Infrastruktur Politik: Standpunkt

Umbauen oder abwickeln – der EU-Investitionsfond EFSI

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Wie der „Juncker-Fonds“ die Ziele der EU-Verkehrspolitik konterkariert – und wie er doch noch ein Erfolg werden könnte. Ein Statement von Michael Cramer und Jens Müller

Vor seiner Wahl zum Präsidenten der EU-Kommission hatte Jean-Claude Juncker eine breit angelegte Investitionsoffensive versprochen. Der daraus entstandene „Europäische Fonds für Strategische Investitionen“ (EFSI) ist mittlerweile in Betrieb und hat bereits knapp 33 Milliarden Euro bereitgestellt. Doch die Verkehrswende wird bisher vernachlässigt: Der Verkehr ist unterrepräsentiert, die Mittel für die „Transeuropäischen Verkehrsnetze“ werden kannibalisiert und die Investitionen werden kaum auf ihre Vereinbarkeit mit den EU-Zielen geprüft. Trotzdem soll der Fonds nun ausgeweitet und verlängert werden, noch bevor die vorgeschriebene Zwischenbilanz vorliegt. Nicht nur der EU-Rechnungshof findet: Das ist übereilt.

Dass der Ausbau der deutschen Autobahn A6 zwischen Wiesloch-Rauenberg und Weinsberg oder die Modernisierung griechischer Regionalflughäfen einmal zu Investitionen mit strategischer Bedeutung für ganz Europa erklärt würden, hätten sich wohl selbst die Projektträger nicht träumen lassen. Und doch stellt jetzt der EFSI für diese beiden Vorhaben fast 600 Millionen Euro zur Verfügung. Entschieden haben das nicht die Verkehrspolitiker, sondern der amtierende Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker. Er hatte bei seiner Wahl im Jahr 2014 versprochen, die lahmenden Volkswirtschaften der Europäischen Union (EU) anzukurbeln und anschließend eine große Investitionsoffensive, auch „Juncker-Plan“ genannt, auf den Weg gebracht.

EU Investionen Fonds

Funktionsweise des EFSI. Quelle: Europäische Investitionsbank

Dabei stand Juncker jedoch vor dem Problem, dass der EU-Haushalt weder über ausreichende Mittel verfügt, noch Schulden aufnehmen darf. Seine Mitarbeiter erdachten angesichts dieses Dilemmas einen kühnen Plan: Die EU solle nicht selbst investieren, sondern gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) einen Garantiefonds auflegen. Die Konstruktion dahinter gleicht moderner Finanz-Alchemie (Grafik 1): Die Absicherung durch den Fonds soll ausgewählten privaten und öffentlichen Vorhaben bessere Finanzierungsbedingungen ermöglichen, indem im Fall von Zahlungsausfällen die ersten Verluste durch den Fonds aufgefangen werden. Die EU setzt dabei maximal 16 Milliarden Euro eigener Mittel ein und will auf diesem Wege bis 2020 zusätzliche Investitionen von bis zu 315 Milliarden Euro anstoßen.

Verkehrspolitiker aller Couleur hatten von Anfang an Zweifel

Von vielen Seiten wurde dieses Vorhaben begrüßt. Doch unter den Verkehrspolitikern aller Couleur gab es von Beginn an starke Bedenken. Das lag vor allem daran, dass das für den EFSI benötigte Kapital aus anderen Teilen des EU-Budgets abgezogen wurde und der Verkehrsetat dabei mit über 4,2 Milliarden Euro den größten Anteil leisten musste. Und das, nachdem zuvor in jahrelangen Verhandlungen gerade erst eine Aufstockung der Mittel für die „Transeuropäischen Verkehrsnetze“ (TEN-T) auf 26 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020 erreicht wurde. Und selbst diese Summe erscheint angesichts eines geschätzten Finanzbedarfs von 500 Milliarden Euro zur Fertigstellung der TEN-T noch lange nicht ausreichend.

Doch nicht nur die Angst vor Finanzierungsengpässen beunruhigte den Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments. Die Bedenken drehten sich zugleich auch um die Frage, ob Verkehrsprojekte für das Finanzierungsmodell des „Juncker-Fonds“ überhaupt geeignet und in ausreichender Zahl schnell umsetzbar wären. Und schließlich meldeten viele Experten auch Zweifel daran an, ob die in Frage kommenden Projekte mit den übergeordneten Zielen der EU für das Zusammenwachsen des Kontinents, die Schaffung dauerhafter Jobs und eine nachhaltige Entwicklung vereinbar wären. Auch um diesen Bedenken entgegenzutreten, schlug die EU-Kommission vor, bis Juli 2018 eine unabhängige Zwischenbewertung des EFSI erstellen zu lassen und dann über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Mit dieser Zusicherung konnte Jean-Claude Juncker seinen Plan schließlich im Juli 2015 mit großer Mehrheit von den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament absegnen lassen.

