden durften, fuhr mit einer Maximalgeschwindigkeit von 15 Kilometern pro Stunde und verkehrte zwischen 9.30 Uhr und 17.00 Uhr im 15 beziehungsweise 20-Minuten-Takt.
Die Wissenschaftler des ZTG befragten die Nutzerinnen und Nutzer der Shuttlebusse sowie die Anwohnenden und Gewerbetreibenden des Wohngebietes zur Akzeptanz dieser Technologie und ob solche hochautomatisiert fahrenden Kleinbusse als ein Beitrag zum Klimaschutz angesehen werden. Zudem wurde unter den Fahrgästen die Nutzungsfreundlichkeit der Shuttle erfragt. Die Ergebnisse aus den Befragungen und öffentlichen Bürgergesprächen, sogenannte partizipative Dialogformate, mündeten unter anderem in einer sieben Punkte umfassenden Handlungsempfehlung, um die Elektro-Kleinbusse aus der Pilotphase in den Regelbetrieb des ÖPNV zu überführen. Mit diesen Erhebungsformaten soll erreicht werden, dass die Bürgerinnen und Bürger bei der Einführung dieser Technologie, die ein fundamentaler Bruch mit Gewohnheiten ist, einbezogen werden.
Beitrag zum Klimaschutz
„Über alle Altersgruppen hinweg war das Urteil einhellig, dass diese Shuttles grundsätzlich ein gutes Erweiterungsangebot seien, um das Wohngebiet an den ÖPNV anzubinden und die Mobilität älterer Menschen und damit deren Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu verbessern“, sagt Dipl.-Soz. Robert Linke-Wittich, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZTG und in dem Projekt. Anders stellte sich das in der Akzeptanzbefragung unter den Gewerbetreibenden dar, die an den beiden Linien lagen. Unter ihnen überwog Skepsis – Haltestellen der Shuttles reduzierten Parkplätze für potenzielle Kundschaft, so deren Meinung. „Der Sinn des Shuttlebetriebes hatte sich den Gewerbetreibenden nicht erschlossen. Ein Anzeichen dafür, dass wir als Wissenschaftler in dieser Richtung noch mehr Öffentlichkeitsarbeit leisten müssen“, so Dr.-Ing. Wulf-Holger Arndt.
Auch war unter Passagieren und Anwohnern die Zustimmung dahingehend groß, dass die Elektro-Shuttles zum Klimaschutz beitrügen, weil sie das Potenzial hätten, den privaten Autoverkehr zu verringern und damit die CO2-Emissionen zu reduzieren.
Trotz positivem Urteil kaum Dauernutzer
Doch all diese positiven Zuschreibungen und Einstellungen schlugen sich im Erhebungszeitraum nicht in einer hohen Anzahl von Dauerfahrgästen nieder. 76 Prozent der befragten Fahrgäste fuhren zum ersten Mal – hauptsächlich aus Neugierde, so Robert Linke-Wittich. „Aus den Gesprächen besonders in den partizipativen Dialogformaten ging hervor, dass die Menschen diese Angebote in ihr Mobilitätsverhalten nur dann fest integrieren werden, wenn sich ihnen Sinn und Zweck erschließen. Drei Busse auf zwei kurzen Linien einige Monate fahren zu lassen, wird bisher nicht als ernsthaftes Angebot wahrgenommen, was Menschen überzeugen würde, die eigenen Mobilitätsroutinen zu verändern. Die pandemiebedingten Einschränkungen hatten hier sicherlich auch ihren Anteil. Um Mobilitätsroutinen zu verändern, braucht es einen langen Atem“, resümiert Robert Linke-Wittich. Viele Menschen wünschten sich eine Verlängerung des Angebots.
Aus dem Befund der Akzeptanzbefragung leiteten die Wissenschaftler Handlungsempfehlungen ab, um autonome Shuttles sinnvoll und nutzbringend in den Regelbetrieb des ÖPNV zu überführen:
- Vergrößerung des Einsatzgebietes mit längeren Strecken, längeren Betriebszeiten und On-Demand-Haltestellen (Bedarfshalte),
- Ermittlung von Wohngebieten, wo der Einsatz dieser Shuttles auf einen höheren Bedarf trifft, als das in dem Tegeler Wohngebiet der Fall war,
- Ausarbeitung eines Konzeptes, das die Integration dieser Shuttles in eine Gesamtberliner Verkehrsstrategie verdeutlicht und für Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar darlegt, was gemacht wird, warum es gemacht wird und welche Folgen es hat,
- intensive Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung, um die bestehende Skepsis gegenüber fahrerlosen Shuttles (Level 4) abzubauen.
„Unsere Akzeptanzbefragung und Bürger-Dialoge haben gezeigt, dass den Menschen eine klimaschonende Mobilität wichtig ist und sie einen Beitrag leisten wollen. Dafür fordern sie aber auch einen funktionierenden, flächendeckenden 24-Stunden-ÖPNV, der ihr privates Auto überflüssig macht. Dieser Anspruch ist hoch und kostet. Die Gesellschaft muss sich entscheiden, ob sie sich einen solchen ÖPNV leisten will, der das Klima schont“, sagt Dr.-Ing. Wulf-Holger Arndt.
Forschungen an der TU Berlin wurden mit 1,3 Millionen Euro gefördert
Die Akzeptanzbefragung wurde in eine Fahrgast- sowie eine Anwohnerbefragung aufgeteilt. Die Fahrgastbefragung erfolgte im Zeitraum von September bis Oktober 2021 an insgesamt neun Erhebungstagen. Von 673 Fahrgästen an diesen Tagen wurden 246 befragt (35,6 Prozent), was eine hohe Repräsentativität bedeutet. Bei der Anwohnerbefragung wurde eine Zufallsstichprobe von 300 befragten Personen aus 10.973 Einwohnern im Einzugsgebiet Alt-Tegel gezogen. Für die Telefonbefragung wurde ein externer Dienstleister beauftragt; die Fahrgastbefragung wurde durch das ZTG durchgeführt.
„Shuttles&Co“, an dem neben dem ZTG und dem Daimler-Center for Automotive IT Innovations der TU Berlin unter anderem auch die Berliner Verkehrsbetriebe, die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie mit der Berliner Agentur für Elektromobilität, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), das Institut für Verkehrssystemtechnik Fraunhofer FOKUS und die FU Berlin beteiligt waren, wurde vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit 9,1 Millionen Euro gefördert. An die TU Berlin flossen 1,3 Millionen Euro.
Weiterführende Informationen zum Projekt „Shuttles&Co“: www.tu.berlin/ztg/shuttlesco