Standpunkt

Digitalisierung nutzen

Ein Statement von Prof. Dr. Barbara Lenz, Direktorin des Instituts für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin, und Mitglied im Herausgeber-Gremium Internationales Verkehrswesen

Digitalisierung ist ein Begriff, der Konjunktur hat – auch im Verkehrsbereich. Allerdings bleibt der Begriff oft unscharf und bezeichnet vielfältige Sachverhalte, die aus verschiedenen Perspektiven Themen wie neuartige Dateninhalte, neue Möglichkeiten der Datenerfassung und Datenübertragung, aber auch die Verwertung und Nutzung der digitalen Daten in den Blick nehmen. Ein zentraler Gegenstand ist die formale Gestaltung neuartiger Datenkombinationen und die Erstellung neuer oder die Reorganisation vorhandener Prozesse durch Daten.

So kann beispielsweise durch die Verknüpfung verkehrsmittel-übergreifender Daten in Echtzeit die Verkehrssteuerung auf eine deutlich verbesserte Grundlage gestellt werden und damit zu Kapazitätsgewinnen in Verkehrsnetzen beitragen. In der Logistik werden neue Möglichkeiten zur Beschleunigung und Erweiterung der Datenflüsse entlang von Supply Chains erschlossen und damit individuelle Kundenanforderungen noch besser bedient. Und im öffentlichen Verkehr wird auf Endgeräten angezeigt, wieviel Zeit noch bleibt bis zur Abfahrt des nächsten Busses. Der durch Digitalisierung erzielte Nutzen ist dabei offenkundig, so dass auf Digitalisierung basierende Anwendungen ein wesentlicher Bestandteil aktueller Strategien für einen effizienten, möglichst reibungslosen Mobilitätswandel sind – vielfach Hand in Hand gehend mit Automatisierungs-Lösungen.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Nutzung digitaler Anwendungen und Dienste im Alltag ist in Ländern wie Deutschland durchaus gegeben: Hierzulande verfügen heute rund 50 Mio. Menschen über ein Smartphone und damit über mobiles Internet. Sie nutzen app-basierte Dienste, insbesondere Informationen über Verkehrsmittel und ihre Verfügbarkeit, ihre Ausstattungsmerkmale und Preise. Vor diesem Hintergrund werden innovative Dienste – wie beispielsweise moovel oder train-line – entwickelt, deren Neuartigkeit nicht zuletzt im Austausch und in der Integration von Daten über Verkehrsmittel- und Betreibergrenzen hinweg liegt. Zusätzlich entstehen neue plattformgestützte Mobilitätsdienstleistungen wie flexibles Car- oder Ridesharing. Den Menschen werden damit neuartige Entscheidungsgrundlagen und Zugänge zur Nutzung verschiedenartiger Verkehrsmittel zur Verfügung gestellt.

Allerdings wird Digitalisierung selbst dort, wo sie sich an Endnutzer wendet, oft noch aus der Perspektive des technisch Machbaren angegangen. Digitalisierung ist jedoch kein Selbstzweck. Vielmehr ist es unerlässlich, die vielen kleinen und großen Innovationen auch von den Nutzerinnen und Nutzern her zu denken, die mit ihren Bedürfnissen und Erwartungen ebenso wie mit ihrem Nutzungsverhalten einen wesentlichen Einfluss darauf nehmen, wo digitale Anwendungen erfolgreich eingesetzt werden können.

Dies ist gerade im Verkehrsbereich umso wichtiger, weil Technologien nicht nur „verwendet“ werden, sondern Einfluss auf das Verkehrsverhalten und damit auf das Verkehrssystem insgesamt nehmen. Die aktuelle Diskussion um Auswirkungen des automatisierten Fahrens machen das nur allzu deutlich: Entsteht dann mehr oder weniger Verkehr? Haben ÖNPV und Schiene dann womöglich ausgedient? Erstaunlich ist dabei: Trotz der wachsenden Bedeutung der Digitalisierung sowohl für die Information der Kunden als auch für die Bereitstellung neuer vielseitiger Mobilitätsoptionen sind unsere Kenntnisse zu den Wirkungen und Auswirkungen der Digitalisierung bislang eher gering.

Heft 1|2017 von Internationales Verkehrswesen   bietet eine aktuelle Annäherung an den Gegenstand „Digitalisierung für Mobilität und Verkehr“, indem es beispielhaft Anwendungsbereiche der Digitalisierung aufzeigt, aber auch die Nutzung von Diensten und Auswirkungen thematisiert. Die Beiträge vermitteln einen Ausgangspunkt für weiterreichende Fragestellungen von Wissenschaft und Praxis in einem dynamischen Feld. Hierzu wünsche ich den Leserinnen und Lesern eine spannende Lektüre.


Veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen (69), Heft 1 | 2017