Voreiliger Vorschlag für Verlängerung und Ausweitung

Doch schon rund ein Jahr später wollte die Europäische Kommission davon nichts mehr wissen. Auf der Grundlage einer hastig eigens verfassten positiven Bewertung schlug die oberste EU-Behörde bereits im September 2016 vor, den Fonds auszuweiten und zu verlängern – also kaum mehr als ein Jahr nach Errichtung des EFSI und fast zwei Jahre vor dem Stichtag für die unabhängige Bewertung. Aktuell laufen sowohl im Rat der EU als auch im Europäischen Parlament die Verhandlungen über diesen Vorschlag. Er sieht vor, die EU-Garantie von 16 auf 26 Milliarden Euro anzuheben und damit ein Investitionsvolumen von bis zu 500 Milliarden Euro zu erreichen. Zudem will die EU-Kommission die Laufzeit des Fonds von Juli 2019 auf Dezember 2020 verlängern. Das dafür zusätzlich nötige Kapital soll erneut aus anderen Bereichen des EU-Budgets abgezogen werden, wobei der Verkehrsetat mit 155 Millionen zum zweiten Mal einen der größten Beiträge leisten würde.

Dieses Vorgehen erregte heftige Kritik des Europäischen Rechnungshofs, der über die regeltreue und sinnvolle Verwendung von EU-Geldern wacht „Der Vorschlag wurde (zum zweiten Mal) ohne umfassende Folgenabschätzung auf den Weg gebracht und erfolgt zu früh, um die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen des EFSI einschätzen und zu einer Schlussfolgerung dahin gehend gelangen zu können, ob der EFSI seine Ziele erreicht.“ Und auch der Verkehrsausschuss im Europäischen Parlament ist erneut alarmiert angesichts der erneuten Mittelkürzung zu Lasten der „Transeuropäischen Verkehrsnetze“. Er hat eine eigene Bewertung der bisherigen Ergebnisse des „Juncker-Fonds“ erstellt, die brisante Erkenntnisse enthält.

EFSI-Investitionen der EU

Verteilung der EFSI-Investitionen nach Sektoren. Quelle: Europäische Investitionsbank

Sehr enttäuschende Bilanz für den Verkehrssektor

Als erstes fällt beim Blick in die offiziellen Zahlen des EFSI auf, dass der Verkehrssektor trotz seines hohen Finanzierungsbeitrags bei der Projektverteilung unterrepräsentiert ist (Grafik 2). So entfallen nur 9% der genehmigten Projekte auf Verkehrsvorhaben. Eine zusätzliche Unwucht wird deutlich, wenn man auf die geografische Verteilung der Projekte blickt: Drei Viertel der Projekte konzentrieren sich auf die älteren Mitgliedstaaten, während Mittel- und Osteuropa kaum vertreten sind.

Zweitens lohnt ein Blick auf die Art von Verkehrsprojekten, die der Fonds bisher unterstützt. Hier zeigt sich die Folge der Fokussierung auf möglichst hohe, aber nicht möglichst sinnvolle Investitionen: Projekte von regionaler oder bestenfalls nationaler Bedeutung stellen den überwiegenden Teil der unterstützten Vorhaben, während ein Nutzen für die transeuropäische Infrastruktur und eine europäische Verkehrswende nur in wenigen Fällen erkennbar ist. Das eingangs zitierte Beispiel der griechischen Regionalflughäfen steht exemplarisch für die verkehrspolitische Blindheit des EFSI insgesamt. Denn erst 2014 hatte der Europäische Rechnungshof Investitionen in Regionalflughäfen untersucht und geurteilt, dass „bei EU-finanzierten Flughafeninvestitionen […] ein schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis erreicht [wird].“

Das Gesamtbild fällt ähnlich aus: So stellen Straßenbauprojekte 40% der bereits unterzeichneten Vorhaben, auf die Schiene entfallen nur 20%. Und grenzüberschreitende Maßnahmen finden sich kaum auf der Liste. Das ist genau das Gegenteil der Ziele im Rahmen der „Transeuropäischen Netze“. Dieser Missstand wird auch durch eine Reihe verkehrspolitisch durchaus sinnvoller Projekte nicht gemildert. Denn der „Juncker-Fonds“ ordnet letztlich politische Ziele wie Kohäsion, Beschäftigung und Klimaschutz dem Kriterium der individuellen finanziellen Tragfähigkeit unter.

