Standpunkt

Automatisierte Mobilität

Knut Ringat. Foto: Jana Kay

Ein Statement von Prof. Knut Ringat, Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH und Mitglied im Herausgeber-Gremium Internationales Verkehrswesen

Automatisierung, autonomes Fahren, vollautomatische Fahrzeuge, fahrerloser Betrieb … es gibt viele Begriffe für ein hoch aktuelles, komplexes Thema, das in den nächsten Jahren die Mobilitätslandschaft entscheidend verändern wird. Die sich wandelnden Anforderungen von Bevölkerung und Wirtschaft an Verkehr und Mobilität sowie die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung bedingen sich dabei gegenseitig und bringen schon heute völlig neue, vor allem vernetzte und integrierte Mobilitätsansätze und -angebote hervor. Damit stehen wir nicht nur vor der großen Chance, den Kunden ein neuartiges, maßgeschneidertes Angebot machen zu können, sondern auch vor enormen Herausforderungen. Viele wesentliche Fragen – technische, sicherheits- und datenschutzrelevante, gesellschaftliche sowie ethische – sind noch offen. Diese müssen formuliert, diskutiert und beantwortet werden, um eine solide, verantwortungsvolle Basis für die Umsetzung einer automatisierten Mobilität zu schaffen.

So hat Bundesminister Alexander Dobrindt unter anderem eine Ethik-Kommission unter Leitung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio eingesetzt, die Leitlinien zum automatisierten Fahren erarbeiten sollte. Im Juni dieses Jahres legte das Experten-Gremium aus 14 Wissenschaftlern der Fachrichtungen Ethik, Recht und Technik nun seinen Bericht vor. Damit wurden weltweit erstmals Leitlinien entwickelt, die die Grundlage für die Entwicklung und den Einsatz automatisierter Fahrzeuge sein können.

Hinsichtlich der Entwicklung und Erprobung von Fahrzeugtechnik steht derzeit vor allem die Automobilindustrie im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Hier wurden in wenigen Jahren große Fortschritte in der Entwicklung von autonomen Last- und Personenkraftwagen erzielt sowie erste Tests erfolgreich absolviert. Dabei ist das automatisierte Fahren an sich keine Erfindung der vergangenen Jahre. Schienengebundene Verkehrsmittel sind hier die eigentlichen Vorreiter dieser Entwicklung. So verkehrt beispielsweise in Deutschland bereits seit 2008 eine vollautomatische U-Bahn in Nürnberg im Mischbetrieb mit konventionellen Zügen. Auch unsere europäischen Nachbarn setzen schon seit Jahren auf diesen Trend. Laut einer europaweiten Umfrage der Allianz pro Schiene wird inzwischen jährlich bereits rund eine Milliarde Fahrgäste von selbstfahrenden U-Bahnen im europäischen Stadtverkehr befördert. Doch auch im Bahnverkehr bleibt viel zu tun, bis eine Vollautomatisierung des Betriebs möglich ist. Wie im Straßenverkehr sind auch hier digitale Testfelder zur Erprobung und Erforschung im Realverkehr nötig.

Der Öffentliche Personennahverkehr wird, wie schon im schienengebundenen Verkehr, autonome Straßenfahrzeuge für seine Mobilitätsangebote nutzen. Eine große Chance bietet sich in der Anbindung des ländlichen Raumes. Hier wird es aufgrund der sinkenden Bevölkerungs- und Schülerzahlen zunehmend schwieriger, ein flächendeckendes und vor allem finanzierbares Angebot darzustellen. Kleinere, individuell einsetzbare, autonome Fahrzeuge können hier eine Lösung sein. Bis zum regulären Einsatz vollautomatisierter Fahrzeuge wird noch einige Zeit vergehen. Währenddessen sollten wir unsere Erfahrungen aus Ride-Sharing-Projekten sowie der technologischen Entwicklung nutzen, um zum Beispiel erste Konzepte mit fahrerbesetzten Kleinfahrzeugen „on demand“ umzusetzen.

Liebe Leserinnen und Leser, Digitalisierung und Automatisierung werden die Struktur der Mobilität verändern. Allerdings sind noch viele Fragen zu klären, Praxistests zu bewältigen und Forschungsprojekte abzuschließen. In der Ausgabe 3|2017 von Internationales Verkehrswesen stellen Wissenschaftler und Praxisbeteiligte ihre Projekte und Untersuchungen vor. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.


Veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen (69), Heft 3 | 2017