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Emissionen: Diesel-Fahrverbote erscheinen unausweichlich

Diesel und Emissionen
Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

Von Prof. Dr.-Ing. Udo J. Becker und Wolfram Schmidt*

Es dürfte seit einigen Jahren bekannt sein: Die europäischen Städte haben an verkehrlich hochbelasteten Stellen ein Luftqualitätsproblem, insbesondere bei Partikel- und Stickstoffoxidimmissionen. Dafür sind Fahrzeuge mit Dieselmotoren, vor allem auch Diesel-PKW, maßgeblich mitverantwortlich.

Ebenfalls dürfte seit Jahrzehnten bekannt sein: Die Bedingungen für die Einhaltung der Abgasgrenzwerte im Rahmen der Typprüfung unterscheiden sich maßgeblich von den Betriebs- und Emissionsbedingungen in der Praxis. Wer die Emissionen der Fahrzeuge im realen Stadtverkehr bestimmen will, braucht reale Emissionsfaktoren. Die Datenbasis dafür ist in Deutschland und einer Reihe weiterer europäischer Länder standardmäßig das „Handbuch für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs“ (HBEFA).

Vor kurzem ist die aktuelle Version 3.3. des HBEFA erschienen: Darin sind die jüngeren Erkenntnisse etwa auch aus den Messungen der „Untersuchungskommission Volkswagen“ enthalten. Somit werden auch Fahrzeuge berücksichtigt, die etwa die Abgasreinigungsfunktionen (etwa „zum Schutz des Motors“) bei Temperaturen unterhalb der Typprüfungstemperatur ganz oder teilweise außer Kraft setzen. Im HBEFA 3.3 wird dies nun erstmalig dadurch berücksichtigt, dass bei Diesel-PKW der Abgasnorm EURO-4 bis EURO-6 im Bereich zwischen 0 °C und 20 °C eine Funktion zur temperaturabhängigen Korrektur der Emissionsfaktoren integriert ist.

Die daraus resultierenden Emissionsfaktoren für Diesel-PKW unterscheiden sich z.T. deutlich von den Werten, die in früheren Versionen angenommen worden waren. Dies lag auch daran, dass für frühere Versionen erst wenige (oder keine) realen Fahrzeugmessdaten vorhanden waren, da diese Fahrzeuge erst jetzt verstärkt in den Markt gelangen. Von daher konnte das HBEFA erst jetzt „vermutete/erhoffte“ Minderungspotentiale durch reale Messungen ersetzen.

Emissionen Faktor

Vergleich der NOx-Emissionsfaktoren auf einer Innerorts-Hauptverkehrsstraße für Diesel-PKW der Abgasnorm EURO-4, Euro-5 und EURO-6 der Versionen HBEFA 3.1, 3.2 und 3.3

Dabei zeigte sich, dass die beispielsweise für die Grenzwertstufe Euro-5 erhofften Minderungen in der Realität leider nicht verifiziert werden konnten. Für den Anwendungsfall des Stadtverkehrs zeigt die nebenstehende Abbildung die sich aus der neuesten HBEFA-Version ergebenden realen Emissionsfaktoren für NOx. Stickstoffoxide bzw. Stickstoffdioxid stellen derzeit die für die Luftreinhaltung der Städte wohl kritischste Abgaskomponente dar. Die Abbildung zeigt dabei die Emissionsfaktoren der Euro-4, Euro-5- und Euro-6-Diesel-PKW für die Verkehrssituation „Agglomerationsraum | Hauptverkehrsstraße | Tempolimit 50 km/h | flüssiger Verkehr“. Die entsprechenden HBEFA-Emissionsfaktoren für die anderen städtischen Verkehrssituationen auf Hauptverkehrsstraßen mit der Höchstgeschwindigkeit 50 km/h (dicht, gesättigt, stop-and-go) weisen alle analoge Verläufe auf.

Dabei fällt weiter auf: Im realen städtischen Fahrbetrieb sind die Emissionen von Euro-5-Diesel-PKW höher als etwa die von Euro-4-Diesel-PKW. Statt der erhofften Minderungen durch diese Fahrzeugklasse sind also im Stadtverkehr Emissionserhöhungen zu erwarten, wenn man die Jahresdurchschnittstemperatur oder andere Umgebungstemperaturen unter 20°C untersucht.