Das wäre leichter zu verschmerzen, würden die wenig zielgerichteten Aktivitäten des EFSI zusätzlich zu den Investitionen in die „Transeuropäischen Verkehrsnetze“ getätigt. Leider muss jedoch festgestellt werden, dass das für den „Juncker-Fonds“ entnommene Geld an anderer Stelle fehlt. Die bisherigen Finanzierungsrunden für die TEN-T waren stets stark überzeichnet, so dass viele wünschenswerte Projekte vorerst auf der Strecke blieben. In der noch bis 2020 laufenden Haushaltslinie sind schon jetzt nur noch 2 Milliarden Euro vorhanden. Die EU-Kommission will nun weitere 155 Millionen Euro in den EFSI übertragen, obwohl der Europäische Rechnungshof vorrechnet, dass dessen Mittel für die kommenden zwei Jahre voraussichtlich genügen.

Die Bilanz fällt somit sehr enttäuschend aus: Der EFSI bietet für den Verkehrssektor bisher vergleichswenig wenig Nutzen, kannibalisiert für die TEN-T dringend benötigte Aufwendungen und investiert stattdessen in Projekte mit zumeist fragwürdigem Nutzen für die Europäische Union. Anders als der Name „Europäischer Fonds für Strategische Investitionen“ suggeriert, werden im Verkehrsbereich alles andere als strategisch sinnvolle Weichenstellungen getätigt.

Wie der Fonds doch noch Erfolgschancen hätte

Die nun im Raum stehende Ausweitung und Verlängerung ist deshalb kontraproduktiv. Daraus könnte man schließen, der Fonds solle am besten eingefroren werden, um das verbliebene Kapital besseren Verwendungen zuzuführen. Doch ein solcher Vorschlag hat keine Aussicht auf politische Mehrheiten. Zu sehr hat die auch auf europäischer Ebene tonangebende Große Koalition dieses Projekt zu einem ihrer Leuchtturmprojekte erklärt. Realistischer ist es, die Verlängerung und Aufstockung des Fonds zunächst auszusetzen. Das Funktionieren des bisherigen Fonds wäre nicht gefährdet und es wäre Zeit gewonnen, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Wichtig ist dabei die Einsicht, dass die EU-Volkswirtschaften nicht mehr unter einer krisenbedingten Nachfrageschwäche leiden, sondern vielmehr mit strukturellen Problemen und den Folgen weltweiter Entwicklungen kämpfen. Folglich ist der Fokus auf eine möglichst hohe Nachfrage um beinahe jeden Preis irrsinniger denn je. Die Frage der langfristigen Sinnhaftigkeit heutiger Ausgaben sollte stattdessen beim EFSI in den Mittelpunkt rücken. Was das konkret bedeuten könnte, zeigt einer der weniger bekannten Vorschläge der EU-Kommission. Sie schlägt vor, Gelder des Verkehrsetats mit denen des EFSI zu mischen (so genanntes „blending“), um privates Kapital für die „Transeuropäischen Netze“ zu mobilisieren. Das kann ein sinnvoller Weg sein, wenn die Ausgaben des EFSI streng an den europäischen Mehrwert und das Erreichen der Ziele für territorialen Zusammenhalt, Beschäftigung und Dekarbonisierung gebunden werden.

Abschließend sei aber auch die Frage gestattet, wie sinnvoll es – nicht nur mit Blick auf den Verkehrssektor – ist, wenn die EU selbst als Akteur auf dem Kapitalmarkt aktiv wird. Im Einzelfall mögen sich zwar positive Effekte einstellen, doch ersetzt all das nicht das Verfolgen einer durchdachten Verkehrspolitik im weiteren Sinne. So wäre das Einlösen der 2011 im „Weißbuch Verkehr“ gemachten Zusagen von weitaus größerer strategischer Bedeutung, als es der im Vergleich zur gesamten EU-Wirtschaft doch recht kleine „Juncker-Fonds“ ist. Die versprochene Herstellung eines fairen intermodalen Wettbewerbs, eines besseren Verbraucherschutzes sowie einer Verlagerung in Richtung umweltfreundlicher Verkehrsträger wäre ein überaus wichtiges Signal für mehr Investitionen in die zukünftige Mobilität, ganz ohne zusätzliche öffentliche Ausgaben.


Die Autoren:
Michael Cramer, Mitglied im Europäischen Parlament für Bündnis 90/Die Grünen, michael.cramer@ep.europa.eu
Jens Müller, M.A. Europäische Wirtschaft, Referent für Verkehrspolitik im Europäischen Parlament, jens.mueller@ep.europa.eu


Der englische Originalbeitrag ist erschienen in International Transportation 1 | 2017