Bei winterlichen Temperaturen emittieren Diesel-Motoren ein Vielfaches

Ein Vergleich der Werte innerhalb jeder Grenzwertstufe zeigt den Einfluss der Umgebungstemperatur auf die realen Emissionen. Bei Temperaturen über 20 °C entsprechen die Messwerte tatsächlich etwa den bisher zugrunde gelegten Werten. Bei der deutschen Jahresmitteltemperatur ergeben sich für die Städte aber bereits deutliche Erhöhungen im Vergleich zu den bisherigen Berechnungen. Gravierend sind die Veränderungen bei Berechnungen für Wintertage mit Temperaturen unter 0 °C. Konkret bedeutet das: Bei Euro-6-Diesel-PKW steigen die NOx-Emissionsfaktoren bei der deutschen Jahresmitteltemperatur im untenstehenden Beispiel von den bisher in HBEFA 3.2. angenommenen 170 auf 450 mg/km (Steigerung auf das 2,65–Fache des Ausgangswertes). An Tagen mit einer Temperatur unter 0 °C sind statt bisher 170 nun 620 mg/km anzusetzen, was einer Steigerung auf das 3,65-Fache entspricht.

Damit aber stehen alle deutschen Städte vor der Aufgabe, auch im Lichte der aktuellen Rechtsprechungen, schnell die den Luftreinhalteplanungen zugrundeliegenden Emissions- und Immissionsmodellierungen zu aktualisieren. Dabei werden sich dann mit HBEFA 3.3 bei Diesel-PKW insgesamt deutlich höhere Emissionen ergeben.

Da damit der Anteil von Diesel-PKW an den gesamten Stickoxid-Emissionen ebenfalls weiter steigt, dürfte sich der Druck der Emissionsminderungs-Maßnahmen verstärkt auf Diesel-PKW konzentrieren. Das Potenzial aller Maßnahmen, die nicht bei Diesel-PKW ansetzen, wird damit nochmals geringer.

Derzeit ist noch unklar, ob in Deutschland der Weg der „blauen Umweltzone“ gegangen werden kann. Viel wird davon abhängen, ob eine etwaige blaue Plakette alle Euro-6-Dieselfahrzeuge umfasst – oder ob etwa nur Diesel-PKW nach Abgasnorm Euro-6-d2 (zertifiziert nach WLTP mit compliance-Faktor von 1,5) erlaubt werden. Da diese Fahrzeuge derzeit zum Teil noch nicht produziert werden, liegen dazu keine verlässlichen Emissionsfaktoren für den realen Fahrbetrieb vor. Die vorliegenden Hinweise deuten aber darauf hin, dass lediglich Euro-6-d2 Diesel-PKW spürbare Emissionsreduktionen erbringen könnten. Diese wären dann etwa ab dem Jahr 2020 denkbar. Der notwendige Zeitraum für die komplette Umstellung der Diesel-PKW-Fahrzeugflotte auf Euro-6-d2 dürfte damit aber eher im Bereich eines Jahrzehnts anzusiedeln sein.

Die derzeit geltenden Immissionsgrenzwerte nach 2008/50/EG stehen weitgehend seit 2002 fest, können aber an verkehrlich hochbelasteten Messstellen auch 2017 oft nicht eingehalten werden. Eine Verzögerung um nochmals etwa ein Jahrzehnt dürften vermutlich weder die EU-Kommission noch deutsche Verwaltungsgerichte akzeptieren. Es erscheint deshalb im Licht der aktuellen Rechtsprechung mehr als plausibel, dass die demnächst in Düsseldorf, Stuttgart und anderen Städten zu erwartenden Luftreinhaltepläne bzw. Urteile entweder auf generelle Fahrverbote für alle Diesel-PKW oder für alle Diesel-PKW außer Euro-6-d2 zurückgreifen müssen. Dies wird vermutlich für Dieselfahrzeugbesitzer, Kommunen und Hersteller von Diesel-PKW größere Veränderungen mit sich bringen.

* TU Dresden, Lehrstuhl für Verkehrsökologie, Fakultät Verkehrswissenschaften Friedrich List, Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, Dresdner Institut für Verkehr und Umwelt e.V.